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Forum / Atomkraft, ja bitte?
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Anfang des Jahres 2023 lieferten weltweit 439 Kernreaktoren in 33 Staaten um die 10% der global genutzten Elektrizität. Mit dem nunmehr vollzogenen Totalausstieg der Bundesrepublik Deutschland schrumpfte die Zahl der Atommeiler auf 436 in 32 Staaten.

Dennoch steht eine Renaissance der Atomkraft bevor. 55 neue Reaktoren sind im Bau, viele mehr in Planung in allen Teilen der Welt. Massive Kapazitätserweiterungen erfolgen in Indien und China. Argentinien und Brasilien wollen zusätzliche KKW in Betrieb nehmen. Die USA und Kanada setzen verstärkt auf Atomkraft. Südkorea ebenfalls. Selbst das Fukushima-geschädigte Japan plant eine Erweiterung seiner nuklearen Produktion.

Die Türkei vollendete gerade ihren ersten Reaktor. Saudi-Arabien und die Vereinigte Arabische Republik wollen für die Zeit nach Öl ihre Energie- und Wasserversorgung mittels Atomkraft abdecken. (Weltweit gibt es bereits rund 20.000 Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser, mit Nuklearstrom am günstigsten zu bewerkstelligen.)

Die Russen bauen ihre Anlagen aus. Die Ukraine hat entsprechende Pläne für die Zeit danach. Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowenien, Kroatien setzen verstärkt auf Atomenergie. Finnland hat erfolgreich einen EPR-Reaktor in Betrieb genommen. Großbritannien baut zwei EPR in Hinkley Point, die nach Fertigstellung 7% des britischen Energiebedarfs liefern sollen. Schweden stieg aus dem geplanten Ausstieg wieder aus. In der Schweiz wurde bei einer Volksabstimmung die vorzeitige Schließung der KKW verworfen. Belgien verlängerte die Laufzeit einiger Anlagen. Auch in den Niederlanden ist kein Ausstieg mehr vorgesehen. Die neue Regierung plant einen Neubau.

In Frankreich, das ohnehin zwei Drittel seiner Stromversorgung nuklear abdeckt, hat eine breite politische Mehrheit neue Investitionen beschlossen. Für sechs neue EPR-Reaktoren gab es bereits grünes Licht. Acht weitere sind in Planung. Die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke wurde für zehn Jahre verlängert. Eine neue Rechtsnorm soll dem Guerilla-Krieg der Rekurse gegen KKW-Standorte ein Ende bereiten. Für Nuklear-Zentralen gilt künftig die „présomption de raison impérative d’intérêt public majeur“. Das gilt auch für Cattenom, sollte die Forderung des lokalen Bürgermeisters auf Bau einer EPR-Anlage neben den bestehenden vier Reaktoren in Erfüllung gehen.

Rehabilitierung durch Klimapolitik

Weltweit, selbst in Europa, findet ein „Comeback“ der Atomenergie statt. Die für den kanadischen Wissenschaftler Vaclav Smil „the most succesfull failure“ war. Weil die ursprünglich in die Fission gesetzten Hoffnungen sich nach Tschernobyl und Fukushima verflüchtigten. Doch ausgerechnet die Klimapolitik rehabilitiert die Kernkraft. Die von allen Energieträgern den geringsten Impact auf die Zunahme der Klimagase hat.

Nur im mächtigen Großherzogtum Luxemburg bleibt die Regierung stramm antinuklear. Vom Premierminister über den Außenminister bis hin zum Energieminister mehren sich beherzte Aussagen gegen die nuklearen Pläne der europäischen Partnerstaaten. Wie so oft glauben die „gescheiten“ Luxemburger, alles besser zu wissen.

Dabei sagt selbst der Weltklimarat IPCC, ohne eine verstärkte Nutzung von Atomkraft (sowie Abscheidung und Speicherung von CO2) seien die Pariser Klimaziele nicht zu erreichen.

Gerade die „nuklearfreie“ Bundesrepublik liefert dazu den Beweis. Die weggefallenen 30 Terawattstunden Elektrizität, bislang von den letzten drei Kernkraftwerken geliefert, müssen nach Berechnungen der Londoner Energie-Plattform ICIS durch 20% mehr Stromimporte kompensiert werden. Der oft aus französischen, belgischen oder tschechischen Kernkraftwerken kommen wird. Zur Aufrechterhaltung der Netzspannung muss Deutschland zusätzliche Kohle- und Gas-Kraftwerke bereitstellen. Trotz enormer Investitionen in Sonnen- und Windenergie ist die deutsche Klimabilanz viel schlechter als jene von Nuklearstaaten wie Frankreich, Schweden oder der Schweiz.

