Sanem„Uerschterhaff“ eingeweiht: Luxemburgs drittes Gefängnis nimmt bald den Betrieb auf

Sanem / „Uerschterhaff“ eingeweiht: Luxemburgs drittes Gefängnis nimmt bald den Betrieb auf
Hinter dem Verwaltungsgebäude erhebt sich der zentrale Wohnblock mit vier Einheiten Foto: Editpress/Alain Rischard

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In Sanem wurde am Mittwoch mit dem „Centre pénitentiaire Uerschterhaff“ die dritte Strafvollzugsanstalt des Landes offiziell eingeweiht. Bis zu 400 Untersuchungshäftlinge soll der 171 Millionen Euro teure Bau in Zukunft beherbergen können. Damit werden auch im Gefängnis von Schrassig wieder Ressourcen frei, da dieses in den letzten Jahren immer wieder an seine Grenzen gestoßen ist.

Eigentlich sind Eröffnungen feierliche Ereignisse in Luxemburg. Sie gehen in der Regel mit strahlenden Politikern, gut gelaunten Gästen und motivierten Mitarbeitern einher, die sich auf den Einsatz in modernen Räumlichkeiten freuen. Das war am Mittwoch am „Uerschterhaff“ in Sanem nicht anders, wo in Anwesenheit von Großherzog Henri und Hunderten (überwiegend gut gelaunten) Gästen die neue Strafvollzugsanstalt für Untersuchungshäftlinge offiziell eingeweiht wurde. Dennoch wurde den Anwesenden immer wieder bewusst, dass an dieser Stelle keine Jugendherberge oder Notunterkunft eingeweiht wurde, sondern eine mit sechs Meter hohen Mauern gesicherte Anlage, die dem Freiheitsentzug dienen und den modernsten Anforderungen gerecht werden soll.

Der Luxemburger Gefängnisverwaltung wurden bei diesem Festakt symbolisch die Schlüssel einer Einrichtung überreicht, in der künftig bis zu 400 Untersuchungshäftlinge untergebracht werden können. Eine Anstalt, in der die Sicherheit der Mitarbeiter sowie die Rechte und Würde der Insassen an erster Stelle stehen sollen. Umrahmt werden sie von 230 Strafvollzugsbeamten und ebenso vielen Mitarbeitern, die sich um die Verwaltung und den Unterhalt der Anstalt sowie die Weiterbildung, Psyche und Gesundheit der Insassen kümmern werden.

Es waren denn auch Worte wie „Würde“, „Respekt“, „Rechte“ oder „Menschlichkeit“, die bei den Ausführungen der vier Redner im Mittelpunkt standen. Fast krampfhaft schienen Behörden und Politiker darum bemüht, den Anwesenden die Vorzüge des Neubaus schmackhaft machen zu wollen. Normalerweise seien Eröffnungen freudige Ereignisse, meinte auch Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) gleich zu Beginn ihrer Rede. „Doch kann man sich wirklich darüber freuen, ein Gefängnis zu eröffnen?“, fuhr die Justizministerin fort, bevor sie selbst eine passende Antwort zu der Frage lieferte.

Justizministerin Sam Tanson sieht den Freiheitsentzug als letztes Mittel und will Alternativen wie Fussfessel stärken
Justizministerin Sam Tanson sieht den Freiheitsentzug als letztes Mittel und will Alternativen wie Fussfessel stärken Foto: Editpress/Alain Rischard

Eine Notwendigkeit der Gesellschaft

Dafür bediente sie sich einer bekannten Aussage Victor Hugos, um die etwas widersprüchliche Botschaft zu untermalen, die mit der feierlichen Eröffnung einer geschlossenen Anstalt einhergeht. „Derjenige, der eine Schule eröffnet, schließt ein Gefängnis“, so das Zitat des französischen Schriftstellers. „Angesichts der großen Anzahl an Schulen, die wir in den letzten Jahren gebaut haben, hätte man davon ausgehen können, dass wir heute in Sanem das letzte Luxemburger Gefängnis schließen“, meinte Tanson daraufhin. Dem sei aber nicht so.

„Leider“, so die Ministerin, seien Gefängnisse eine Notwendigkeit der Gesellschaft. Es sei nun mal so, dass Menschen, die sich einer Straftat schuldig gemacht hätten, dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Um die Opfer zu schützen, Gerechtigkeit walten zu lassen, Täter in die Verantwortung zu nehmen und diese – wenn möglich – nach Verbüßung ihrer Strafe wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Sie sei auch weiterhin der Überzeugung, dass der Freiheitsentzug nur das allerletzte Mittel darstellen sollte, fuhr Tanson fort.

