Auf den Spuren eines Engels: Einmal wie Charly Gaul den Mont Ventoux hochkraxeln

Auf den Spuren eines Engels: Einmal wie Charly Gaul den Mont Ventoux hochkraxeln
Foto: Robert Spirinelli

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Welcher Radfahrer hat nicht schon mal davon geträumt, als Erster am Mont Ventoux anzukommen? Luxemburgs Jahrhundertsportler Charly Gaul schuf 1958 am Giganten der Provence das Fundament für seinen Tour-Erfolg. Nicht ganz so schnell wie der „Ange de la montagne“ kraxelte vor Kurzem auch unser Magazin-Redakteur Robert Spirinelli den Riesen hoch.

Auch wenn die Strecke der diesjährigen Tour de France nicht zum Ventoux führt, so bleibt zwischen dem Giganten der Provence und der „Grande Boucle“ eine sehr lange „histoire d’amour“ mit vielen Emotionen und sogar einigen Tragödien bestehen. Man muss schon sagen, dass die Etappe und der Aufstieg zum Ventoux unter besonders schwierigen Bedingungen der Gral für jeden Radfahrer bedeuten. Aber nicht nur die Passage der Tour lassen viele Hobby-Radfahrern davon träumen, den heldenhaften Aufstieg der Profis zu reproduzieren.

Doch um es gleich vorneweg klarzumachen: Der Schreiber dieser Zeilen ging nicht an den „Start“, um die Leistung der Profis in irgendwelcher Art zu schmälern, sondern lediglich um zu beweisen, dass jeder einigermaßen gesunde Mensch durchaus in der Lage ist, mit einem modernen E-Bike den 1.912 Meter hohen Gipfel zu erreichen.

Zusammen mit Olivier Brunaud, Egobike-Verantwortlicher für Führungen und Begleitungen von Mountainbike- und Rennradtouren rund um den Ventoux, wurde die Strecke dann auch sorgfältig geplant. „Der Anstieg zum Ventoux ist und bleibt eine beachtliche körperliche Anstrengung, die man, nur weil man auf einem Elektrofahrrad sitzt, auf keinen Fall unterschätzen sollte. Ganz von alleine fährt kein E-Bike hoch, man ist schon verpflichtet, kräftig in die Pedale zu treten, um die Welle, die nach oben führt, zu bewältigen“, so der erfahrene Bergspezialist.

Was wie eine Kampfansage klang, sollte am folgenden Tag umgesetzt werden. Nach einer leichten Mahlzeit werfe ich von der Ebene aus einen letzten Blick auf den steinigen Koloss, dessen schneeweiß leuchtende Kuppel bei untergehender Sonne die Gestalt eines bedrohlichen Ungetüms annimmt. Ob dies eine Vorwarnung ist?

Im Schatten des Ventoux

Wie dem auch sei, die Herausforderung wurde angenommen und ein Rückzieher kommt nicht infrage. Von Albträumen verschont verläuft die Nacht eher ruhig, bevor der Wecker in aller Früh zum Aufmarsch ruft. Ganz Europa leidet zu diesem Zeitpunkt unter hochsommerlichen Temperaturen, die tagsüber bis auf 40 Grad ansteigen. Deshalb Oliviers vernünftige Entscheidung, die Tour um 6.00 Uhr zu starten.

Gesagt, getan, nach einigen Einstellungen am Fahrrad und einem kleinen Energie-Snack (gefrühstückt habe ich nicht) steige ich erstmals in meinem Leben auf ein E-Bike. Vom pittoresken provenzialischen Ortskern geht es von Bédoin in Richtung Ventoux. Langsam hat der Tag auch die Nacht und die letzten funkelnden Sterne verdrängt, nur die Sonne verbirgt sich zu diesem Zeitpunkt noch im Schatten des Ventoux, dessen Silhouette bereits deutlich erkennbar ist.

Schnell kann ich mich mit dem mir zur Verfügung stehenden Drahtesel vertraut machen, aber das Giant-E-Bike scheint über Nacht etwas Strom konsumiert zu haben, denn der Akku-Stand zeigt lediglich 98% verfügbare Kapazität an. „Das sollte allerdings bis zum Gipfel reichen“, sagt Olivier und lacht, bevor wir uns auf die Strecke begeben.
Unser Rennrad verfügt über drei Unterstützungsprogramme, und zwar Low, Normal und Power, wobei die Faustregel gilt: Wer ständig mit maximaler Motorpower unterstützt werden will, verbraucht entsprechend viel Batteriekapazität.

„Wichtig ist, dass wir mit recht wenig Unterstützung zumindest die ersten Kilometer hinlegen und die Beine drehen lassen, damit wir bis Saint-Estève eingefahren sind und die angemessene Kardiofrequenz erreicht haben“, rät Olivier. Mit höllischem Respekt vor dem, was bevorsteht, gehe ich die Etappe in gemäßigtem Tempo mit 18 bis 20 km/h an. Die Wetterbedingungen um die 18 Grad sind zu diesem Zeitpunkt ideal und es weht kaum Wind.

