Großregion„Freunde lässt man nicht alleine“: Helfer aus der Region bringen bald zum achten Mal Hilfsgüter in die Ukraine

Großregion / „Freunde lässt man nicht alleine“: Helfer aus der Region bringen bald zum achten Mal Hilfsgüter in die Ukraine
Geliefert wie versprochen: Bei einer ihrer Fahrten in die Ukraine haben die Helfer um Matthäus Wanzek (ganz rechts) im Oktober 2022 ein Kinderkrankenhaus in Charkiw unterstützt. Foto: Privat

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Ein inzwischen in Saarburg (D) lebender Betriebswirt hat zunächst im Sauerland angefangen, Spenden für die kriegsgebeutelten Ukrainer zu sammeln – und sie auch vor Ort gebracht. Daraus ist inzwischen ein vielköpfiger Verein geworden, der bald zum achten Mal aufbricht, um Hilfsgüter tief in den Osten des Landes zu bringen.

So kann man dem Verein helfen

Auch für die bald anstehende Fahrt in die Ukraine kann der Verein „Viele Hände für Hoffnung“ noch Hilfe gebrauchen. Derzeit vor allem noch in Form von zwei Transportern. Wer ein solches Fahrzeug für rund zwei Wochen ausleihen kann, kann sich beim Vereinsvorsitzenden Matthäus Wanzek telefonisch melden (unter +49 176/80526504) oder per E-Mail (matthaeus.wanzek@web.de). Wanzek versichert dem Tageblatt gegenüber, dass alle bisher entliehenen Fahrzeuge völlig intakt wieder aus der Ukraine zurückgekehrt sind.

Ansonsten freut sich der Verein natürlich auch über Geldspenden: Damit werden unter anderem auch vor Ort noch Hilfsgüter gekauft, die an die Menschen in der Ukraine verteilt werden (Stichwort: Mission Charkiw / Sparkasse Trier / Kontonummer: 1144450 / IBAN: DE67 5855 0130 0001 1444 50 / BIC: TRISDE55XXX).

In guten wie in schlechten Zeiten, so fühlt sich Matthäus Wanzek (39) der Ukraine verbunden. Nein, verheiratet ist der 39-Jährige, der inzwischen in der Region Trier wohnt, natürlich nicht mit dem 44-Millionen-Einwohner-Land, aber er führt doch eine lang andauernde Fernbeziehung, die auch die schweren Zeiten überdauert – und die als Urlaubsflirt angefangen hat: Der Betriebswirt, der im Hauptberuf derzeit bei Saarburg ein Autohaus aufbaut, hat nämlich die Ukraine ganz persönlich für sich entdeckt. 2005 war das, also längst noch zu Friedenszeiten, die aber vielen Freunden und Bekannten schon seinerzeit nicht geheuer genug waren: „Viele Bekannte haben mich da gewarnt“, erinnert er sich heute, nachsichtig kopfschüttelnd. „Du hast sie doch nicht mehr alle, sagten die, und dass da alles voller Mafiosi sei!“ Solche Vorurteile haben ihn aber nicht beirrt – zum Glück. Denn was er vor Ort vorgefunden habe, sei unendlich viel positiver gewesen:

„Natürlich war die Ukraine wirtschaftlich in einem schlechteren Zustand, als ich das aus Westeuropa kannte. Und genau darum war ich umso beeindruckter von der Gastfreundschaft und aufrichtigen Offenheit der Menschen“, sagt Wanzek und erzählt beispielhaft von einem Landwirt, der sich kurzerhand mehrere Tage Zeit genommen habe, um dem Besucher die Schönheiten des Landes näherzubringen, mit der viele Menschen früher nur Tschernobyl verbanden und heute das Grauen des Krieges.

So hat Wanzek das Land rund zehnmal besucht und dabei schon Grundkenntnisse in der Landessprache gewonnen – bis dann das kam, was nicht für viele Beobachter, sondern auch für ihn eine schockierende Zäsur darstellte: der Überfall Russlands und der Einmarsch in die Ukraine. Die Bilder des rücksichtslosen Vorgehens und seiner Folgen überforderten ihn zuerst. Dann freute er sich über die große Hilfsbereitschaft im Westen, gewann aber auch den Eindruck, dass vieles „gut gemeint, aber nicht gut gemacht“ war. Und da sei der Entschluss gereift, selbst auch tätig zu werden – und seine Fähigkeit zu nutzen, ein Projekt auf seine Einzelschritte herunterzubrechen, um diese stringent abzuarbeiten: „Als gelernter Großhandelskaufmann weiß ich, wie man Kontakte herstellt, Bedarfe und Sachstände abfragt und eine Logistik aufbaut – das ist ja im Endeffekt nichts anderes als im Handel!“

