„Sie schreien einfach die ganze Zeit“

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(dpa)

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In einem Lastwagen in Österreich erstickten vor zwei Jahren qualvoll 71 Flüchtlinge. Jetzt ist das Abhörprotokoll der beteiligten Schlepper veröffentlicht worden.

71 Flüchtlinge starben am 26. August 2015 in einem LKW, der an der österreichischen Autobahn abgestellt wurde. Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen elf Schlepper. Deutschen Medien liegt jetzt das Protokoll einer Telefonüberwachung vor, bei der die Gespräche der Schlepper während des Transports aufgezeichnet wurden. Live abgehört wurden die Männer nicht – sonst hätte das Drama wohl verhindert werden können.

Der Bulgare Ivajlo S. steuerte den Kühllaster, seine Landsmänner Todorov B. und Metodi G. sowie der Afghane Samsoor L. folgen in drei Autos und halten nach Polizeistreifen Ausschau. Alle vier telefonieren während der Fahrt – hier Auszüge des Protokolls, die vom Tagesanzeiger in der Schweiz veröffentlicht wurden.

Das Telefonprotokoll

Metodi G.: „Was ist los, Ivo?“

Ivajlo S.: „Sieh, was die machen. Sag denen, dass sie mit dem Blödsinn aufhören sollen.“

Metodi G.: „Klopfen sie etwa?“

Ivajlo S.: „Sie haben an der Tankstelle sehr stark geklopft. Scheiße, oh, mein Gott!“

Die Menschen im Wagen sind in Todesangst. Der Kohlendioxidgehalt steigt. Die Türen lassen sich nur von außen öffnen. Nach 70 Minuten Fahrt telefonieren zwei der Begleiter miteinander.

„Sie sind Abschaum!“

Metodi G.: „(…) Ivo soll den LKW weiter­fahren. Er soll so tun, als ob er sie nicht hört. Ihr werdet nicht auf einer Tankstelle, sondern auf einem Rastplatz halten.“

Todorov B.: „Ja, aber dort gibt es auch Leute. (…) Hinten an der Tür steht einer und leuchtet mit der Lampe von einem Handy, und man kann sehen, wohin er leuchtet. (…) Ich weiss nicht, wo wir anhalten ­können, um Diesel einzufüllen. Was können wir machen? Sie sind Abschaum!“

Metodi G.: „Sie können nicht atmen. Er (Samsoor L., die Red.) sagt mir, dass du auf einem Parkplatz anhalten sollst. (…) Und innerhalb von einer Sekunde sollst du ihnen das Wasser zuwerfen und ihnen sagen, dass sie nicht reden sollen. Und du sollst danach so tun, als ob du sie nicht hörst.“

Metodi G. telefoniert dann mit Samsoor L., dem Afghanen, und schließlich wieder mit Todorov B.

Samsoor L.: „Er kann ihnen kein Wasser geben. Sag ihm, er soll nur weiterfahren. Und falls sie ­sterben sollten, soll er sie dann in Deutschland im Wald abladen.“

(…)

Todorov B.: „Sie schweigen nicht.“

Metodi G.: „Die werden schweigen, wenn ich es dir sage. Nur so lange, damit der Mann etwas Di­esel in den Tank füllen kann. Und danach soll er nirgendwo mehr anhalten, sogar wenn die Personen so lange und so viel klopfen sollten, bis sie tot sind.“

„Sie schreien einfach“

Der LKW fährt weiter, um 6.16 Uhr sprechen der Fahrer und Metodi G. miteinander.

Ivajlo S.: „Wenn sie weiter so klopfen, wird man es an der Grenze hören. Dort gibt es Polizei. (. . .)“

Metodi G.: „Ich denke, dass sie keine Luft be­kommen, ich bin mir 100 Prozent sicher, es ist weniger das Wasser und der Durst das Problem. (. . .) Du sollst weiterfahren, dass ist das Wichtigste.“

Ivajlo S.: „Sie schreien einfach die ganze Zeit, du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, wie sie schreien.“

An der Grenze sind alle Passagiere tot. Am Mittag des 27. August, noch in Freiheit, telefonieren Samsoor L. und Metodi G. noch einmal.

Samsoor L..: „Weißt du, was passiert ist? (…) Dieser Lastwagen vom Meister, der Volvo. Man hat gehört, dass die Hälfte der Leute ­gestorben ist.“ (Anrufer lacht)

Metodi G.: „Gestorben?“

Samsoor L.: „Die Hälfte der Leute ist ge­stor­ben, ja.“

(…)

Metodi G: „Ts ts ts.“