Parallelwelt Studium (IV): Über Zeitplanung

Parallelwelt Studium (IV):  Über Zeitplanung

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Die meisten kennen ihn durch seinen Blog. Kaum jemand beschäftigt sich so detailliert mit der rechten Szene wie er: Maxime Weber*. Allerdings ist der luxemburgische Student auch mit Herausforderungen wie Mario-Kart-Rennen, WG-Partys und seinem Philosophiestudium konfrontiert. Der vierte und letzte Teil unserer Campus-Serie „Parallelwelt Studium“, die uns in Maximes Uni-Leben eintauchen lässt.

Der Tod, so schreibt Albert Camus in „Le Mythe de Sisyphe“, ist der „ultimative Missbrauch“. Denn zu sterben bedeutet letztlich „[…] für immer die purste aller Freuden zu verlieren, welche darin besteht, sich selbst und auf dieser Erde zu spüren“. Die Endlichkeit des Menschen ist eine maßlose Ungerechtigkeit, die durch nichts aufzuwiegen ist. Insofern lehnen wir uns erbittert gegen die Zeit auf, die uns langsam zerfallen lässt und uns unseres Glücks darüber beraubt, am Leben zu sein. In der Hoffnung, sie uns unterwerfen zu können, quantifizieren wir sie zu Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen und Wochen und teilen sie ein, um so möglichst viele erfüllende Erfahrungen aus der uns zustehenden Spanne hervorzuholen.

Diese Tendenz der Menschen hin zur möglichst effizienten Verwendung von Zeit stelle ich auch bei mir selbst fest – vor allem jetzt während meines Studiums. Pro Woche habe ich nur acht Stunden Unterricht an der Universität, und selbst wenn man noch die Lektüre von philosophischen Texten, Seminarvorbereitungen, Lesekreis und das Schreiben von Hausarbeiten am Ende des Semesters hinzurechnet, habe ich am Ende zugegebenermaßen noch immer unverschämt viel Freizeit zur Verfügung – vor allem im Vergleich zu Berufstätigen.

Aus der daraus resultierenden Ahnung heraus, dass ich nach Abschluss meines Studiums wahrscheinlich nie wieder so viel Raum zur Entfaltung haben werde, messe ich deswegen meinen Tag aus und versuche, ihn bis in den letzten Winkel mit Aktivitäten zu füllen, die ich neben meinem Studium noch als bereichernd oder sinnvoll erachte – also Lesen, an meinem Roman schreiben, Filme schauen, Musik hören, auf Konzerte oder in Museen gehen, die Stadt erkunden, zwischenmenschliche Beziehungen pflegen, bei der Organisation von Veranstaltungen helfen und so weiter und so fort. Auch die Zeit, die ich für die ärgerlichen Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens aufbringen muss, will ich dabei auf keinen Fall ins Leere laufen lassen. Auf die 40-minütige U-Bahnfahrt zur Universität nehme ich deswegen immer Bücher oder meine Nintendo Switch mit; das Warten in Behörden vertreibe ich mir damit, Nachrichten von Freunden zu beantworten; und wenn ich putze, führe ich mir nebenbei eines der Alben auf CD zu Gemüte, die schon seit Monaten ungehört auf meinem Schreibtisch vor sich hin darben.

Die Unverfügbarkeit des Glücks

Genau dieser Fokus auf das möglichst effiziente Aufteilen der mir zur Verfügung stehenden Zeit manövriert mich nun aber nicht wie erwartet in die maximale Menge an Glück, sondern eher in Frust und Enttäuschung hinein. Zunächst einmal komme ich, egal wie geschickt ich meine Zeit auch aufzuteilen vermag, nie hinter all dem her, das ich tun will. Irgendwann kommt deswegen der Punkt, an dem ich zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwägen und mich für jene entscheiden muss, von der ich glaube, dass sie mich in diesem Moment und in dieser spezifischen Situation am meisten bereichern wird. Das jedoch löst in mir die Angst aus, dass ich durch meine Wahl irrtümlicherweise eine Option ausschlage, die mir eigentlich mehr Erfüllung bringen würde, und schickt mich in eine Schockstarre, in der ich überhaupt nicht mehr fähig bin, irgendeine Entscheidung zu treffen.

