20 Jahre neue deutsche Rechtschreibung: Von Verwirrung und Beliebigkeit

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Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum lernten um – oder versuchten es: Als die Rechtschreibreform am 1. August 1998 in Kraft trat, war das aber noch lange nicht das Ende der Debatte über deren Nutzen, auch in Luxemburg nicht. „Grislibär“ oder „Majonäse“: Der Anblick so mancher Neuerung war zunächst irritierend. Eher als gewöhnungsbedürftig dürften da noch Fälle wie etwa das dreifache „f“ in „Schifffahrt“ und das Doppel-„s“ in „Kuss“ gelten.

20 Jahre nach der offiziellen Einführung der Rechtschreibreform hat das Thema zwar nicht mehr die ganz große öffentliche Präsenz, viele Gemüter erhitzt es aber doch bis heute. Auch das von Tageblatt-Korrektor Guido Romaschewsky.

* Guido Romaschewsky ist seit 1997 Korrektor im Tageblatt und so von Berufs wegen tagtäglich mit der deutschen „Rechtschreibe“ beschäftigt

Die Rechtschreibreform von 1998 hat viel angerichtet, vor allem Schaden. Dabei sollte sie ursprünglich einmal die deutsche Schriftsprache verständlicher und einfacher machen, allen voran für die Schulkinder, die, so sahen es einige Experten, mit der althergebrachten Schreibung überfordert seien.

Die meisten Kultusminister – unter ihnen mehr Juristen als sprachliche Fachleute – gaben, aller Kritik aus Autoren- oder Journalistenkreisen zum Trotz, grünes Licht. Und so kam, was kommen musste: Aus der alten Ordnung (die zugegebenermaßen auch ihre – beherrschbaren – Schwächen hatte) wurde schnell eine neue Unordnung. Überfordert waren bald nicht mehr nur die Schüler, sondern große Teile der Erwachsenen-Gesellschaft. Und auch viele Angehörige der schreibenden Zunft waren angesichts der vielen neu erfundenen sprachlichen „Gräuel“ wie „Majonäse“, „Ketschup“ oder der Tatsache, dass man fortan nicht nur Eis essen, sondern auch „Eis laufen“ konnte, erst einmal geschockt.


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Redakteure, Korrespondenten und Korrektoren wurden durch die vielen neuen Getrennt- und Großschreibungen gehörig aufs Glatteis geführt und mussten plötzlich den neuesten Duden – der gezwungenermaßen zum Kassenschlager wurde – konsultieren.
Und es waren ihrer nicht nur eine „Hand voll“, die sich fragten, wieso man das vom lateinischen quentinus und dem alten Handelsmaß Quent stammende Quentchen nun plötzlich zu einem etymologisch falsch abgeleiteten „Quäntchen“ (angeblich von quantum) verhunzen musste, das bis heute Bestand hat.

Ein schöpferischer Höhepunkt der 98er-Reform – man könnte sie auch „EASV“ (Erste Allgemeine Schreibverunsicherung) nennen – war der „Grislibär“, der vermutlich von den Berner Sprachexperten am dortigen Bärengraben den deutschsprachigen Ländern aufgebunden wurde und Eingang ins große (CH: grosse) Schreibregelwerk fand. Der letzte Grisli wurde übrigens schon 2017, zum Entsetzen der Tierschützer, aber zur großen (CH: grossen) Freude vieler Sprachpuristen, eingeschläfert.

Korrekt vs. ästhetisch

Stichwort Schweiz: Das Alpenland weist, auch wenn es die deutschen Rechtschreibreformen mitträgt, eine orthografische Besonderheit auf, indem es das Eszett/ß schon lange aus seiner Schriftsprache verbannt hat und in den entsprechenden Wörtern nur noch das Doppel-„s“ verwendet. Somit kamen die Eidgenossen niemals in den Genuss einer der wichtigsten Neuerungen der Rechtschreibreform: der Unterscheidung des Kurzvokals durch die Verwendung von Doppel-„s“ bei „dass“, „muss“, „Nuss“ oder „Schluss“ vom Langvokal in „Maß“, „Floß“, „Spaß“, „Stoß“ oder „Straße“. Die Abschaffung des Eszett vor Kurzvokalen kann man als einen der wenigen wirklichen Fortschritte durch die erste Rechtschreibreform bezeichnen. Denn hier ist die Sprache mal nicht verflacht, sondern um eine Nuance verfeinert worden. Man sieht: Nicht alles haben die Reformer von 1998 falsch gemacht.

Lobend zu erwähnen wäre ebenfalls die Abschaffung der unlogischen Alt-Kleinschreibungen bei „in bezug auf“, „in acht nehmen“, „beim alten bleiben“ oder „im dunkeln tappen“. Die erneuerte Orthografie in „Schifffahrt“, „Sauerstoffflasche“ oder „Balletttruppe“ ist dagegen wiederum Geschmackssache und zeugt davon, dass hier der sehr deutsche Gaul der 200-prozentigen Gründlichkeit mit den Erneuerern durchgegangen ist. Korrekt allemal, ästhetisch auf keinen Fall.