„In unserer Gesetzgebung existiert ein ganzes Arsenal an Alternativen zum Freiheitsentzug. Die Erfahrung zeigt, dass die auch greifen. Nur sollten wir diese Alternativen noch stärker nutzen“, betonte die Justizministerin. Auch wenn die Zahl der Häftlinge in Luxemburg im Vergleich mit dem Bevölkerungswachstum der letzten Jahre abgenommen habe, sei die Anstalt in Schrassig den Anforderungen nicht mehr gewachsen.

Mit 625 Insassen liege das Gefängnis aktuell weit über den eigentlichen Kapazitäten. Darunter litten nicht nur die Häftlinge selbst, sondern auch die Mitarbeiter, deren Sicherheit nicht mehr absolut gewährleistet sei. Der neuen Haftanstalt, in der ausschließlich nur Untersuchungshäftlinge untergebracht werden sollen, falle in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle zu, wie neben Tanson auch die anderen Redner zu vermitteln suchten.

So sollen ab Montag die Untersuchungshäftlinge sukzessive von Schrassig nach Sanem überführt werden, während neue Verdächtige, deren Dossiers sich noch in der Ermittlungs- oder Verfahrensphase befinden, gleich ins „Uerschterhaff“ überstellt werden. Auf diesem Weg werden in Schrassig Räume und Ressourcen frei, die für Verbesserungen des Strafvollzugs genutzt werden. Etwa was die Unterbringung von Frauen, Jugendlichen oder älteren Häftlingen angeht, die bis dato nicht adäquat umrahmt werden konnten. „Auch Insassen haben ein Recht auf Privatsphäre und eine würdevolle Behandlung“, unterstrich Tanson.

„Schrassig ist in den letzten Jahren immer wieder an seine Grenzen gestoßen“, sagt Serge Legil, Chef der Gefängnisverwaltung
„Schrassig ist in den letzten Jahren immer wieder an seine Grenzen gestoßen“, sagt Serge Legil, Chef der Gefängnisverwaltung Foto: Editpress/Alain Rischard

Neue Perspektiven

„Es war nie unsere Absicht, ein Gefängnis zu bauen, um noch mehr Menschen wegzusperren“, so die Ministerin. Genau deswegen sei es auch so wichtig, Alternativen zum Freiheitsentzug zu stärken. Mit dem Bau des „Uerschterhaff“ verbessere man nicht nur die Haftbedingungen in Schrassig, sondern schaffe auch einen angemesseneren Rahmen für Untersuchungshäftlinge. Schließlich seien diese so lange unschuldig, bis ihre Schuld vor Gericht bewiesen sei. Dem sollte auch die Unterbringung Rechnung tragen.

„Schrassig ist in den letzten Jahren immer wieder an seine Grenzen gestoßen“, sagte indessen Serge Legil, Direktor der Luxemburger Gefängnisverwaltung. Dort seien in den letzten Jahren einfach zu viele Charaktere, Kulturen und Welten auf engstem Raume aufeinander geprallt, obschon es die Strukturen nicht hergaben. „Durch die Trennung von Verurteilten und Untersuchungshäftlingen eröffnen sich ganz neue Perspektiven“, so Legil. Zum einen seien die Anforderungen ganz unterschiedlich, zum anderen sei es nun möglich, sowohl in Sanem als auch in Schrassig den Insassen auf eine menschenwürdige Art und Weise beizustehen.

Oberstes Ziel sei eine respektvolle Betreuung der Häftlinge, so der Chef der Gefängnisverwaltung. Sie stünden im Mittelpunkt der Bemühungen. Deswegen sei es wichtig, dass die Zeit, die Betroffene in Haftanstalten verbringen, optimal genutzt wird. Schließlich soll ein Häftling bei seiner Entlassung in einer besseren Verfassung sein, als bei seiner Einlieferung. „Um einerseits das Risiko eines Rückfalls zu verringern und andererseits die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu vereinfachen“, so Legil, der bei dieser Gelegenheit das Motto der Gefängnisverwaltung in Erinnerung rief: „Acteur de sécurité, créateur de perspectives“.

Großherzog Henri und Justizministerin Sam Tanson schreiten zur offiziellen Eröffnung der Justizvollzugsanstalt
Großherzog Henri und Justizministerin Sam Tanson schreiten zur offiziellen Eröffnung der Justizvollzugsanstalt Foto: Editpress/Alain Rischard

Vizepremier François Bausch („déi gréng“) erinnerte in seiner Rede vielmehr an die besonderen Umstände bei der Planung und beim Bau eines neuen Gefängnisses. In seinen neun Jahren als „Bautenminister“ habe er zwar viele außergewöhnliche Projekte betreut, so Bausch, aber selten so ein komplexes. Ihn habe vor allem die Verpflichtung zur Geheimhaltung beeindruckt, von der Ausschreibung bis hin zu den regelmäßigen Kontrollen auf der Baustelle. Dass man trotz aller Anforderungen und Sicherheitsvorkehrungen dennoch modernste energetische Standards einhalten konnte, freue ihn dafür umso mehr.

