Nach Umfragen-HochDiskussionen um Eindämmung der AfD: Merz macht Gendersprache für Erstarken mitverantwortlich

Nach Umfragen-Hoch / Diskussionen um Eindämmung der AfD: Merz macht Gendersprache für Erstarken mitverantwortlich
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz macht die Gendersprache für das Erstarken der AfD mitverantwortlich – und kassiert dafür eine Rüge Foto: dpa/Michael Reichel

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Warum sind die Umfragewerte für die AfD so hoch? Die Suche nach Antworten durch die anderen Parteien macht einmal mehr deutlich, wie groß die Unterschiede bei der Betrachtung der Lage sind.

Wie reagieren die drei Ampelparteien in Deutschland? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht als Grund für den Umfrage-Höhenflug der AfD vor allem die Unsicherheit in krisenhaften Zeiten. Auch angesichts des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien in anderen europäischen Ländern stelle sich für ihn die Frage „Warum gibt es solche Schlechte-Laune-Parteien?“, sagte er am Wochenende in Hamburg. „Wir leben in einer Zeit der Umbrüche, in der ganz viele Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern nicht so sicher sind, ob die Zukunft auf ihrer Seite ist und ob sie eine haben.“ Das schaffe Unsicherheit „und Resonanz für Parteien, die schlecht gelaunt das Vergangene loben“.

Intern drückte Scholz aufs Tempo und mahnte Einigungen beim Heizungsgesetz und dem schwelenden Haushaltsstreit der Regierung noch vor der Sommerpause an. Ziel von Scholz ist es, das Heizungsgesetz in der nächsten Parlamentswoche im Bundestag aufzusetzen, die am 12. Juni beginnt. Der Haushalt wiederum soll am 5. Juli im Kabinett besprochen werden. Ob der Zeitplan gehalten werden kann, ist noch unklar.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert betonte in einem Statement, das unserer Redaktion vorliegt: „Wir wissen auch, dass die letzten Wochen kein Paradebeispiel für tolle politische Debatten waren. Für die Zukunft muss gelten: Probleme nach innen klären, Politik nach außen sorgfältig erklären und deutlich machen, dass wir gemeinsam an den besten Lösungen für unser Land arbeiten. So wie es die Ampel in der Energiekrise erfolgreich geschafft hat.“

19 Prozent, wie die SPD

Die AfD hat in den Umfragen ein neues Allzeithoch erreicht und liegt nun gleichauf mit der SPD. Erstmals kam die Partei im „Sonntagstrend“ des Instituts Insa für die „Bild am Sonntag“ auf einen Wert von 19 Prozent. Das waren zehn Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr, und es ist der höchste Wert, den ein Meinungsforschungsinstitut bislang für die AfD gemessen hat. Die SPD kam ebenfalls auf 19 Prozent.

Die Vorsitzende der Grünen rief am Sonntag dazu auf, einen langen Atem zu haben und nicht nur auf die nächsten Umfragen zu schauen. „Und wenn Klimaschutz einfach wäre, könnten wir das Politikern wie Markus Söder überlassen“, sagte Ricarda Lang beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen in Münster mit Blick auf den bayerischen CSU-Ministerpräsidenten. Die letzten eineinhalb Jahre mit dem Krieg in der Ukraine haben laut Lang das „fulminante Scheitern der fossilen Politik von SPD, CDU und CSU gezeigt“. Jetzt das neue Gebäudeenergiegesetz sein zu lassen, mit Blick auf die nächste Wahl, sei keine Lösung.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr wiederum glaubt nicht, dass Streit in der Ampel ausschlaggebend für die Entwicklung ist. „Es ist gut und richtig, dass es klare Unterschiede zwischen den demokratischen Parteien gibt. Nur dann haben die Menschen eine echte Wahlmöglichkeit.“ Man solle nicht der Erzählung der AfD auf den Leim gehen, alle demokratischen Parteien wollten ohnehin das Gleiche.

Andere Töne gab es naturgemäß von der Opposition. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz warf der Ampel-Koalition vor, durch eine generell bürgerferne Politik und Dauerstreit das Erstarken der AfD befördert zu haben. „Eine schwache und beständig streitende Regierung löst Gegenreaktionen aus“, schrieb der CDU-Chef in seinem Newsletter „MerzMail“. „Mit der AfD können die Bürgerinnen und Bürger heftige Denkzettel verpassen.“

Merz macht Grüne verantwortlich

Für die Denkzettel-Stimmung machte Merz vor allem die Grünen verantwortlich, die „mit ihrer penetrant vorgetragenen Volkserziehungsattitüde auf besonders starken Widerstand“ stießen – etwa in der Debatte um identitätspolitischen Sprachgebrauch. „Im normalen Leben beschäftigen sich die Menschen nicht mit ,Indianern‘ und ,Mohrenstraßen‘, sondern mit Inflation und Wohnungsnot“, schrieb Merz.

Und der CDU-Chef ging noch weiter: „Die Union wird die politische Kultur unseres Landes wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir lassen uns nicht verängstigen von einer engstirnigen Meinungselite.“ Sprach’s und nahm sich sogleich den Gebrauch geschlechterneutraler Sprache vor. „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Gegenderte Sprache und identitäre Ideologie würden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr nur im Stillen abgelehnt. „Sie werden als übergriffig empfunden – und wieder hat die AfD ihre klammheimliche Freude daran.“

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, warf Merz daraufhin Populismus „auf Kosten Tausender Journalistinnen und Journalisten“ vor. „Das Gendern ist Ausdruck einer zutiefst demokratischen Grundhaltung, Menschen unabhängig von Geschlecht, Identität, Herkunft und Einstellungen gleichzubehandeln“, erklärte Überall. „Darin ein Stimmenbeschaffungsprojekt für die Demokratiefeinde der AfD zu sehen, ist politisch wirr.“