AustralienStreit um die „Stimme“ der Ureinwohner offenbart tiefe Kluft im Land

Australien / Streit um die „Stimme“ der Ureinwohner offenbart tiefe Kluft im Land
Australische Ureinwohner vor einer Tanzaufführung: Bald sollen sie mehr mitreden können – aber nicht bei allen Themen Foto: dpa

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Die australische Regierung will für die Ureinwohner eine „indigene Stimme“ im Parlament schaffen. Damit sollen sie mehr Mitspracherecht bei Themen erhalten, die sie betreffen. Ein Volksentscheid soll darüber entscheiden – doch schon jetzt offenbart die Thematik die tiefe Kluft im Land.

Zuletzt hielt Australien 1967 einen Volksentscheid ab, um gegen die Diskriminierung der Ureinwohner vorzugehen. Jetzt soll sich das australische Volk erneut für seine „First Nations“ starkmachen, wie die unterschiedlichen indigenen Gruppen genannt werden. Diese sollen – wenn es nach dem Regierungschef Anthony Albanese geht – eine sogenannte „indigene Stimme“ im Parlament erhalten. Im Klartext heißt das, dass die Ureinwohner ein Mitspracherecht bekommen. Allerdings nur bei Themen, die sie speziell betreffen.

Das neue Gremium soll in der australischen Verfassung verankert werden und um dies zu tun, ist ein Volksentscheid nötig. Als die Verfassung 1967 schon einmal zugunsten der Indigenen geändert wurde, ging es darum, die Ureinwohner bei Volkszählungen mitzuzählen. Zuvor galten sie nicht einmal als offizielle Bürger Australiens und das, obwohl sie ohne Zweifel die ersten Bewohner des Kontinents waren.

Ein nettes Stück Symbolik?

Diesen Erfolg hat Albanese bei seinem neuen Vorschlag vor Augen, auch wenn die grundsätzliche Bilanz des Referendums in Australien keine positive ist. „Seit der Föderation im Jahr 1901 haben die Australier nur acht von 44 Vorschlägen für eine Verfassungsänderung angenommen“, sagte Paul Kildea, ein Rechtsexperte für Referenden, der an der University of New South Wales lehrt. Ein Scheitern des neuen Referendums wäre nicht zuletzt für Australiens internationalen Ruf katastrophal.

Noch ist kein Termin für den Volksentscheid anberaumt, doch schon jetzt offenbart die Thematik die tiefe Kluft, die nach wie vor im Land herrscht, wenn es um die Belange der Indigenen geht. So ist über die vergangenen Tage und Wochen eine heftige Debatte über das neue Gremium im Parlament entbrannt. Letzteres hat dem Thema plötzlich eine „negative Note“ verliehen. Dabei wollte die Regierung es als einen positiven Fortschritt für die Ureinwohner etablieren. Auch die sogenannte „Uluru-Erklärung aus dem Herzen“ – auf letztere hatten sich die „First Nations“ nach einer Konvention im Jahr 2017 geeinigt – hatte auf dieses Mitspracherecht im Parlament gepocht.

Der Oppositionsführer Peter Dutton, Chef der Liberalen Partei in Australien, zögert eine Unterstützung der „indigenen Stimme“ beispielsweise seit Monaten hinaus. Seine Argumentation dafür lautet, dass es noch zu wenig Details zu dem Vorschlag gebe. Sein Koalitionspartner, die nochmals konservativeren Nationals, haben ihre Ablehnung dagegen bereits offen kundgetan. Vielleicht um sich nicht dem Vorwurf des Rassismus stellen zu müssen, halten sie sich die indigene Senatorin Jacinta Price als Schutzschild vor: Price behauptet, der Vorschlag, den Ureinwohnern eine Stimme im Parlament zu geben, würde die Australier „nach Rassen“ spalten.

Price ist aber nicht die einzige kritische Stimme aus den Reihen der Ureinwohner. Eine andere ist Michael Anderson, ein Aborigine Leader, Anwalt und Menschenrechtskämpfer, der sich seit Jahrzehnten für einen Vertrag zwischen den indigenen Völkern und der australischen Regierung einsetzt – ähnlich wie die Māori in Neuseeland dies im „Treaty of Waitangi“ getan haben. Von einem Volksentscheid über eine „indigene Stimme“ hält er wie Price wenig. „Warum sollten wir Millionen von Weißen erlauben, über uns abzustimmen“, sagte er in einem Telefoninterview. Wenn es schon eine Abstimmung gebe, dann solle diese rein unter der indigenen Bevölkerung – rund 800.000 Menschen in Australien – stattfinden. Anderson warnte zudem, dass eine „indigene Stimme“ rein „ein nettes Stück Symbolik“ wäre. Praktische Reformen wären dagegen überfällig.

Kluft „so groß wie dieser Kontinent“

Regierungschef Albanese ist sich durchaus bewusst, wie schwierig die Umsetzung einer „indigenen Stimme“ ist und wie groß die Gefahr ist, nur Symbolik zu betreiben. Doch er sagt: „Australien muss sich nicht zwischen der Verbesserung des Lebens der Menschen und der Änderung der Verfassung entscheiden.“

Vielmehr solle das Land diese Chance für bedeutsame Veränderungen mit „Demut und Hoffnung“ angehen. Die vergangenen 200 Jahre seien „voller gebrochener Versprechen, Verrat, Fehlschläge und Fehlstarts“ gewesen. Allzu oft wäre die Kluft zwischen den Versprechen der Weißen und den wirklichen Taten der jeweiligen Regierungen „so groß wie dieser Kontinent“ gewesen. Doch jetzt verspüre er Hoffnung – in seinen Augen sei der richtige Moment gekommen.

Auch in den Augen von Michelle Grattan, einer prominenten Politikexpertin und -kommentatorin der University of Canberra ist der Vorschlag „zu wichtig, um ihn scheitern zu lassen“, wie sie im akademischen Magazin The Conversation schrieb. Dies sei „eines der bedeutendsten Verfassungsreferenden“ der australischen Geschichte und „trotz jahrelanger Diskussionen“ sähen die Chancen nicht optimal aus. Die „indigene Stimme“ müsse die Nation „so weit wie möglich einen“. Es müsse ein Mitspracherecht werden, das das Leben der Ureinwohner tatsächlich verbessere. Denn der aktuelle „Closing the Gap“-Bericht, der die Fortschritte der Ureinwohner im Land analysiert, zeigte erneut auf, dass Indigene bei etlichen Themen hinter dem Rest Australiens hinterherhinken: Nach wie vor sind im Verhältnis mehr indigene Kinder in Fremdbetreuung und auch die hohe Selbstmord- und Haftrate in der indigenen Bevölkerung gibt Grund zur Sorge.

JJ
8. Dezember 2022 - 9.59

Und wir klopfen auf Karl May,Winnetou und Pippi Langstrumpf wegen Diskriminierung? Homo Demens.