Kulturhauptstadt 2023Unterwegs in Veszprem und am Balaton

Kulturhauptstadt 2023 / Unterwegs in Veszprem und am Balaton
Der Charme der Provinz: Nach Esch/Alzette in Luxemburg ist Veszprem mit der Balaton-Gegend 2023 Kulturhauptstadtregion Europas Foto: dpa/Kovács Bálint/Ungarisches Tourismusamt/HTA

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Kulturmanager Can Togay spürt bereits das Kribbeln der Vorfreude, im nächsten Jahr Gäste aus aller Welt quasi vor dem eigenen Wohnzimmer zu begrüßen. „Ich teile gerne das Erlebnis und die Liebe zur Region“, sagt der Ungar, der einst als Schauspieler mit Stars wie Isabelle Huppert vor der Kamera stand und Professor für Filmstoffentwicklung an der Filmuniversität von Babelsberg war.

Heute fungiert er als künstlerisch-kreativer Chefberater des ungarischen Kulturhauptstadtprojekts, mit dem die Europäische Union 2023 ausnahmsweise wieder eine Region adelt: die Stadt Veszprem und ein weitläufiges Gebiet um den Balaton (deutsch = Plattensee), der vielen Sommerurlaubern ein Begriff sein dürfte.

Charme der Provinz in Veszprem

Veszprem dagegen, eine 60.000-Einwohner-Stadt, ist ein weißer Fleck auf der Besucherlandkarte und wohl vor allem Sportinteressierten ein Begriff. Der örtliche Handballclub ist auf europäischem Spitzenniveau und in Ungarn vielfacher Meister und Pokalsieger.

Sonst aber dominiert hier der Charme der Provinz. Im Haus der Künste läuft zur Zeit meines Ortsbesuchs eine Gemäldeausstellung in intimen Räumen; ebenso klein und fein ist der Konzertsaal, in dem sich eine Pianistin auf ihren Auftritt vorbereitet.

Im Burgviertel sucht man eine klassische Burg vergeblich. Blumenkübel stehen vor Fassaden in Gelb und Rosa. Ein Aussichtspunkt gibt den Blick frei auf die Höhenzüge des Bakonygebirges.

Stopps beim Stadtbummel sind die Basilika St. Michael, die Dreifaltigkeitssäule, der alte Feuerturm und ein Bronzebildnis, auf dem Michael den Teufel besiegt. Wie viele Städte zuvor hofft Veszprem durch den Titel der EU auf einen Aufschwung: Seit der Bekanntgabe der Kulturhauptstadtregion laufen Initiativen gegen den Leerstand in der City, neue Lokale und Weinbars entstanden.

Würde man auf den ersten Blick nicht vermuten, aber diese Schmuckstücke sind aus Kaffeekapseln hergestellt
Würde man auf den ersten Blick nicht vermuten, aber diese Schmuckstücke sind aus Kaffeekapseln hergestellt Foto: dpa/Andreas Drouve

Kein Nepp, dafür Schmuck aus Kaffeekapseln

Jeden zweiten Sonntag steigt auf dem Hauptplatz ein Markt, wo es nach Käse und Würsten riecht – und nicht nach Touristennepp.

Ein Hingucker ist der Stand von Magdolna Sasvari. Die Künstlerin verwandelt benutzte Kaffeekapseln in Broschen, Diademe, Ringe oder Kerzenhalter. „Die Ketten verkaufen sich am besten“, sagt sie. Und manchmal trinkt sie Kaffee nicht nach der Geschmacksnote, sondern nach der Farbe der Kapseln, die sie für die Arbeit braucht.

Das Leitmotiv Kunst treibt ein Stück aus Veszprem hinaus zur Porzellanmanufaktur Herend, die zu den bedeutendsten in Europa zählt. Das Museum der Manufaktur zeigt eine üppige Kollektion aus Vasen und Tassen, Krügen und Figuren. In den Schauwerkstätten verfolgt man die Handarbeit. Die Zier- und Gebrauchsobjekte sind keine verstaubten Auslaufmodelle, sondern finden Abnehmer in 58 Ländern.

Unter Badegästen sind die Südufer des Balaton-Sees besonders beliebt
Unter Badegästen sind die Südufer des Balaton-Sees besonders beliebt Foto: dpa/Toroczkai Csaba/Ungarisches Tourismusamt/HTA

Ein See wie ein Binnenmeer

Zehn Kilometer südlich von Veszprem, es ist nur eine kurze Fahrt durch Hügel und Mischwald, liegt der Balaton. Das Gewässer ist größer als der Bodensee. Steht man an seinem Ufer, fühlt man sich wie an einem Binnenmeer. „Alle Ungarn haben einen innigen Bezug zum Balaton, auch ich selbst“, sagt Kulturmanager Togay.

Er erinnert an die historische Kultur des Badens, der Villen und der Dampfschiffe. Und daran, dass sich hier „Ost und West in der Zeit des Kalten Krieges ein Stelldichein“ gaben. Da der Balaton relativ flach ist und von einem Mikroklima profitiert, erwärmt er sich im Sommer leicht. Unter Badegästen sind die Südufer besonders beliebt.

Bence Laposa managt den Betrieb auf dem gleichnamigen Familien-Weingut am Balaton
Bence Laposa managt den Betrieb auf dem gleichnamigen Familien-Weingut am Balaton Foto: dpa/Andreas Drouve

Der Schaumwein passt zum Lifestyle am Balaton

In der Gegend um den Plattensee hat der Weinanbau Tradition: Er reicht bis in die Römerzeit zurück. Basaltböden verleihen dem Wein ein mineralisches Aroma, allen voran der Weißweinsorte Kéknyelü, die internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Gleiches gilt für den regionalen Sekt, der aus Furmint-Trauben gewonnen wird.

Das „frische Gefühl des Schaumweins“ passt zum Lifestyle um den Balaton, sagt Agraringenieur Bence Laposa, der den Weinbaubetrieb auf dem Gut seiner Familie leitet. „Sekt liegt im Trend, aber es dauert noch ein paar Jahre, bis das richtig ankommt.“

Laute Töne und knallharte Werbeoffensiven entsprechen eher nicht seinem Wesen. So erwähnt Laposa nur leise, dass er die ungarischen Tropfen, vor allem die Weißweine, für unterschätzt hält. Er sagt: „Rhein, Wachau, Toskana: Unsere Weine halten da mit.“

Bence Laposa selber trinkt am liebsten einen fruchtigen Welschriesling. Kulinarische Begleiter zum Wein sind hier in den Restaurants Zander, Entenleber, Sauerkrautsuppe, Gulasch und der Schinken vom Wollschwein (Mangalica), der butterweich auf der Zunge zergeht.

Barockschloss und Heilschlamm to go

Weiter geht es entlang des Nordufers bis nach Keszthely am nordwestlichen Rand des Sees. Beim Barockschloss Festetics findet man einen sorgsam gepflegten Park vor. Ein Höhepunkt im Schloss ist die gut 200 Jahre alte, üppig ausgestattete Bibliothek mit mehr als 90.000 Bänden. Separat führt ein Zugang in ein Kutschenmuseum.

Gleich hinter Keszthely ist in der Kleinstadt Héviz ganzjährig Badesaison. Hier gibt es einen Thermalsee, dessen Wasser sich auf natürliche Weise mehrfach täglich austauscht. Der Heilschlamm wird auch zum Mitnehmen verkauft, in Fünf-Kilo-Eimern.