Streit über die Knochen des Zaren

Streit über die Knochen des Zaren
Putin trifft Kyrill I., den Patriarchen von Moskau

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Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Die Russisch-Orthodoxe Kirche will auf ihrem Erzpriesterlichen Konzil über die Anerkennung der in St. Petersburg beigesetzten Überreste der Zarenfamilie entscheiden. Präsident
Putin wird an einigen der Beratungen teilnehmen.

Am Mittwoch ist ein Erzpriesterliches Konzil der Russisch-Orthodoxen Kirche unter Vorsitz des Patriarchen Kyrill von Moskau und ganz Russland in der Moskauer Erlöserkathedrale eröffnet worden.

Der russische Präsident Wladimir Putin

Zum ersten Mal will Präsident Wladimir Putin eine der Sitzungen, die bis nächsten Montag dauern, persönlich besuchen. Bisher fanden seine Begegnungen mit den höchsten kirchlichen Würdenträgern im Kreml statt.

Die Kirche sehe in dem betonten Interesse der weltlichen Behörden für das kirchliche Leben ein Zeichen für die Anerkennung der wichtigen Rolle in der modernen Gesellschaft, erklärte der Abteilungsleiter des Moskauer Patriarchats für Beziehungen zur säkularen Gesellschaft und den Medien, Wladimir Legoida. Putins Interesse liegt angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftsneuwahl auf der Hand.

Zentrales Thema sind die Jekaterinburger Knochen

Der formelle Anlass für die Einberufung des Konzils ist der 100. Jahrestag der Wiederherstellung des Patriarchenamts in Russland. Zu Themen, die Gemüter in Wallung bringen, zählen unter anderem das Treffen des Patriarchen Kyrill mit Papst Franziskus auf Kuba und somit die Beziehungen zur katholischen Kirche und zum Ökumenismus. Kyrill hatte sich das Treffen von orthodoxen Bischöfen nicht vorher bestätigen lassen. Nun soll das nachgeholt werden.

In der Orthodoxie gilt der Patriarch nur als „einer unter Gleichen“ und nicht als unfehlbar. Andere Tagesordnungspunkte betreffen Probleme mit der internationalen Stellung der Russischen Kirche und einen neuen Katechismus. Der zentrale Punkt ist aber die Anerkennung der sogenannten Jekaterinburger Überreste der Zarenfamilie, die 1998 in der St. Petersburger Peter- und Paulsfestung beigesetzt wurden.

Neubeisetzung in der Isaak-Kathedrale

Weltliche Behörden drängen darauf. Sie bereiten die Übergabe der größten russischen Isaak-Kathedrale an die Kirche vor. Die Beisetzung der kompletten Zarenfamilie dort in Anwesenheit des Patriarchen Kyrill würde als Krönung dieses Vorgangs erscheinen. 1998 hatte sein Vorgänger Alexi II. nur einen subalternen Vertreter des Patriarchats zur Beisetzung abkommandiert.

Die neue Zeremonie in der größten Kirche des Landes in Anwesenheit des Präsidenten Wladimir Putin in dessen Heimatstadt würde die erste Beisetzung unter seinem Vorgänger Boris Jelzin in den Schatten stellen. Vor Beginn des Konzils ließ Kyrill jedoch durchblicken, dass die Chancen für die Anerkennung der Echtheit der Jekaterinburger Knochen momentan nicht gut stehen.

Patriarch Kyrill: „Nichts ist vorentschieden“

Auf einer Konferenz über die Hinrichtung der Zarenfamilie sagte der Patriarch am Montag im Moskauer Sretenski-Kloster, die Haltung der Kirche stehe noch nicht fest. Sie werde im Kontext der Arbeit des Erzpriesterlichen Konzils und der Synode formuliert. „Nichts ist vorentschieden“, sagte der Patriarch. Die Erforschung der Überreste in den 1990er-Jahren sei intransparent gewesen. Die Kirche sei davon ausgeschlossen worden. Gewisse Ergebnisse seien erst in der letzten Zeit erzielt worden.

Er selbst habe der Verbrennung menschlicher Körper am offenen Feuer in Indien zugesehen. Deshalb müsse er bezweifeln, dass die Leichname der Angehörigen des Zaren Nikolaus II. im Juli 1918 im Wald verbrannt werden konnten. Vergleichende Genanalysen und dergleichen seien eine feine Sache, aber „die Kirche wird ihre Entscheidung endgültig nicht auf wissenschaftlichen Konferenzen, sondern beim Erzpriesterlichen Konzil suchen“, so Kyrill. Es handle sich nicht um Forschung schlechthin, sondern „um die geistliche Seite unseres Lebens und um die Gebeine der Heiligen Märtyrer“.

Wunder statt Genanalyse

Die Kirche darf sich das Risiko eines Fehlers nicht leisten. Die Anbetung falscher Heiligengebeine gilt als eine der schwersten Sünden. Sollten sich die Jekaterinburger Knochen einmal als unecht entpuppen, würde dies nicht Putin, sondern den Patriarchen treffen. Als Beweis für die Echtheit der Überreste dienen der Kirche nicht die Forschungsergebnisse, sondern Wunder. Haben die Jekaterinburger Knochen je einen unheilbar Kranken zum Leben wiedererweckt? Bisher war davon nichts zu hören.

Auch seien die Ausgrabungen bei Jekaterinburg von eklatanten Verstößen begleitet worden, sagte der Leiter der Synodalen Expertengruppe für Wunder, Pawel Florenski. In die Grube sei so viel Schwefelsäure geschüttet worden, dass sämtliche Knochen hätten aufgelöst werden müssen. Man habe aber darin fast komplette Skelette gefunden. Von wissenschaftlichen Ausgrabungen könne jedenfalls keine Rede sein. Es seien Goldgräbermethoden gewesen. In dieser Situation könne man sich nur auf das Gebet des Patriarchen verlassen.