Zäsur für ZagrebKroatien feiert den nahenden Schengen-Beitritt und die Euro-Einführung als Vollendung des EU-Beitritts

Zäsur für Zagreb / Kroatien feiert den nahenden Schengen-Beitritt und die Euro-Einführung als Vollendung des EU-Beitritts
Schengen-Beitritt und Euro-Einführung, Kroatien vertieft seine EU-Mitgliedschaft: Eine Grenzbeamtin kontrolliert am kroatisch-slowenischen Grenzübergang Bregana einen Pass. Foto: Denis Lovrovic/AFP

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Als Quantensprung feiert Kroatien den Schengen-Beitritt und die Euro-Einführung. Tatsächlich findet sich das Land zehn Jahre nach EU-Beitritt trotz Stotterstart und Krisen immer besser zurecht. Doch Kriegsschatten, Emigration und Korruption erschweren weiter den ersehnten Abschied vom Balkan.

Eine tonnenschwere Last purzelte nach dem grünen Schengen-Licht aus Brüssel von den erleichterten Herzen der kroatischen Würdenträger. Kroatiens Bürger stünden endlich vor dem Eintritt in „die weltweit größte Zone der Bewegungsfreiheit“, frohlockte Innenminister Davor Bozinovic: „Nichts ist vom Himmel gefallen. Kroatien hat gezeigt, dass es zu Recht EU-Mitglied und imstande ist, alle Bedingungen für den Schengen-Beitritt umzusetzen.“

Die Kontrollen an den kroatischen Grenzen zu den EU-Partnern Slowenien und Ungarn werden künftig entfallen, die zu den jugoslawischen Ex-Bruderstaaten Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina im EU-Wartesaal werden künftig verstärkt. Als Quantensprung und Vollendung des EU-Beitritts von 2013 feiert der in die Jahre gekommene EU-Neuling den nahenden Schengen-Beitritt und die Einführung des Euro am 1. Januar.

Mit der gemeinsamen Währung und dem Reisen „ohne Warten an der Grenze“ kehre Kroatien „nach 104 Jahren wieder in die Zivilisation zurück, der es zugehört“, freut sich das Webportal „index.hr“ bereits über „den endgültigen Abschied vom Balkan“.

Tatsächlich findet sich Kroatien trotz holprigen Stotterstarts knapp zehn Jahre nach EU-Beitritt stets besser zurecht. Die Folgen des Kroatienkriegs (1991-1995) und der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 hätten dem Land auch nach dem EU-Beitritt noch lange zu schaffen gemacht, räumt Zdenko Lucic, Staatssekretär im Außenministerium, gegenüber dem Tageblatt offen ein: „Doch der Wind hat sich gedreht, der Trend geändert: Es hat sich alles ausgezahlt, was Kroatien für die EU-Integration getan hat.“

Ganz anders sah die Zagreber EU-Bilanz noch vor wenigen Jahren aus: Als „EU-Neuling der verpassten Chancen“ und „Europas neues Problemkind“ machte Kroatien in den ersten EU-Jahren in Europas Gazetten von sich Reden.

Schrumpfende Einwohnerzahlen

Schon kurz vor seinem Beitritt im Juli 2013 hatte das frisch gebackene EU-Mitglied die Partner mit der Einführung eines Sondergesetzes verärgert, um die Auslieferung eines früheren Geheimdienstchefs nach Deutschland zu verhindern. Von wirtschaftlicher Aufholjagd konnte lange keine Rede sein: Statt mit kräftigen Zuwächsen wartete der Küstenstaat in den ersten beiden EU-Jahren selbst mit Minuswachstum auf. Gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf musste sich Kroatien 2017 selbst von Rumänien überholen lassen – und galt fortan als zweitärmstes EU-Mitglied nach Bulgarien.

Doch der Wind hat sich gedreht, der Trend geändert: Es hat sich alles ausgezahlt, was Kroatien für die EU-Integration getan hat.

