GesundheitVerpuffter Applaus: Vier Krankenpfleger erzählen von ihrem Alltag nach der Pandemie

Gesundheit / Verpuffter Applaus: Vier Krankenpfleger erzählen von ihrem Alltag nach der Pandemie
In einem sind sich alle Befragten einig: Der Applaus während der Pandemie hat auf Dauer nichts gebracht Foto: Editpress/Julien Garroy

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Vier Pflegerinnen und Pfleger erzählen dem Tageblatt von den Nöten in ihrem Berufsalltag. Seit der Pandemie sei alles schlimmer geworden, sagen Francine, Marc, Tom und Fabien unisono. Auch sonst sparen sie nicht mit Kritik. Ihre richtigen Namen wollten sie nicht in der Zeitung lesen.

Francine geht auf ihre 60 zu und arbeitet seit den späten 1980ern als Anästhesiepflegerin. 2016 hat sie den Fachbereich gewechselt. „Wir stehen immer unter Druck“, sagt Francine.

Seit Jahren wiederholen wir immer dasselbe: Dass der Beruf interessanter werden muss, damit der Nachwuchs garantiert ist. Das hat mit den Arbeitsbedingungen zu tun, aber auch mit der Anerkennung der Diplome.

Während der Pandemie standen wir im Mittelpunkt. Die Öffentlichkeit schien zu erkennen, was wir leisten. Aber verändert hat sich kaum etwas. Die Arbeitsbelastung ist weiter sehr hoch. Uns fehlt immer noch ein informatisches Werkzeug, das die Patienten-Dossiers bündelt. Damit es ein für alle Mal nur noch ein Dossier pro Patienten gibt und man nicht alles immer doppelt machen muss. Das würde uns im Berufsalltag viel Zeit sparen. Es wurde uns bereits versprochen, wurde aber nie realisiert. In anderen Ländern gibt es das längst.
Eine Krankenpflegerin verbringt heute sehr viel Zeit am Computer – ganz nach dem Motto: Was nicht aufgeschrieben ist, ist nicht gemacht. Diese Zeit – und das wird immer mehr Zeit – fehlt am Bett des Patienten. Von der Politik fühle ich mich vor allem bei der Anerkennung der Diplome missverstanden, dort wurde nie auf uns gehört.

Das wird ein Loch reißen, das dicke Ende kommt hier noch in zwei, drei Jahren

Die Arbeitsbedingungen haben sich seit dem Abklingen der Pandemie nicht verbessert. Wir stehen immer unter Druck, und in dieser Zeit so kurz nach Covid ist das Personal noch müde und erschöpft. Eine Folge sind viele Krankenscheine. Andererseits, und das ist noch schlimmer, haben viele dem Beruf den Rücken zugekehrt. Sie arbeiten jetzt in Altersheimen oder sind auch ganz aus der Pflege raus. In naher Zukunft werden zudem die ganzen Babyboomer, wie ich eine bin, in Pension gehen. Gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs. Das ist eine dreifache Bedrohung – und das wird ein Loch reißen, das dicke Ende kommt hier noch in zwei, drei Jahren.

Der Nachwuchs ist rar. Bei unseren Nachbarn in Frankreich, Belgien und Deutschland gibt es nichts mehr zu holen, die haben schon alles gegeben. Wir müssen demnach von noch weiter weg rekrutieren. Das Sprachenproblem, wenn das Personal nicht aus Luxemburg ist, wird so verstärkt. Die ältere Population hierzulande kommt da oft nicht mehr mit.


Marc ist seit 20 Jahren im Beruf und versteht nicht, warum es so schwierig ist, die Leistungen seines Berufsstandes anzuerkennen. „Es wird immer Menschen brauchen, die sich um Menschen kümmern“, sagt Marc.

Es hat sich wenig geändert. Während Covid haben wir viel Gehör gefunden. Aber das waren anstrengende Jahre, die Leute schleppen das noch mit. Dass man den Eindruck hat, nichts habe sich verändert, drückt umso mehr auf die Stimmung. Viele suchen nach Alternativen, um aus dem Krankenhaus herauszukommen. Dass wir Schichten arbeiten müssen, ist klar, aber manchmal schwer für das Privatleben. Es ist aber auszuhalten, wenn die Arbeitskonditionen halbwegs stimmen. Doch das ist nun einmal immer weniger der Fall. Um normal arbeiten zu können, bräuchten wir viel mehr Personal auf den Stationen. Wenn etwas Unvorhersehbares passiert, und das ist in einem Krankenhaus regelmäßig der Fall, fehlt es sofort an Personal. Und das kann nicht sein! Ich vergleiche das gerne mit der Feuerwehr – du musst immer davon ausgehen, dass es einen Großbrand gibt, also brauchst du auch immer das Personal für den Fall eines Großbrandes. Für verschiedene Bereiche wie die Neonatologie, die Intensivpflege oder die Notaufnahme gilt das umso mehr. In diesen Bereichen müssen Mindestdotationen vorgesehen sein. Dort können wir die zu jedem Zeitpunkt optimale Pflege nicht garantieren.