Kaum Möglichkeiten zum Verschnaufen

Nachdem wir das Dörfchen Sainte-Colombe passiert haben, erreichen wir die berüchtigte Saint-Estève-Kurve, an der Charly Gaul zum Angriff blies, nach knappen 6,5 Kilometern und einer leichten Steigung von um die 2,5 bis 5,5 Prozent. Zuversichtlich nehme ich die scharfe Linkskurve, von wo aus für einen kurzen Augenblick auch die kahle Bergspitze zu erblicken ist, die aber nach wenigen Metern wieder oberhalb der Baumkronen verschwindet. Wir befinden uns nunmehr auf rund 560 Metern über dem Meeresspiegel. „Besser wir sehen ihn (den Ventoux) nicht, denn ab dem Moment, wo er in unseren Blickwinkel tritt, bekommen wir es umso deutlicher spüren“, scherzt Oliver.

Tatsächlich wird ab Sainte-Estève der Anstieg steiler (8,5 bis 10,5 Prozent) und auf der „route forestière“ bis hin zum Chalet Reynard gibt es kaum Möglichkeiten zum Verschnaufen. Die rund 8 Kilometer bis zum Chalet mit einer durchschnittlichen Steigung um die 9,4 Prozent sind für mich dann auch der schwierigste Teil der Route. Das Passieren jeder einzelnen Straßenmarkierung wird zum Erfolgserlebnis, doch für zusätzlichen Schub und Motivation sorgen definitiv die zahlreich auf dem Asphalt aufgemalten Luxemburger Flaggen und der „Roude Léiw“.

Der Blick auf das Display stimmt mich weiter zuversichtlich, die Geschwindigkeit variiert um die 11 bis 13 km/h und bis dahin habe ich lediglich zwei von den drei Assistenzstufen des Stromers benutzt, weshalb auch der Akku noch mehr als halb voll ist.

Am Chalet angekommen erinnert Olivier ans Trinken – Wasser versteht sich von selbst – und reicht mir zudem einen Energieriegel. Die Mischung von Mandeln, Honig, Nougat, Trauben, Zucker usw. sollen ab hier auf den letzten 6,5 Kilometern bis zum Gipfel helfen. Außerdem erlaubt diese Passage mir, mich relativ gut zu erholen, bevor wir dann die letzten Kilometer in Angriff nehmen. Ab dem Chalet auf etwa 1.400 Metern beginnt auch die imposante felsige Mondlandschaft des Ventoux, hier wächst kaum noch ein Grashalm, geschweige denn Bäume, unter dessen Schatten die bis hierhin anspruchsvolle Strecke führte.

Die allerletzte scharfe Kurve

Die Wetterstation und der Gipfel erscheinen plötzlich greifbar nah, obwohl es von hier aus noch 6 Kilometer und immerhin rund 500 Höhenmeter zu überwinden sind. Aber die Sicht nach oben sowie der Blick auf die herrliche Landschaft der Provence sind so atemberaubend, dass sie wie Balsam auf meinem leicht schmerzenden Rücken, der zudem von der glühenden Sonne traktiert wird, wirken.

Der Wille, endlich den Gipfel zu erreichen, ist aber stärker als die kleinen Ermüdungserscheinungen. Kurz vor der Bergspitze wird es aber nochmal einmal richtig steil, bis zu 10,5 Prozent Steigung sind zu meistern und der Akku zeigt immerhin noch 11 verbleibende Prozent Bereitschaftsdienst an, ehe es schlussendlich durch die allerletzte scharfe Kurve zum stets windigen Gipfel mit der berüchtigten Hinweistafel „Sommet 1912 m“, die dann auch als Fototrophäe hinhalten muss, geht.

In einem T-Interview zu seinem Husarenritt am Ventoux erzählte einst Charly Gaul: „Plötzlich tanzten Sternchen vor meinen Augen“ … Mir ging es ähnlich, nur dass meine Augen, als ich die Ziellinie, mit zugegeben ein bisschen wenig Stolz überquerte, wie Sternchen funkelten.

Ab Bédoin legen die Sportlichsten den Aufstieg in gut 1,5 Stunden zurück. Die Fahrt ab ins Tal ist verständlicherweise rasanter und vor allem weniger anstrengend, dafür aber umso gefährlicher. Jährlich lassen bis zehn Menschen bei der Auf- und Abfahrt ihr Leben. Viele weil sie die Anstrengungen unterschätzen, andere, weil sie sich auf ihrem Rad bei der Abfahrt zu tollkühn fühlten. Ich ging, pardon fuhr die Strecke gemächlich und nach knappen rund 2 Stunden Fahrzeit erreichte ich den „Sommet“. Für die Talfahrt zurück nach Bédoin war ich 25 Minuten unterwegs.

Ein provenzialisches Sprichwort sagt: „N’est pas fou qui monte au Ventoux, est fou qui y retourne.“ Demnach keine Frage, ich komm wieder!