Zdenko Lucic, Staatssekretär im Außenministerium, gegenüber dem Tageblatt

Die nach dem EU-Beitritt stark gesunkene Arbeitslosigkeit ist auch dem starken Aderlass in die Emigration zu verdanken. Laut der Volkszählung von 2021 ist die Bevölkerung seit der Unabhängigkeit von 1991 von 4,7 Millionen um fast ein Fünftel auf 3,87 Millionen Einwohner geschrumpft. Tendenz: weiter sinkend. Die Leute würden abwandern auf der Suche „nach Brot, wegen der Korruption und des Klientelismus“, kommentierte die Zeitung Slobodna Dalmacija bitter die anhaltende Emigrationsflucht: „Die Leute gehen, weil das, was 1991 versprochen wurde, irgendwie nie kommt.“

Tatsächlich erschweren noch immer die alten Kriegsschatten, aber auch die Vettern- und Parteiwirtschaft Kroatiens anvisierten Abschied vom Balkan. Nicht nur das oft gespannte Verhältnis zu den ex-jugoslawischen Bruderstaaten zeugt davon, dass das Land mental noch immer ein wenig im Kriegsjahrzehnt der 90er Jahre verharrt: Oft ist es nicht nur in Belgrad und Sarajevo, sondern eben auch in Zagreb die Rücksicht auf nationalistische Empfindlichkeiten im eigenen Land, die den Ausgleich mit den Nachbarn erschwert.

Noch stets gelten in Kroatien die unversöhnlichen Veteranenverbände als feste politische Größe. Immerhin ist es Premier Andrej Plenkovic in den letzten Jahren geglückt, den nationalistischen Flügel seiner konservativen HDZ weitgehend kaltzustellen. Auch die massiven EU-Hilfen bei der Bewältigung der Folgen der Erdbeben von 2019 und der Corona-Krise von 2020/2021 haben EU-skeptischen Protestparteien an Zulauf und Boden entzogen.

Wirtschaftlich geht es wieder bergauf

Wirtschaftlich segelt der stark vom Tourismus abhängige Küstenstaat nach den Einbrüchen von 2020 wieder in ruhigeren Gewässern. 2021 wies das Land mit 10,2 Prozent gar eine der höchsten Wachstumsraten der EU auf, für 2022 sind 5,9 Prozent prognostiziert. In der Wohlstandstabelle der EU ist Kroatien etwas nach oben gekrabbelt – und hat außer Bulgarien mittlerweile auch die Slowakei und Griechenland hinter sich gelassen. Auch für die Eurozone wirkt Kroatien mit einem Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent und einer Staatsschuld von 70,2 Prozent besser gerüstet als manches Alt-Mitglied.

Zwar scheint Kroatien noch immer nicht ganz im Westen angekommen. Doch mit einem Durchschnittseinkommen von etwas über 1.000 Euro netto im Monat haben sich die Kroaten von ihren verarmten ex-jugoslawischen Brüdern im EU-Wartesaal mittlerweile klar abgesetzt.

Erfolgs-Startups wie der Elektromotorpionier Rimac oder der IT-Konzern Infobip, die sich von Garagenbetrieben zu milliardenschweren „Einhörnern“ gemausert haben, mehren in Kroatien die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Zwar fürchten viele Kroaten durch die Euro-Einführung auch Preiserhöhungen. Doch die wirtschaftlichen Perspektiven werden sich nach Überzeung von Lucic dank Euro und Schengen erheblich verbessern.

Schengen erleichtere nicht nur die Anreise von Touristen, sondern auch den Warenaustausch, so Lucic. Dank der Euro-Einführung sei das Kreditrating schon jetzt stark gestiegen und werde Kroatien auch für Investoren interessant, die das Land bisher links liegengelassen hätten: „Wir müssen Firmen ansiedeln, die höhere Löhne und qualifizierte Arbeitsplätze bieten. Dann kommen auch die ins Ausland abgewanderten Fachkräfte wieder zurück.“