Alain spannt den BogenDie absolute Kunst lebender Legenden

Alain spannt den Bogen / Die absolute Kunst lebender Legenden
Anne Sophie Mutter, Klavierpartner Lambert Orkis und Cellist Maximilian Hornung Foto: Erik Engel

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Beide sind sie Superstars der Klassikszene und begeistern seit Jahrzehnten das Publikum in aller Welt. Und beide scheinen sie immer besser zu werden. Sie, Anne Sophie Mutter, mittlerweile auch schon 60 Jahre alt, steht seit 48 Jahren auf der Bühne und jeder ihrer Auftritte lebt immer noch von höchster Intensität und einer atemberaubenden Spieltechnik. Er, Herbert Blomstedt, ist mit 95 Jahren der Nestor unter den Dirigenten und aktiv wie eh und je. Jedes seiner Konzerte löst wahre Beifallsstürme aus. Beide gastierten nun innerhalb von wenigen Tagen in der Philharmonie.

Anne Sophie Mutter trat zusammen mit ihrem langjährigen Klavierpartner Lambert Orkis und dem Cellisten Maximilian Hornung auf. Der erste Teil des bis auf den letzten Platz ausverkauften Konzerts war dem Klaviertrio gewidmet. Hier standen sich das Geistertrio op. 70/1 von Ludwig van Beethoven und das zeitgenössische Geistertrio des amerikanischen Komponisten Sebastian Currier gegenüber.

Beethovens Geistertrio erlebte dann ab den ersten Takten eine makellose Aufführung, die einerseits durch absolute Präzision, Ausgewogenheit und Klangschönheit begeisterte, andererseits durch Spielfreude, Expressivität und musikalischen Drive zu einem ganz besonderen Moment in Sachen Kammermusik wurde.

In der Tat, die drei Musiker schienen an diesem Abend wirklich Lust zu haben, außergewöhnliche Musik zu machen. Sebastian Curriers neunsätziges Geistertrio zitiert zwar die Geister aus der Vergangenheit – zu hören sind sehr kurze Fragmente aus Trios von Beethoven, Mendelssohn, Schubert und Brahms, die alle nur wie Geister kurz vorbeihuschen – um dann aber einer eigenständigen, tollen und leicht zugänglichen Musik Platz zu machen.

Curriers Ghostrio ist wunderbar komponiert, abwechslungsreich und durch die neun kurzen Sätze wohlausbalanciert. Auch wenn das Werk leicht zugänglich ist, so ist es eine ernst zu nehmende Komposition, die ein großes Können und eine wunderbar vielseitige Ausdruckspalette aufzeigt.

Auch hier kann man das Spiel von Mutter, Hornung und Orkis nur einmalig und außergewöhnlich nennen. Um neben einer Weltklassegeigerin bestehen zu können, braucht es schon einiges an Können und Persönlichkeit. Maximilian Hornung wies sich als erstklassiger Cellist aus, der tolle Klänge aus seinem Instrument herausholen kann. Im Gegensatz zu Mutters leuchtender Violine bietet Hornungs bassfreudiges, dunkeltimbriertes und warmes Spiel ein exzellentes Pendant.

Der Schattenmann

Lambert Orkis ist ein Pianist, den man international gerne übersieht, weil er eigentlich nie im Rampenlicht steht, sondern anderen Solisten ein treuer, wertvoller und hellhöriger Begleiter ist und somit meistens in deren Schatten agiert. Sein Spiel an diesem Abend war allerdings auf Weltklasseniveau. Bereits in den beiden Trios konnte Orkis mit seinem einerseits nuancierten und zurückhaltenden, andererseits sehr expressiven und virtuosen Spiel auftrumpfen.

Welch hervorragender Musiker Orkis ist, das konnte man dann nach der Pause noch intensiver erleben. Hier standen nämlich zwei Werke für Violine und Klavier auf dem Programm. Sowohl bei Clara Schumanns Romanzen op. 22 und der 3. Violinsonate von Johannes Brahms spielt das Klavier eine eminent wichtige Rolle.