Das Administrative erdrückt uns. Wir haben uns in Luxemburg noch immer nicht auf ein System zur Patientenerfassung geeinigt. Jeder kocht da sein eigenes Süppchen – was für uns aus einer geplanten Entlastung letzten Endes eine zusätzliche Belastung macht. Am Ende fehlt dann die Zeit beim Patienten. Alles, was mit Menschen zu tun hat, lässt sich nicht immer informatisch oder statistisch genau erfassen. Es muss Zeit bleiben, mit dem einen oder anderen Patienten zu reden oder auch nur zu plaudern. Patienten fordern immer mehr Informationen und Aufklärung, und das ist ihr gutes Recht! Die Gesellschaft nach Covid ist, so mein Eindruck, einerseits weniger tolerant und andererseits fordernder. Einige Kolleginnen und Kollegen haben den Beruf gewechselt, weil sie sagen, dass nur mehr wenig Geduld zwischen Personal und Patienten besteht.

Während der Pandemie wurden wir, na ja, bemitleidet – aber mit dem Klatschen wurde nicht viel erreicht. Gerade in Luxemburg gäbe es aber den finanziellen Spielraum, um etwas zu verbessern. Die Gesundheitspolitik gehört wesentlich besser gesteuert, als das heute der Fall ist.

Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, was wir wollen – diesen Beruf wird es immer brauchen

Bereits heute würde unser System ohne die Grenzregionen und das Ausland zusammenklappen, das ist bekannt. Ob in Zukunft noch immer so viele zu uns arbeiten kommen, bezweifele ich stark. Die Arbeitsbedingungen sind zwar noch besser als im nahen Ausland. Aber die Menschen haben immer längere Arbeitswege, verbringen viel Zeit im Stau. Da wir fast alle Schichtdienste haben, bleiben kaum Alternativen zum Auto – und das Autofahren wird immer teurer. Irgendwann lohnt es sich nicht mehr, von weit weg hierhin zu pendeln, zumal die Regierungen der benachbarten Länder, durch finanzielle Entschädigungen, versuchen, die Arbeitnehmer in Ihrem Gesundheitssystem zu halten. Zusätzlich haben wir seit Jahren ein immer größer werdendes Problem damit, genug Nachwuchs für den Beruf zu finden.

Trotz alledem: Ich würde den Beruf heute noch mal machen. Er ist vielseitig, er ist technisch und trotzdem am Menschen orientiert – und man tut etwas Gutes. Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, was wir wollen. Diesen Beruf wird es immer brauchen. Roboter werden das nicht übernehmen. Es wird immer Menschen brauchen, die sich um Menschen kümmern. Vielleicht muss man die Leute gezielt auf diesen Beruf hinsteuern. Es ist wie mit der Polizei und der Feuerwehr, ohne die geht es nicht, ohne uns auch nicht.


Tom ist seit etwas mehr als 20 Jahren im Beruf. Seit der Pandemie habe sich einiges verändert, sagt er, allerdings nur zum Schlechten hin.

Den Personalmangel hatten wir bereits vor der Pandemie. Als Covid dann kam, waren die Leute zu über hundert Prozent im Einsatz, sie haben alles gegeben. Homeoffice gibt es bei unseren Berufen nicht. Wir wurden gefeiert und bekamen Applaus. Aber die sogenannten „Helden“ wurden nicht gehört, als sie sagten, dass es ihnen seit langem an Man- und Womanpower mangelt. Sie bekamen für eine kurze Zeit Verstärkung, doch dieses Zusatzpersonal ist seit einiger Zeit wieder weg, die Zeitverträge längst gekündigt. Es wurde leider kein Geld dauerhaft in mehr Personal investiert!

