ArbeitsmarktDer Kampf um Talente treibt die Gehälter in die Höhe

Arbeitsmarkt / Der Kampf um Talente treibt die Gehälter in die Höhe
 Viele Fachkräfte werden hierzulande mit neuen Jobangeboten überschüttet  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der Arbeitsmarkt gerät immer mehr unter Druck. Quer durch Europa wird händeringend nach Fachkräften gesucht. Als Resultat müssen Arbeitgeber immer größere Anstrengungen unternehmen, um das gewünschte Personal anzuziehen. 

„Es gibt immer mehr Nachfrage und immer weniger Angebote“, unterstreicht Amandine Bianchi gegenüber dem Tageblatt. Es finde derzeit eine regelrechte „Jagd nach Talenten“ statt. In nur wenigen Jahren habe sich der Markt grundlegend verändert, so die Managerin weiter. Während vor rund zehn Jahren „die Kandidaten noch von sich aus zu uns kamen, so sind es heute die Unternehmen.“ Bianchi arbeitet seit 2013 beim Personaldienstleistungsunternehmen Robert Half.

Das 1948 in den USA gegründete und an der Börse in New York notierte Unternehmen ist auf internationale Personalvermittlung spezialisiert. Die Gesellschaft trägt den Namen ihres Gründers, er war Buchhalter. In Luxemburg ist die Robert Half seit 2008 mit einem kleinen Büro vertreten. Von den vier Mitarbeitern sind drei auf den Bereich Finanzen/Buchhaltung spezialisiert und eine auf den Bereich ICT.

Man setze dabei den Fokus eher auf die Suche nach „spezialisierten Profilen“ als auf eine „große Masse“ an Arbeitskräften, so Bianchi. Auch helfe man Unternehmen beim „CEO Management“, etwa bei der Suche nach dem gesamten notwendigen Führungspersonal, das benötigt wird, um sich in Luxemburg zu etablieren.

„Die Kandidaten kennen ihren Wert“

Um einen klareren Überblick über die Marktentwicklungen zu erhalten, erstellt die Gesellschaft seit einigen Jahren ihren „Guide des salaires“, welcher den Arbeitgebern einen Maßstab bietet, an dem sie sich orientieren können, erläutert Bianchi. „Es ist ein exzellentes Handwerkszeug, um Personal halten zu können.“ In dem Bericht befindet sich eine Skala, die anzeigt, wie sich die Gehälter in den Bereichen, auf die sich das Unternehmen hierzulande spezialisiert hat, entwickeln. Es sind dies: Buchhaltung, Audit, Controlling und „Financial Management“. Unterschieden wird zudem nach Kriterien wie Erfahrung, Lage des Büros, den gesprochene Sprachen oder dem Diplom.

„Ein erfahrener Buchhalter erhält demnach ein Basisgehalt von 80.000 Euro“, so die Managerin weiter. Die Zuwächse bei den Gehältern seien in den letzten Jahren wirklich beachtlich gewesen. „Die Gehälter steigen derzeit um 8 bis 15 Prozent pro Jahr – manche sogar um bis zu 20 Prozent“, so die Managerin. „Vor 2018 waren es nur plus 8 bis 10 Prozent. (…) Ich wundere mich auch manchmal.“

Amandine Bianchi
Amandine Bianchi Foto: Robert Half

„Die Kandidaten kennen ihren Wert“, so Amandine Bianchi weiter. „Die neue Generation hat manchmal erschreckend hohe Forderungen – aber die Firmen haben keine Wahl.“ Der Kampf um Talente sei ein wahrhaft „rasantes Rennen“. Jedes Jahr kommen neue Firmen ins Land und bieten so neue Möglichkeiten für die Kandidaten. „Es wird sehr gezielt nach Fachpersonal gesucht.“ Viele Fachkräfte würden standardmäßig mehrere Jobangebote pro Monat erhalten.

Immer öfter werden Gegenofferten gemacht

Für Arbeitgeber werde es daher immer wichtiger, das eigene Personal zu halten, so die Fachfrau weiter. Das werde aber auch verstanden: „Es werden immer öfter Gegenofferten gemacht, wenn jemand abgeworben wurde.“

Damit werden die Angebote für die gesuchten Talente immer attraktiver, unterstreicht Bianchi. Neben dem Basisgehalt gebe es dann möglicherweise noch einen garantierten Bonus, eine Prämie, die an den Gewinn geknüpft wird, einen Bonus bei der Unterzeichnung, Zusatzrente, „Chèque repas“ und ähnliches. Bei Management-Jobs komme noch der Firmenwagen hinzu.