Orkis begeisterte auch hier in jedem Moment und erwies sich als ein gleichwertiger Partner für Anne Sophie Mutter, die an dem Abend eines der schönsten und besten Konzerte spielte, die ich bisher von ihr gehört habe. Das war Weltklasse in jeder Note! Zum Schluss gab es für das begeisterte Publikum dann noch eine Zugabe; Mutter und Orkis spielten eine Melodie aus Cinderella Liberty von John Williams, einem Komponisten, zu dem Anne Sophie Mutter, genauso wie zu Sebastian Currier, ein sehr enges musikalisches Verhältnis hat. Und es ist schön, zu sehen, dass es solche Interpreten/Komponisten-Seilschaften immer noch gibt, denn gerade zeitgenössische Komponisten brauchen Musiker wie Anne Sophie Mutter, damit ihre Werke überhaupt wahrgenommen und geschätzt werden.

Ein unantastbarer Meister

Wenn man bedenkt, dass Herbert Blomstedt bereits 1954 mit dem Philharmonischen Orchester Stockholm seine nun mehr fast 70-jährige Dirigentenkarriere begann, so ist das eigentlich unfassbar. 70 Jahre Musik, 70 Jahre Konzerte mit den besten Orchestern der Welt, einfach wahnsinnig. Und erlebt man Herbert Blomstedt heute, so kann man von der Frische seines Musizierens und der Ausgewogenheit seiner Interpretationen nur ins Schwärmen geraten.

Bei Blomstedt fließt die Musik von selbst, seine Interpretationen besitzen eine Schlichtheit und Natürlichkeit, eine Demut und Virtuosität, die heutzutage ihresgleichen suchen. Das liegt natürlich auch an den Musikern. Denn jedes Orchester gibt für diesen Mann einfach alles.

So auch das Chamber Orchestra of Europe, das hochkonzentriert, klangschön und mit absoluter Präzision auf die Wünsche seines Dirigenten reagierte. Auf dieser Mini-Tournee hatten Blomstedt und das Chamber Orchestra of Europe Franz Berwalds 4. Symphonie „Naïve“ und Felix Mendelssohn-Bartholdys 3. Symphonie „Schottische“ im Gepäck, zwei Werke, die sich durch ihre thematische Nähe zu Natur sehr gut ergänzten. Berwald ist heute noch immer ein etwas unterschätzter Komponist, doch hinter der melodiösen Schlichtheit, insbesondere in den ersten beiden Sätzen, seiner 4. Symphonie verbergen sich so manche neue und für die damalige Zeit gewagte Einfälle.

Blomstedt dirigierte das Werk dann auch im Sinne einer Natursymphonie, mit runden Akzenten, pastellförmigen Klangfarben, klassischer Schönheit und wunderbar herausgearbeiteten Soli. Kein Zweifel, Blomstedt ist ein Meister der alten Schule. Das merkte man auch bei Mendelssohns 3. Symphonie. Dennoch gelang es ihm, wie beispielsweise im 2. Satz, die volkstümliche Stimmung viel prägnanter, markanter und tänzerischer einzufangen als andere Dirigenten.

Was dann aber auch Blomstedts Sinn für moderne Ansätze zeigte. Die Melodien klangen nie altbacken, die Musik nie träge, sondern immer und in jedem Moment richtig. Vor allem gelang es dem Dirigenten, Berwald und Mendelssohn mit einer gehörigen Portion Frische und Entdeckerlust zu entstauben und sie trotz aller klassischen Schönheit dann am Ende doch ziemlich modern und aktuell erscheinen zu lassen. Dank des wunderbaren Spiels des Chamber Orchestra of Europe und natürlich Dank der großen, aber sehr bescheidenen Persönlichkeit Herbert Blomstedts wurde dieses Konzert dann zu einem mit Recht mit Standing Ovations bejubelten Konzerthighlight.