Jetzt, nach der Pandemie, ist es eigentlich noch schlimmer geworden – alle sind müde und erschöpft, und nichts hat sich verändert! Die verlegten OPs und Behandlungen mussten alle nachgeholt werden, zu dem laufenden Geschäft dazu! Burnouts häufen sich.

Die Krankenhausvereinigung warnt aber in ihrem „Weißen Buch“ nur vor einem Ärztemangel. Ich kann nur sagen: Bei uns ist es nicht besser – in ein paar Jahren steht auch niemand mehr am Bett des Patienten. Die Personalschlüssel auf unseren Stationen sind viel zu knapp bemessen. Es gibt noch immer keine Minimaldotationen und keine Vorschriften, welche Diplome auf hoch spezialisierten Einheiten und in welchem Maße vorhanden sein müssen. Manchmal machen wir Dienste zu dritt, bei denen wir mindestens zu fünft sein müssten. Wir sind chronisch unterbesetzt, doch das interessiert die CNS, die Direktionen der Krankenhäuser und die Krankenhausvereinigung FHL leider wenig.

Wir haben einen Beruf gelernt, der eine soziale Ader hat, aber unser Alltag besteht aus schreiben, schreiben, schreiben

Auf Ministeriumsebene wird mit aller Kraft versucht, die Krankenpfleger kleinzuhalten. Niemand darf mit mehr als einem Bachelor-Diplom eingestuft sein. Bei der Reform der Ausbildung und der daran hängenden Einstufung der Diplome wurde bewusst auf dem Bachelorniveau gedeckelt, obwohl bei einigen nach internationalen Kriterien längst Master-Niveau gegeben werden müsste. Auch dies wird in den nächsten Jahren motivierte Leute davon abhalten, unsere Berufe zu erlernen.

Unser Alltag besteht aus schreiben, schreiben, schreiben. Das wird leider immer mehr ein administrativer Job. Wir haben einen Beruf gelernt, der eine soziale Ader hat. Uns geht es darum, an und mit Menschen zu arbeiten. Jetzt hast du das Gefühl, es ist ein Bürojob und du machst den ganzen Tag überall Kreuze und Häkchen. Wichtiger scheint es, das Dossier in Ordnung zu haben, damit Statistiken gezogen werden können, als dass du nach dem Menschen schaust. Die Zeit für deine wahre Berufung fehlt immer mehr. Ich verbringe inzwischen die Hälfte meiner Arbeitszeit hinter dem Computer. Hier bräuchten wir endlich zusätzliches administratives Personal auf den Pflegestationen, um uns wieder voll und ganz unserer Arbeit widmen zu können.

Ein Beispiel? Bei jedem Verbandwechsel müssen wir eine Wunddokumentation erstellen. Das nimmt enorm viel Zeit, diese Dokumentationen sind viel zu detailliert. Ich weiß nicht einmal, ob sich irgendwer das anschaut, was wir da täglich festhalten. Aber wenn etwas geschehen sollte, so reibt man es uns unter die Nase, schaue der Richter darauf – und ohne Dokumentation wäre man dann dran. Das ist Angstmacherei. Regelmäßig sitzen Kolleginnen und Kollegen noch nach Dienstschluss hier, um die Dokumentationen der Schicht abzuschließen. So brennen sie der Reihe nach aus. Ein Zeichen sind die zahlreichen Überlastungsanzeigen der vergangenen Monate. Das sind Briefe an die Direktion, in denen Pfleger und Teams erklären, dass sie die Verantwortung gegenüber dem Patienten nicht mehr garantieren können und sie deswegen die Sicherheit des Patienten in Gefahr sehen.

Die Ansprüche der Patienten und ihrer Angehörigen sind stark gestiegen mit den Jahren, die Pandemie hat dieser Entwicklung scheinbar noch einmal Auftrieb gegeben. Viele scheinen zu denken, ein Recht darauf zu haben, alles verlangen zu können. Es ist nicht einfacher geworden mit der Zeit und schaut auch nicht so aus, als würde es einfacher werden. Umso mehr wird es höchste Zeit, dass sich etwas bewegt.


Fabien ist seit zehn Jahren im Beruf – und gehört zu jenen, die ihn jetzt an den Nagel hängen. „Zeigt bitte ein bisschen Verständnis für das Gesundheitspersonal“, rät er Politik und Patienten.

Ich werde den Job bald wechseln. Ich will aus dem „Hospitalier“ raus, mir reicht es nach zehn Jahren. Das ist schade, aber unumgänglich für mich. Der Beruf ist noch derselbe, noch gleich schön und gleich gut, und ich mache ihn immer noch gerne. Aber alles ist schwieriger geworden, und ich glaube nicht, dass sich die Situation bald verbessern wird. Der Arbeitsaufwand ist derart gestiegen, dass es keinen Spaß mehr macht. Das hat mich raus aus dem Spital getrieben – jetzt habe ich bald geregelte Arbeitszeiten und weniger Stress.

In dem Bereich, in dem ich arbeite, wurde expandiert. Neue Räumlichkeiten, mehr Personal – und heraus kam trotzdem eine nochmals höhere Arbeitslast. Eigentlich ist einfach alles mehr geworden. Wir verbringen viel weniger Zeit am Bett des Patienten als bei meinem Arbeitseintritt vor zehn Jahren. Das ist keine besonders lange Zeitspanne – doch die Unterschiede sind frappierend. In dieser Periode sind wir erst vom Papier auf den Computer umgestiegen und dann von einem Programm auf das nächste. Das Ergebnis: mehr Büroarbeit, weniger Zeit mit dem Patienten.

Ich werde den Job bald wechseln, mir reicht es nach zehn Jahren

Während der Pandemie bekamen wir von allen Seiten viel Verständnis. Uns wurde sogar öffentlich applaudiert! Das war schön und hat gutgetan, aber nachhaltig war das halt leider nicht. Alles ist verpufft.
Man merkt, dass auch wieder viel mehr Leute in die Notaufnahmen kommen, die nicht dahin gehören, weil es sich nicht um Notfälle handelt. Es fehlt an Geduld, es fehlt an Respekt und es fehlt an Dankbarkeit – all das hat mit der Pandemie krass zugenommen, sowohl bei den Patienten wie bei ihren Familien. Anfangs habe ich mich gefragt, ob nur ich das so empfinde, ob es also vielleicht an mir liegt. Aber nein, nach vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen konnte ich feststellen, dass ich nicht allein bin mit dieser Einschätzung, dass alle das so sehen. Man bekommt weniger oft ein „Merci“.

Wie sich das ändern soll, weiß ich nicht. Während der Pandemie hat die Regierung Kampagnen lanciert. Wie eben jene, dass uns applaudiert werden soll. Ich sage nicht, dass das notwendig war – aber es hat gezeigt, dass sich die Menschen so erreichen lassen. Da ist damals was angekommen. Vielleicht könnte man neue Sensibilisierungskampagnen starten, die den Menschen sagen: Leute, zeigt bitte ein bisschen Verständnis für das Gesundheitspersonal!

K.Jo
22. März 2023 - 15.44

Es ist alles nachzuvollziehen was geschrieben wird. Ich bin Grenzgänger und habe die letzten Wochen gesehen wie die Zugführer,Flugbegleiter, Piloten und und und gestreikt haben und diese auch durchgezogen haben...auch auf Kosten ihrer anvertrauten Menschen....und es hat funktioniert. Die betroffenen Reisenden haben sich geärgert aber der grösste Teil hat Verständnis gezeigt. Was würde passieren wenn wir dies tun würden? Alleine unsere Ethik verbietet es alles Stehen und Luegen zu lassen und Hr. oder Fr. XYZ nicht zu pflegen egal in welcher Situation. Dazu kommt doch noch dass unser Berufstand der Pflege mit den verschiedenen Fachdisziplinen gar kein Ständig in der Gesellschaft hat.... Was denken die Menschen was Pflege ist? Nur ein bißchen Blutdruck messen, waschen und Hintern abputzen? Es ist soviel mehr....klar kann jeder Pflegen...es kann auch jeder Autos reparieren oder Wände streichen. Aber das Ergebnis zählt und dass ist in unserem Metier wichtig, da es im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheiden kann. Wir sind es doch die beim Patient sind und ihm nach einer schrecklichen Nachricht beistehen..die versuchen den Lebensabend zu verschönern und dir letzten Stunden die Hand halten. Was wären die Krankenhäuser / Altenheime / Pflegestationen ohne UNS....? Gebäude ohne Funktion..... Ich denke es geht uns nicht nur drum mehr zu verdienen, sondern auch Planungsicherheit bei der Arbeitszeit, genügend qualifiziertes Personal zu haben und Anerkennung und Respekt für unsere Leistungen zu erhalten. Politik denke nach...auch ihr werdet uns brauchen....