Seit ich in Berlin lebe, hat sich diese Tendenz noch einmal verstärkt. Das liegt daran, dass die Stadt den eigenen Möglichkeitshorizont deutlich erweitert und so, wie ich bereits in meinem zweiten Artikel angedeutet habe, mit einer gerade unübersichtlichen Anzahl an Versprechen von bereichernden Erfahrungen aufwartet. Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine neue Kunstausstellung eröffnet, ein Konzert organisiert wird oder ein spannender Vortrag stattfindet, und insbesondere im Sommer laden die unzähligen Parks zum ausgiebigen Verweilen ein. Aber selbst wenn ich mich dann nach langem Hin und Her schlussendlich für etwas entscheide, muss ich oft feststellen, dass besagte Versprechen von Erfüllung oft nicht eingelöst werden. Resonanzerlebnisse – also jene transformieren-den Erfahrungen wechselseitiger Berührung zwischen uns und der Welt, nach denen wir stetig stre-ben und die Schönheit in sich tragen – zeichnen sich, so erläutert Hartmut Rosa in seinem Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (das meiner Meinung nach eines der bislang bedeutendsten Werke des 21. Jahrhunderts darstellt) nämlich gerade dadurch aus, dass sie ein Element der „Unverfügbarkeit“ in sich tragen. Wir können sie nicht erzwingen; versuchen wir, sie durch geschicktes Zeitmanagement zu akkumulieren – wozu uns die sozio-kulturellen und ökonomischen Bedingungen der Spätmoderne allzu gerne verleiten –, führt das nur dazu, dass sie sich uns stattdessen umso mehr entziehen und wir geradewegs in einen Zustand der Entfremdung hineintaumeln, in dem uns nichts anspricht.

Die Vorzüge der Kontemplation

Diese Unverfügbarkeit ist aber nicht ohne Vorteile – denn immerhin trägt sie die Möglichkeit in sich, dass bereichernde Erfahrungen auch in ungeplanten Momenten über uns hereinbrechen können. Das gelingt jedoch nur, wenn man Zeit nicht mehr als Ressource betrachtet, die man verwalten kann, und stattdessen wieder vermehrt Wert auf Muße und Kontemplation legt. Insofern ziele ich mittlerweile darauf ab, mir abzugewöhnen, Wartezeiten zwanghaft mit irgendwelchen Aktivitäten zu überbrücken und meinen Tag zu sehr mit Letzteren zu überfrachten. Stattdessen versuche ich, den Augenblick mit eigener Stimme sprechen zu lassen, indem ich meine Umgebung beobachte oder vor mich hinträume und meinen Gedanken freien Lauf lasse – wodurch sich die Dinge letztlich in einer überraschenden Schönheit offenbaren, die in der Hektik des Alltags gerne verloren geht.


*ZUR PERSON: Maxime Weber …

… wurde 1993 in Luxemburg geboren und schloss 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München seinen B.A. in Philosophie ab. Zurzeit absolviert er im selben Fach an der Freien Universität in Berlin seinen M.A. Seit 2011 berichtet er auf seinem Blog (der zunächst „Lorgthars mythische Schreibkammer“ hieß, ehe er 2014 in „Maxime Weber Blog“ umbenannt wurde) über die Aktivitäten der rechten Szene in Luxemburg. Im Mai 2018 erhielt er für diese Arbeit von der gleichnamigen Stiftung den „Prix René Oppenheimer“. Daneben schreibt er Prosa- und Songtexte; 2016 wurde seine Kurzgeschichte „Chaudron fêlé“ beim Jugendliteraturwettbewerb „Prix Laurence“ mit dem ersten Preis in der Alterskategorie 18-26 Jahre ausgezeichnet. Momentan sitzt er an einem Roman mit dem Arbeitstitel „Mnemosyne“. Außerdem dreht er hin und wieder Kurzfilme und ist bei diversen musikalischen Projekten tätig. Maxime war zudem Tageblatt-Praktikant.