Streckenprofil
Bédouin – Mont Ventoux
Gipfelhöhe: 1.912 m
Gesamtlänge: 21,5 km
Höhenunterschied: 1.622 m
Steigung: Durchschnitt 7,15%
Steigung: Maximal 11%

55’51“

Der aktuelle Rekord für die Strecke von Bédoin zum Mont Ventoux wurde 2004 vom spanischen Rennprofi Iban Mayo während des Critérium du Dauphiné Libéré aufgestellt. Mayo fuhr beim Zeitfahren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23,2 km/h in 55 Minuten und 51 Sekunden ins Ziel.

Drei Fragen an Olivier Brunaud

Welche Fehler sind vor dem Anstieg zum Ventoux zu vermeiden?
Zu vermeiden sind nach Möglichkeit zu wenige sportliche Aktivitäten und Trainingseinheiten, um sich auf eine lange Ausdauerleistung vorzubereiten, die vor allem im Finale in der Höhenlage erforderlich ist. Also das ist die eine Sache und dann gilt es, natürlich achtzugeben auf den Ernährungsplan und das, was man in der Woche vor der Herausforderung und vor allem am Vortag zu sich nimmt.

Dann ist es eine Frage des Kräfte-Managements in Bezug auf das Material, das uns zur Verfügung steht. Man sollte auch nicht zu schnell starten, sondern sich gemächlich einfahren, um so zu seinem bestmöglichen Rhythmus zu finden. Sich also Zeit nehmen und versuchen, während des gesamten Anstiegs „im grünen Bereich“ zu bleiben, regelmäßig Flüssigkeit zu sich nehmen und sich auch einen Moment zum Essen gönnen. Ich denke, dass man spätestens beim Chalet Reynard etwas zu sich nehmen sollte, um die letzten sechs Kilometer und vor allem die letzten zwei Kilometer, die umso schwieriger sind, zu bewältigen.

Natürlich sind auch die Wetterbedingungen von großer Bedeutung, denn vor allem der Wind kann einem hier schnell zum Verhängnis werden. Daher lege ich jedem nahe, das Wetter vor dem Start genauestens zu studieren. Wer zum Ventoux will, muss mit starken Temperaturunterschieden und wechselnden Klimazonen rechnen und sollte davon ausgehen, dass es auf dem Gipfel im Schnitt immer um die zehn Grad kälter als im Tal sein wird.

Ist jemand, der den Aufstieg mit einem E-Bike geschafft hat, auch in der Lage,
mit
einem traditionellen Fahrrad hochzufahren?
Ja, daran zweifle ich nicht, vorausgesetzt er nimmt sich einen knappen Monat Zeit, um sich optimal darauf vorzubereiten. Immer wieder sehe ich Leute, die unvorbereitet hierhinkommen und glauben, die Herausforderung meistern zu können. Dann allerdings wird es sehr gefährlich.

Wie könnte diese Vorbereitung aussehen?
Nun wenn ich von einem Monat Vorbereitung spreche, meine ich damit jemanden, der sich mindestens einmal pro Woche einer körperlichen Aktivität hingibt und gezielt darauf hinarbeitet, um diese zu erweitern, indem er z.B. versucht, seine Ausdauer zu trainieren. Dazu eignen sich am Anfang lange, aber flache Radtouren, bevor man dann einen Zyklus mit Steigungen beginnen kann. Eine gute Gelegenheit, eine Zeit lang ohne Pause in die Pedale zu treten, bietet das Indoorcycling, auch als „Spinning“ bekannt, denn das intensive, intervallartige Training ist nicht nur für Ausdauer und Muskelkraft gut, sondern fördert zudem auch das Herz-Kreislauf-System. Im Endeffekt spielt aber bei der Vorbereitung auch ein spezifischer Ernährungsplan eine wichtige Rolle, denn hart trainieren und in Saus und Braus leben passt nicht wirklich zueinander.

Nützliche Informationen für einen Radtrip zum Ventoux gibt es unter
www.egobike-montventoux.com
www.bedoin-location.fr

de Prolet
21. Juli 2019 - 14.19

Richtig: das E Bike ist Selbstbetrug und nicht ungefährlich.

de Lee
21. Juli 2019 - 9.45

Am Mai sinn méi Meedchen(14) an ech de Ventoux mat dem Mtb eropp gefuer.Du sinn mir dauernd vun stolzen E Bikefuerer iwwerholl ginn,lächerlech!Deen hätt méin Moni Jemph mat sénger Solex och gepackt!

de Bop
15. Juli 2019 - 23.29

Vor allem gesund und umweltfreundlich!

Auch dort, mit dem Auto
15. Juli 2019 - 10.03

Wir haben Sie gesehen, die Möchtegerne, auf den Leitplanken oder davor im Rasen liegen, kurz vorm Herzstillstand. Nein Danke, dann lieber mit dem Auto, ist auch schön.

de bouferpapp
14. Juli 2019 - 20.12

Charly Gaul, der Engel der Berge, ist den Mont Ventoux 1958 nicht hochgkraxelt, er ist ihn hochgeflogen!