Simone Asselborn-Bintz legte bei ihrer Begrüßung indessen sehr viel Wert darauf, Personal und Gefängnisleitung in ihrer Funktion als Bürgermeisterin in Sanem willkommen zu heißen. Das Wort „Willkommen“ habe sie bewusst genutzt, weil das Projekt auch in ihrer Gemeinde nicht immer unumstritten gewesen sei. „Euphorisch“ sei die Bevölkerung zunächst nicht gewesen. Von Seiten einer Bürgerinitiative sei sogar richtige Resistenz ausgegangen. Die Stimmung habe sich allerdings beruhigt

Es sei wichtig, den Unterschied zu machen zwischen einem Gefängnis für verurteilte Täter und einer Haftanstalt für Untersuchungshäftlinge, wiederholte auch Asselborn-Bintz das Sentiment der Justizministerin. Außerdem sei es unsere Verantwortung als Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass auch Insassen in einer würdevollen Umgebung betreut werden. Dies sei in Schrassig zuletzt nicht mehr der Fall gewesen. „Wenn wir aber als Gemeinde keine Verantwortung übernommen hätten, wären wir in diesem Dossier nicht weiter gekommen“, so die Bürgermeisterin.

Die ersten Insassen sollen bereits ab Montag nach Sanem überführt werden
Die ersten Insassen sollen bereits ab Montag nach Sanem überführt werden Foto: Editpress/Alain Rischard

Ein rascher Überblick

171 Millionen Euro hat der Bau des neuen Gefängnisses in Sanem gekostet. 400 Betten sind vorgesehen, die ausschließlich männlichen Untersuchungshäftlingen vorbehalten sind. Die ersten Insassen sollen ab Montag in der neuen Haftanstalt unterkommen. Im Anschluss werden sukzessive 250 Häftlinge von Schrassig nach Sanem überführt. In Schrassig sind übrigens, Stand gestern, 635 Personen inhaftiert –322 Untersuchungshäftlinge und 313 verurteilte Insassen, darunter 34 Frauen. 

Den Behörden zufolge entspricht der Neubau am „Uerschterhaff“ den modernsten Strafvollzugsanforderungen. Einerseits wird die Sicherheit großgeschrieben, andererseits genießen die Untersuchungshäftlinge künftig auch gewisse Freiheiten im Alltag, die in Schrassig soweit nicht möglich waren. Auch war es der Gefängnisverwaltung wichtig, die Wege für Vollzugsbeamte zu verkürzen. 

Umschlossen wird der Neubau in Form eines Hexagons von einer 800 Meter langen und sechs Meter hohen Mauer, die zum Eingang hin in ein Verwaltungsgebäude übergeht. Im Zentrum des 8.4 Hektar großen Areals stehen allerdings die Wohnblöcke, die in vier Einheiten mit je 100 Betten unterteilt wurden. Die Zimmer sind auf jeweils drei Stöcke verteilt, die in Y-Form angeordnet wurden. Knotenpunkt ist auf jedem Stock eine Station für Vollzugsbeamte, von der aus die drei Gänge im Auge behalten werden können. Verfügbar sind Einzelzimmer von 11 qm, Doppelzimmer von 15,6 qm und Doppelzimmer für Menschen mit eingeschränkter Mobilität von 18 qm. Sämtliche Zellen sind funktionell mit fixem Mobiliar, Sanitäranlagen, einem Kühlschrank und einem Fernseher ausgestattet.

Abgerundet wird das Angebot u.a. von Duschlokalen, Gemeinschaftsräumen, einer gemeinsamen Küche und einem Hof, der sich aus Sicherheitsgründen auf dem Dach des jeweiligen Wohnblocks befindet und durch eine externe, geschlossene Treppe erreicht werden kann. Zur Verfügung stehen auch angemessen eingerichtete Räume, in denen Familienmitglieder empfangen werden können.

Betreut werden die Insassen von 350 festen Mitarbeitern, darunter 230 Justizvollzugsbeamte. Letzteren stehen rund 650 Kameras zur Verfügung, um das Areal im Auge behalten zu können. (ham)

Die Zellen sind alle funktionell und würdevoll eingerichtet
Die Zellen sind alle funktionell und würdevoll eingerichtet Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen