EU-UkraineSymbolträchtiger Gipfel in Kiew

EU-Ukraine / Symbolträchtiger Gipfel in Kiew
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj geleitet die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, aus dem Sitzungssaal Foto: Ukrainian presidential press-service/AFP

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„Solange es nötig ist“, will die EU die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffskrieges unterstützen. Deshalb reisten die Spitzen aus Brüssel zu einem Gipfel nach Kiew, um unter Sirenengeheul ein Zeichen zu setzen.

Die Klaviatur der Signale und Symbole beherrscht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch an diesem Freitag in der Ukraine perfekt. Nicht allein die Entscheidung, diesen EU-Ukraine-Gipfel statt in Brüssel dieses Mal in Kiew stattfinden zu lassen, also mitten in Kriegszeiten mitten im Kriegsgebiet, lädt die Erwartung der ukrainischen Regierung in Sachen EU-Perspektive zusätzlich auf. Auch auf die Hoffnung von Präsident Wolodymyr Selenskyj, die EU möge sozusagen dafür sorgen, dass seine Landsleute in den schwersten und dunkelsten Tagen der Nation ein Licht am Ende des Tunnels sehen, hat sich von der Leyen vorbereitet: „Zusammen bringen wir Licht in die Ukraine“, sagt sie bei ihrer Ankunft.

Dabei überreicht sie eine kleine Pappschachtel mit Energiesparlampen. Sie steht für ein Geschenk, das in jeder ukrainischen Familie ankommen soll: 35 Millionen LED-Birnen für die notleidenden Haushalte. Jeder könne seine alten Glühbirnen gegen LED-Lampen bei der Post umtauschen, teilt von der Leyen mit – und bringt damit zugleich ein weiteres Mittel gegen den russischen Angriffskrieg in Stellung. „Jedes eingesparte Kilowatt Energie ist wertvoll, um Russlands Energiekrieg zu begegnen“, schreibt sie im Kurznachrichtendienst Twitter.

Die EU wird die Ukraine und das ukrainische Volk gegen den anhaltenden russischen Angriffskrieg unterstützen, solange es nötig ist

Gemeinsame Erklärung der EU und der Ukraine

Bei den mit Geld für Brüssel leicht zu sendenden Signalen hat sich die EU zum Gipfeltreffen einiges einfallen lassen. So verkündet David McAllister, Chef des Auswärtigen Ausschusses des Europa-Parlamentes, dass die Ukraine nicht nur bereits an Wissenschafts-, Forschungs- und Digitalisierungsprogrammen der EU teilnehme, nicht nur ihre Beteiligung an weiteren Programmen, wie Katastrophenschutz oder Binnenmarkt vorbereitet werde, sondern dass soeben auch beschlossen worden sei, die dafür normalerweise fälligen finanziellen Beiträge nicht zu verlangen – „rückwirkend ab dem 1. Januar 2021 und bis auf Weiteres“.

„Beeindruckende Fortschritte“

Es soll in kleinen Details konkret machen, was als großer Bogen den Besuch überspannt: Die erneuerte Zusage der EU-Spitzen, den Beitrittsprozess für die Ukraine in Gang zu bringen. Die beiden Präsidenten überbieten sich dabei geradezu in der Wortwahl. „Wir werden Euch unterstützen auf jedem Schritt auf Eurer Reise zur EU“, versichert EU-Ratspräsident Charles Michel nach seiner Ankunft am Freitag. Am Vortag hatte von der Leyen das Treffen von 15 Kommissarinnen und Kommissaren mit den ukrainischen Regierungsmitgliedern ebenfalls bereits mit der Absicht verbunden, „zu zeigen, dass die EU so fest wie eh und je zur Ukraine steht“.

Wie fast zu erwarten, begleitet Moskaus Präsident Wladimir Putin den Gipfel in dem Land, das er weiterhin zu unterwerfen versucht, auf seine Weise: Er lässt Bomber aufsteigen, worauf die ukrainische Luftabwehr Alarm auslöst. Auch in Kiew. Statt Bilder von strahlenden EU-Spitzen in herzlicher Umarmung mit ihren Gastgebern bei leichtem Schneefall und Sonnenschein vor markanten Gebäuden gibt es erst einmal Videos von Politikern, die von Schutzkommandos eiligst in die Bunker gebracht werden, bis die Lage geklärt ist.

Für Selenskyj ist das eine nachdrückliche Illustrierung, unter welchen Bedingungen es der Ukraine in kürzestmöglicher Zeit gleichwohl gelungen sei, die Bedingungen der EU für eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und deren schnellstmögliche Beendigung innerhalb von zwei Jahren zu erfüllen. In der Tat lobt von der Leyen „beeindruckende Fortschritte“ und zeigt sich „beruhigt“ darüber, wie wachsam die ukrainischen Antikorruptionsbehörden seien.

Territoriale Frage ist entscheidendes Problem

Zwar wird sich die Ukraine bei ihrem Weg in die EU nicht hinten anstellen müssen. Doch vor der Aufnahme stehen erst einmal Bewertungen der Kommission in diesem Frühjahr und noch einmal im Spätsommer, dann mit viel Glück intensive Verhandlungen auf allen Politikfeldern, die Übernahme Zehntausender von EU-Vorgaben in ukrainisches Recht und die Klärung aller territorialen Fragen. Genau das ist jedoch das entscheidende Problem. Denn während des Gipfels bestimmen Berichte über russische Vorbereitungen einer weiteren Großoffensive mit Zehntausenden von Soldaten und neuen Waffen die Lage-Einschätzung.

Schon zuvor hatten die EU-Diplomaten bei der Ausarbeitung der Gipfel-Erklärung aus dem Textvorschlag, die Ukraine habe bei den nötigen Reformen „beträchtliche Fortschritte“ erreicht, die deutlich reserviertere Formulierung gemacht, die Ukraine habe hier „beträchtliche Anstrengungen“ unternommen.

So bleibt es denn vor allem bei der Psychologie als Hauptzweck und wesentlicher Inhalt des Gipfels im Krieg, verbunden vorerst mit der vorbereiteten Versicherung: „Die EU wird die Ukraine und das ukrainische Volk gegen den anhaltenden russischen Angriffskrieg unterstützen, solange es nötig ist.“ Was auch immer das in welcher Situation und unter welcher Entwicklung bedeutet.