Laut der FAZ vom 10.3.23 gab es letztes Jahr „deutlich mehr Kohlestrom im Netz“ der Bundesrepublik. „Jede dritte Kilowattstunde stammte 2022 aus Kohlekraftwerken. Ein Plus von 8,4%.“ Über die Hälfte der deutschen Elektrizität kam von fossilen Trägern sowie von Kernenergie.

Letztere fällt nunmehr aus. Wobei unser wackerer Energieminister Turmes sich anmaßte, die „12.000 Megawatt Kohle“, die „Deutschland diesen Winter laufen ließ“, der „verfehlten Energiepolitik“ Frankreichs anzukreiden. Frankreich habe, so Turmes am 15.4.23 im Tageblatt, nicht genügend in Sonnenenergie investiert und sei wegen Wartung seiner Atomkraftwerke nicht in der Lage gewesen, den Deutschen mit Strom auszuhelfen.

Ein Blick auf die Schautafeln von „electricitymap“, einer Internetseite, die die Elektrizitätsproduktion aller europäischen Länder stündlich, täglich, monatlich und jährlich misst, zeigt für das Jahr von Mai 2022 bis Ende April 2023 eine durchschnittliche Karbonintensität von 46 Gramm CO2 pro Kilowattstunde in Frankreich, gegen 394 Gramm CO2 pro Kilowattstunde in Deutschland. Die Franzosen produzierten 29% ihres Stroms erneuerbar (Wind, Wasser, Biomasse), dazu 63% nuklear. Die Deutschen produzierten 60% erneuerbar (Wind, Sonne, Wasser, Biomasse), dazu 4% nuklear. Das letzte Drittel mittels Kohle und Gas.

Problem atomarer Müll

Die Gegner von Kernkraft verweisen auf das ungelöste Problem der nuklearen Abfälle. Die vitrifiziert für eine halbe Ewigkeit in unterirdischen Endlagern entsorgt werden müssen. In manchen europäischen Staaten, etwa Russland, Schweden, Finnland, gibt es bereits gesicherte Endlager. In anderen werden mögliche Endlager durch grüne Aktivisten verhindert. Wobei laut Minister Habeck Deutschland nicht daran vorbeikommt, ein Endlager zu schaffen für den radioaktiven Müll seiner stillgelegten Meiler.

Es sei denn, man setzt auf vielversprechende Entwicklungen in der Reaktortechnologie. Der menschliche Erfindergeist verbessert immer wieder seine Technologien.

So entwickelte das Berliner Institut für Kernphysik das Konzept eines „Dual-Fluid-Reaktors“. Der so ausgelegt ist, dass die gefürchtete „Kernschmelze“ unmöglich wird. Beim Überschreiten einer kritischen Temperatur stoppt die atomare Kettenreaktion automatisch. Ein solcher Reaktor könnte jedes spaltbare Material nutzen. Dessen Strahlung nach Verwendung so weit reduziert wäre, dass Langzeit-Endlager überflüssig würden. Da im „atomfreien“ Deutschland selbst Kernforschung nicht mehr geduldet wird, wurde das Konzept an die kanadische „Dual-Fluid-Energy Inc.“ verkauft.

In China, Russland, Korea, den USA und Kanada wird intensiv an Reaktoren der „vierten Generation“ geforscht. „Schnelle Neutronen“ sollen die langlebigen Inhaltsstoffe des Atomabfalls in neu nutzbare Spaltprodukte umwandeln. Laut Fritz Vahrenholt („Die große Energiekrise“) ist das russische Brüterkonzept „BREST“ am weitesten fortgeschritten. In der Region Tomsk ist ein 300-MW-Reaktor in Bau, der mit Hilfe schneller Neutronen die Rückstände aus abgebrannten Brennelementen zur Stromerzeugung nutzen soll. Die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant. China hat bereits drei heliumgekühlte Hochtemperatur-Reaktoren auf Thorium-Basis in Betrieb. Die nach dem in Deutschland erfundenen, aber aufgegebenen Konzept des Kugelhaufen-Reaktors funktionieren.

In den USA arbeitet die von Bill Gates mitbegründete Firma Terrapower an Reaktoren, bei denen der spaltbare Brennstoff in 600 Grad heißem, geschmolzenem Salz verteilt wird. In diesem „Molten Salt Reactor“ werden keine Brennstäbe mehr durch Wasser gekühlt. Die Spaltreaktion findet direkt im Primärkreislauf statt. „Bei Überhitzung kühlt sich der Reaktor von selbst ab, da sich die Salzschmelze dann ausdehnt und die Neutronen auf weniger spaltbare Atome treffen, was die Kettenreaktion bremst.“ (Vahrenholt).