Der pragmatische Ansatz ging auf – in einem ersten Transport voller Hilfsgüter, der mit 30 Helfern zusammengestellt wurde, ist Wanzek schon im März 2022 ins polnisch-ukrainische Grenzgebiet gefahren. Allerdings habe man festgestellt, dass der größere Bedarf an Hilfe eher tiefer im Land liegt. „Und so haben wir beschlossen, dahinzufahren, wo unsere Hilfe wirklich gebraucht wird.“ Bei einer weiteren Fahrt wurden in Charkiw, der zweitgrößten Metropole des Landes, darum die entsprechenden Kontakte gesucht – und gefunden.

Und tatsächlich: In manchen Gegenden tiefer im Osten sei die Ankunft der Helfer des inzwischen gegründeten Vereins „Viele Hände für die Hoffnung“, der aus der sauerländischen Initiative „Lennestadt hilft“ hervorgegangen ist und dem längst eine große Zahl Helfer zuarbeitet, eine sehr willkommene Premiere gewesen: „In manchen Dörfern hatte man noch nicht mal das Rote Kreuz gesehen“, sagt Wanzek. Tatsächlich seien viele Hilfsgüter wohl ganz gezielt im Westen der Ukraine verblieben – ohne böse Absicht, wie Wanzek betont: „Die Idee dahinter ist offenbar: Wenn es im Osten richtig kracht, brauchen wir die Dinge hier für die dann ankommenden Flüchtlinge.“

Die Helfer aus Deutschland im Angesicht der Zerstörung
Die Helfer aus Deutschland im Angesicht der Zerstörung Foto: Privat

Trotzdem habe der Verein den Gedanken, seine Hilfe da anzubieten, wo sie am meisten gebraucht wird. In einem aktiven Kriegsgebiet unterwegs zu sein, birgt natürlich Gefahren. Wanzek betont aber, dass man nicht leichtsinnig sei: „Das ukrainische Militär prüft im Vorfeld, wann wir wohin können.“ Ständige Alarme und auch den Donner von Raketeneinschlägen und Artillerie kennt man längst aus eigenem Erleben, genau wie die Ansicht von trostloser Zerstörung und menschlichen Notlagen. In einem Film des SWR zeigt Wanzek routiniert, wie er sich ein „Tourniquet“ anlegt, eine Vorrichtung, um etwa schussverletzte Extremitäten abzubinden und so das schnelle Verbluten zu verhindern. Gebraucht hat es, bisher, keiner der Helfer.

Die Frage, ob das nicht entmutigend und irgendwie sinnlos sei, inmitten von so viel Chaos und Zerstörung gerade einmal ein paar Lastwägen mit Kleidung, Lebensmitteln oder medizinischen Hilfsmitteln auszuliefern, verneint Wanzek vehement: „Zur konkreten humanitären Hilfe für ja doch 3.000 bis 4.000 Menschen kommen ja noch einmal Zehntausende Menschen, die von uns hören und wissen: Hier kommen Menschen aus dem fernen Deutschland und die denken an uns und helfen uns, das gibt so viel Hoffnung.“

Wanzek gibt zu, dass die inzwischen monatelange Hilfsarbeit durchaus an die Substanz geht: „Ich habe eigentlich seit anderthalb Jahren kein Privatleben mehr. Aber Freunde lässt man ja nicht alleine!“ Besonders beeindrucken Wanzek die vielen Menschen vor Ort, die nicht den Luxus haben, immer wieder in die Sicherheit einer unbeschadeten Heimat zurückfahren zu können – etwa die Dozentin Angela Denisenko von der Universität in Charkiw, die seit Jahren mit ihrem Sohn im Keller der Hochschule nächtigt, um von da praktisch nonstop ebenfalls Hilfsgüter in der Region zu verteilen oder bei Evakuierungen zu helfen. Ein Vater-Sohn-Gespann, das im oft auch noch verminten Terrain Haustiere versorgt, die evakuierte Einwohner zurücklassen mussten, wird mittlerweile ebenfalls von den Helfern aus Deutschland unterstützt, auch bei der jetzt anstehenden Tour: Vom 10. Juni bis 23. Juni 2023 ist der achte Transport angesetzt. Mit einem Lastwagen und acht leichteren Transportern wollen 18 Freiwillige tonnenweise Hilfsgüter in die frontnahen Gebiete bei Charkiw und Slowjansk bringen.