FinnlandPremierministerin Sanna Marin will bei den Parlamentswahlen am Sonntag ihr Amt verteidigen

Finnland / Premierministerin Sanna Marin will bei den Parlamentswahlen am Sonntag ihr Amt verteidigen
Die finnische Regierungschefin Sanna Marin führt mit ihren Sozialdemokraten in Umfragen gleichauf mit zwei anderen Parteien Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

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Am Sonntag finden in Finnland Parlamentswahlen statt. 5,5 Millionen Einwohner zählt das Land, in dem über die 200 Sitze des Nationalparlaments entschieden wird.

Das Podest der finnischen Premierministerin und Wahlkämpferin Sanna Marin ist niedrig und in Rot gehalten. Nahe an den Menschen präsentiert sich somit die Sozialdemokratin in Finnlands Fußgängerzonen wie Einkaufszentren. Viele junge Menschen strömen zu ihr, sie ist ein Star der Medien sowie der sozialen Medien. Die 37-Jährige spricht viel von Werten wie Gemeinschaft und warnt vor der Opposition, vor allem vor den rechten „Basisfinnen“. Mit ihnen könnte Finnland „sich von der internationalen Zusammenarbeit abwenden“.

Vor den Parlamentswahlen stehen drei Parteien in den Umfragen gleich auf, darunter sind die regierenden Sozialdemokraten (SDP), die bürgerlich-liberale „Nationale Sammlungspartei“ (KoK) und die „Basisfinnen“ (PS). Letztere stehen weit rechts, die Sozialdemokraten wollen mit ihnen nicht koalieren, die Bürgerlichen behalten sich dies vor.

KoK wirft Sanna Marin vor, mit 1,5 Milliarden Euro aus den Sozialversicherungen auf Kosten der Ärmsten den Haushalt sanieren zu wollen. Das Finanzministerium hat in einer Analyse angemahnt, dass in den nächsten vier Jahren sechs Milliarden Euro eingespart werden müssen.

Daneben bewegen die Menschen im Land die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die schlechte Situation des Gesundheits- und Bildungssystems, der Klimawandel und die Sicherheitspolitik. Bei letzterer sind sich auf den ersten Blick alle einig. Der anstehende NATO-Beitritt des lange bündnislosen Landes – es fehlt nur noch die Ratifizierung des türkischen Parlaments – findet eine breite Unterstützung im Parlament. Anfang März stimmten nur sieben Abgeordnete gegen eine Mitgliedschaft, die einen russischen Angriff an der 1.340 Kilometer langen Grenze abhalten soll.

Allerdings könnte Sanna Marin wegen ihres eigenmächtigen Handelns in der Sicherheitspolitik Stimmen verlieren. Jüngst schlug sie dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, der Ukraine finnische Kampfflugzeuge des Typs „Hornet“ zu überlassen. Selbst ihr Koalitionspartner, die Zentrumspartei, kritisierte die Sozialdemokratin öffentlich dafür, da sie den Vorschlag nicht mit den Regierungsparteien abgesprochen hatte. Bislang sind keine Jets westlicher Bauart von den Unterstützern der Ukraine in das von Russland attackierte Land geliefert worden. In der Diskussion sind derzeit auch eine NATO-Basis in Finnland. Dagegen stellen sich Linke, Grüne und die „Basisfinnen“.

Die Sozialdemokratin, die in einer breiten Koalition mit der agrarischen „Zentrumspartei“, den Grünen, dem „Linksbündnis“ und der liberalen „Schwedischen Volkspartei“ regiert, konnte während der Corona-Pandemie überzeugen. Zur Strategie gehörten selektive Restriktionen, umfassende Tests und eine digitalisierte Arbeitswelt, die die Umstellung zum Homeoffice erleichterte.

Rechte „Basisfinnen“ setzen ebenfalls auf eine Frau

Mit 34 Jahren wurde die Politologin Sanna Marin die jüngste Regierungschefin in Europa. Mit ihrer regen Aktivität in den sozialen Medien entspricht sie dem Lebensgefühl vieler jungen Finninnen und Finnen, die auch zu den Wahlkampfveranstaltungen strömen. Die Boulevardzeitung Ilta Sanomat fragt sich jedoch, ob die Anziehung politischen Inhalten oder primär der medialen Popularität geschuldet ist.

Auch die rechten „Basisfinnen“ sind mittlerweile im Land, wo Feminismus als Staatsdoktrin gilt, mit einer Frau am Start. Die 44-jährige Riikka Purra, wie Marin Politologin und Mutter, ist seit zwei Jahren Parteivorsitzende und soll den „Basisfinnen“ mehr weibliche und gemäßigte Wähler bescheren. Darum rückte Purra von dem eigentlichen Ziel der Partei, einem EU-Austritt, wieder ab und verlangt stattdessen „schärfere Positionen“ ihres Landes in Brüssel. Mittels cooler TikTok-Auftritte einiger Abgeordneter konnten die Rechtspopulisten, einst eine Partei älterer Männer, bei jungen Wählerinnen und Wählern punkten. Anlass für Purras politisches Engagement sei ein sexueller Übergriff gewesen. Der Zuzug von Migranten und Asylsuchenden soll nach ihrem Willen stark eingeschränkt werden. Ein emotionales Thema sind die ausländischen Pflegekräfte und Krankenschwestern, die über keine oder nur wenig Sprachkenntnisse verfügen. Finnland ist neben Italien die am meisten überalterte Gesellschaft der EU.

Bei den lauten Auseinandersetzungen in Fernsehdebatten zwischen Purra und Marin hält sich der 53-jährige Petteri Orpo, der bereits als Innen- wie Finanzminister gewirkt hatte, zumeist mit einem Lächeln zurück. Der eher blass wirkende Kandidat der „Nationalen Sammlungspartei“ verspricht 100.000 neue Arbeitsplätze und eine Sanierung des überschuldeten Haushalts durch mehr Marktwirtschaft. Ein wichtiger Grund für den Erfolg der konservativ-liberalen Partei ist jedoch der sehr populäre Staatspräsident Sauli Niinistö, der auch mit dem leicht reizbaren türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gut konnte und so den NATO-Beitrittsprozess vorantrieb.