Frösche und Ochsen

Auch wenn die Frösche der großherzoglichen Regierung sich wie in Aesops Fabel zu Ochsen aufblasen, wird dies den größeren Rest der Welt nicht beeindrucken. In allen großen Ländern, den USA, China, Indien, Japan und Korea, wird technologieoffen agiert. Geforscht wird an allen Energietechnologien, von Erneuerbaren über Wasserstoff bis hin zu schnellen Neutronen oder Kernfusion. Nur deutschsprachige Europäer glauben, die Zukunft mit Verboten gestalten zu können. Wird nichts werden.

In „Wie die Welt wirklich funktioniert“ schreibt Vaclav Smil, „seit Beginn der Neuzeit“ ist die Geschichte eine „außergewöhnlich schnelle Abfolge von Übergängen auf neue Energiequellen“. „Die moderne Welt (ist ein) kumulatives Ergebnis der durch sie ermöglichten Umwandlungen.“

Effektiv belegt die Energie-Geschichte, dass jede Energiequelle – Holz, Kohle, Erdöl, Erdgas – abgelöst wurde von solchen mit einer höheren Energiedichte. Deshalb steht eine Renaissance der Nuklearenergie bevor. Reaktoren nehmen viel weniger Raum ein als Erneuerbare und haben eine viel größere Leistung. Selbst eine steigende Zahl Luxemburger begreift dies.


 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Zum Autor

Der Autor ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter

Grober J-P.
17. Mai 2023 - 9.41

@ JJ/ Strand: Fazit, Frankreich z.B. müsste alle 5 AKWs an der Atlantikküste abschalten? Die Übungen wurden von "Leuten" durchgeführt. Menschen machen eben Fehler, und Raketen tja, also einfach nur Schicksal? Tcherno bereits nach 8 Jahren Betrieb schon marode? Was ist mit den "wirklichen" Kosten eines AKWs? Die neuen, besseren "Energiequellen" sind momentan noch nicht bereit, es wird ja noch geforscht, meint auch der Robert.

JJ
16. Mai 2023 - 8.58

@Grober, es ist weder schlau noch ratsam ein AKW an den Strand zu bauen(Fuku) noch mit Raketen darauf zu schiessen (Ukraine). Es war nicht das Erdbeben sondern der Tsunami und in Tcherno war es eine marode Anlage mit unverantwortlichen Betreibern die eine unsachgemäße Übung durchführten.Die ihnen dann um die Ohren flog.

Grober J-P.
15. Mai 2023 - 13.05

@JJ// "Tchernobyl und Fuku waren hausgemachte Katastrophen." Das AKW in der Ukraine hausgemacht, weil,weil, weil? Fukushima, na ja, die Japaner waren bestimmt verantwortlich für's Erdbeben?

Grober J-P.
15. Mai 2023 - 11.41

Bitte mal nachrechnen H. Minister A.D. was kostet uns ein AKW?

Andy B.
14. Mai 2023 - 16.51

Was hier komplett ausser Acht gelassen wird, ist der Kostenfaktor und die Ressourcenbeschaffung. KKW sind schlicht unrentabel und schrauben den Energiepreis hoch. Ausserdem macht er nur Sinn, wenn man eigenes Brennmaterial verfügt. Technologieoffenheit bedeutet nur, sich diesen Fragen nicht stellen zu müssen. Am Ende zahlt der Verbraucher wegen verfehlter Enetgiepolitik drauf. Das hat die jetzige Energiekrise gezeigt hat, ist, dass Abhängigkeit ausgedient hat.

Phil
14. Mai 2023 - 13.18

Et ass ëmmer e Genoss dem Rob Goebbels seng Artikel ze liesen. Hien ass en buedemständegen Mann, sammelt an evaluéiert Fakten, lieft dofir am Présent an net an enger Pippi Langstrumpfwelt wéi esouvill aner politesch Margréiderchersplëcker.

canis-lupus
13. Mai 2023 - 18.53

wat eng Idii.. an da könnt dee grousse BOUOUOUM.........

JJ
13. Mai 2023 - 15.04

Wenn man so hysterisch bei Kohle reagiert hätte wie bei AK,dann wäre die CO2 Bilanz besser.Tchernobyl und Fuku waren hausgemachte Katastrophen. AKW´s sind kein Spielzeug und sie müssen unterhalten werden. Deutschland und Luxemburg im Alleingang in dunkle/kalte Zeiten. Die modernen AKW´s sind sicherer und auch der Abfall kann in Rubiatoren "entschärft" werden.An der belgisch-französischen Grenze wird einer gebaut. Sogar ein James Lovelock,Vater der Umweltbewegung,war bereit einen abgebrannten Kern als Energielieferanten zu nutzen.Wenn´s denn erlaubt wäre.Möglich wäre es. Wir kämpfen gegen CO2 und legen AKW´s lahm während Kohle weiter brennt und sogar Holzkraftwerke als grün bezeichnet werden weil,Bäume wachsen ja wieder nach.. Logik sieht anders aus.