Diese mehr oder weniger schlüssigen Änderungen wurden nach der zweiten Rechtschreibreform (2004/2006) beibehalten, während eine ganze Menge Seltsamkeiten aus der „EASV“ von 1998 wieder rückgängig gemacht bzw. gekittet wurden, weil man wohl erkannte, dass es bei vielen dieser Neuschreibungen zu Sinn- und Deutungskonfusionen kommen konnte. Vieles bleibt dennoch halbherzig. Zwar darf heute wieder eisgelaufen (und nicht „Eis gelaufen“) werden, man muss aber „Rad fahren“ und darf nicht mehr radfahren, obwohl nichts dagegen spräche. Man darf jetzt wieder jemanden wie in ganz alten Zeiten kennenlernen und zufriedenstellen, muss aber damit leben, dass ein anderer/Anderer entgegen der Duden-Empfehlung doch lieber ganz unverbindlich“kennen lernt“ und „zufrieden stellt“ – wobei Letzteres auch auf einen Polizisten zutreffen könnte, der einen Einbrecher ertappt hat.

Zweite Reform

Das Zurückrudern zu vielen altbewährten Schreibungen, das Ausmerzen der schlimmsten Abstrusitäten unter gleichzeitiger Beibehaltung von Neuschreibungen der ersten Reform (noch ein Beispiel: „aufwendig“/“aufwändig“ – heute beides erlaubt mit der Empfehlung „aufwendig“) hat einerseits das Verdienst, Freunde traditioneller Schreibweisen wieder etwas mit der Sprache, wie sie sie einst gelernt haben, zu „versöhnen“.

Andererseits trägt dies auch nicht wirklich zu einer neuen Klarheit bei, sondern öffnet der Beliebigkeit und Unverbindlichkeit Tür und Tor. Und als ob nicht mit der „EASV“ schon genug Verwirrung gestiftet worden wäre, setzt die „neue neue“ Rechtschreibung noch eins drauf und erfindet mit kapitalen Konstrukten wie „vor Kurzem“, „seit Langem“ und „bei Weitem“ neue, kaum zu definierende Substantive. Und sie schafft Inkohärenzen: Man soll etwas „infrage“ stellen, muss aber akzeptieren, dass es „in Kraft“ (und nicht „inkraft“) bleibt. Verstehe, wer will!

Wer heute, 20 Jahre nach der großen Rechtschreibreform, noch von einem erfolgreichen Unterfangen spricht, lügt sich in die Tasche. Denn die Realität gerade bei jenen, die damit in erster Linie visiert waren, den Schülern, sieht, wie es u.a. Bildungsforscher Uwe Grund nach zahlreichen Studien zum Thema zusammenfasst, nicht gerade rosig aus: So schrieben die deutschen Fünft- bis Neuntklässler heute nachweislich mehr Fehler als zu Zeiten der alten Rechtschreibung und die gemachten Fehler beträfen zudem zu 75 Prozent die Kernbereiche der Reform(en), sprich die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung, die Groß- bzw. Kleinschreibung sowie die „s“-, Doppel-„s“- und Eszett-Schreibung.

Das eigentlich Fatale an der ganzen inszenierten Sprach-Flickschusterei sind aber ihre Kollateralschäden in der Orthografie der Erwachsenenwelt: Auf die Idee, „Flüchtling’s Unterkunft“, „Problem bedingt“, „unter zu bringen“, „Strahlen belastet“ oder sonstigen Unsinn zu Papier zu bringen, wäre vor 20 Jahren von sich aus wohl niemand gekommen. Und auch in Journalistenkreisen bleiben bis heute Irritationen bestehen. Die Schreibreformer haben es mitzuverantworten!

Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass dies heute auch in einem schwierigen Umfeld allgemeiner Sprachverlotterung, befeuert durch Social Media und äußerst frei ausgelegte Werbesprache (ohne jeglichen Bindestrich und gespickt mit Anglizismen), geschieht. Dieser Aspekt darf natürlich nicht unerwähnt bleiben. Zur Ehrenrettung der Sprach-Erneuerer. So viel Fairness muss dann doch sein.

 

Claude Oswald
1. August 2018 - 11.19

Die näue däutsche Rechtschraibung hat viele Menschen verunsichert, die noch die alten Regeln gelernt und verinnerlicht haben. Da ist auch ein psychologisches Problem : Wie kann eine Schreibweise plötzlich falsch sein, die vorher richtig war ? Oder anders gefragt : Müssen denn sämtliche Meisterwerke seit Goethe und Schiller korrigiert werden ? Ist das nicht absurd ?

Laird Glenmore
1. August 2018 - 10.13

die neue Rechtschreibung zeigt doch nur das die Menschen einfach zu faul oder zu dumm sind anständig Deutsch zu lernen oder zu schreiben, wir mußten uns damals quälen um das korrekt zu lernen, ich persönlich bevorzuge das alte System.