„Es gibt kaum noch jemanden, der das nicht bietet“, unterstreicht sie. „Es wird in Luxemburg immer schwieriger, einen guten Buchalter zu finden. Wenn die Person dann auch noch mehrere Sprachen sprechen soll, etwa Deutsch, dann ist sie händeringend gesucht.“

Auch eine immer wichtigere Rolle spielen, ihr zufolge, Elemente, die nicht direkt an das Gehalt geknüpft sind, sondern eher an die Lebensqualität. Vor allem Flexibilität bei der Arbeitszeit sei eine Grunderwartung. Das Anbieten von Home-Office sei derweil besonders für Firmen wichtig, wenn es um das Halten von Mitarbeitern ginge, habe eine Umfrage unter Führungskräften in Luxemburg ergeben. „Das Nicht-Vorhandensein von Telearbeit ist auf dem luxemburgischen Markt einer der Hauptgründe, warum sich Arbeitnehmer für einen Arbeitsplatzwechsel entscheiden.“

Das Nicht-Vorhandensein von Telearbeit auf dem luxemburgischen Markt ist einer der Hauptgründe, warum sich Arbeitnehmer für einen Arbeitsplatzwechsel entscheiden

Amandine Bianchi, Managerin

„Selbst für viele Grenzgänger sind Faktoren wie ,Télétravail‘ wichtiger als mehr Gehalt“, so die Managerin. „Besser, etwas weniger verdienen, als in langen Staus zu stehen, um bis nach Luxemburg-Stadt zu fahren. (…) Viele sind sogar bereit, einen Teil ihrer Steuern zu Hause zu zahlen“, sagt sie. Mit den Erfahrungen der Covid-Krise habe bei vielen Menschen ein Umdenken stattgefunden. Besonders wichtig für viele Kandidaten aus den Grenzregionen sei derweil auch das Vorhandensein eines Parkplatzes.

Doch trotz all der Makel bleibt der Standort Luxemburg weiter attraktiv, unterstreicht sie. „Luxemburg ist innovativ und kann sich anpassen. (…) Das Land ist gut gerüstet.“ Es bleibe, sowohl finanziell als auch um eine Karriere im internationalen Finanzwesen zu machen, interessant, ins Großherzogtum arbeiten zu kommen. Es sei halt ein sehr internationaler Platz mit sehr spezialisierten Jobs.

Von dieser Attraktivität zeuge auch die Tatsache, dass auch immer mehr Menschen von immer weiter weg ins Land kommen, so die Managerin. „Für Spezialisten gibt es hier sehr viele Möglichkeiten.“ Viele kommen heute aus den USA, Kanada, Spanien oder Mauritius. Sie leben dann meist auch im Land. Es gehe daher nicht nur um Grenzgänger, sagt sie. „Luxemburg ist ein besonderer Markt, vor allem wegen des Finanzplatzes.“

Nicht nur Finanzprofile sind gesucht

Betroffen vom Fachkräftemangel ist jedoch nicht nur der Finanzsektor. Auch im Handwerk machen sich die Firmen immer mehr Sorgen um die Talente. Der Sektor wünscht sich deswegen Veränderungen im Ausbildungswesen, eine Vereinfachung der Verfahren, um Mitarbeiter aus Drittländern anstellen zu können, und einen Aktionsplan, um in Drittländern um Kandidaten für das Handwerk werben zu können, wie die „Chambre des métiers“ noch vor einer Woche wiederholt hatte. Er fordert eine „Strategie für Talente“.

Vom Fachkräftemangel zeugen auch die monatlichen Zahlen vom Luxemburger Arbeitsamt, Adem. Trotz einer steigenden Zahl von Menschen auf Arbeitssuche belief sich die Zahl der bei dem Amt gemeldeten verfügbaren Stellen im Oktober auf immer noch 13.033 (17,7 Prozent mehr als vor einem Jahr). Im September 2021 hatte die Zahl der bei der Adem gemeldeten offenen Stellen erstmals die Marke von 10.000 überschritten. Zu den am meisten gesuchten Qualifikationen/Berufen zählten in dem Monat Informatiker, Buchhalter und Mitarbeiter für Sekretariatsarbeit. Auch gesucht waren Spezialisten für die Analyse von Kreditrisiken sowie Küchenpersonal.

Angeheizt wird der Wettbewerb um höhere Gehälter hierzulande derweil nicht nur vom Privatsektor, sondern auch vom Staat. Während das durchschnittliche Brutto-Jahresgehalt für eine Vollzeitstelle hierzulande bei 65.801 Euro liegt, verdienen Staatsbeamte im Schnitt rund 8.688 Euro brutto pro Monat, wie eine diese Woche vorgestellte Studie zeigte. Hinzu kommt für alle ein Essenszuschuss von 204 Euro netto pro Monat und für mehr als die Hälfte der Beamten eine Familienzulage von 599,81 Euro brutto.

Ewiges Wachstum

Die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt in Luxemburg steigt stetig weiter. Im Oktober lag sie bei (saisonbereinigt) 506.809 Stellen. Das Land zählt damit heute rund 1.550 Arbeitsplätze mehr als vor einem Monat und etwa 16.300 mehr als vor einem Jahr.
Seit Ende Januar 2020 (also vor der Corona-Krise) sind im Großherzogtum über 35.300 neue Stellen entstanden. Im Mai war hierzulande erstmals die Marke von einer halben Million Arbeitsplätze übersprungen worden. Die Schwelle von 400.000 Jobs war im Februar 2015 überschritten worden, die von 300.000 im Juni 2004.

Weiterführende Lektüre:

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Filet de Boeuf
26. November 2022 - 23.35

"Von dieser Attraktivität zeuge auch die Tatsache, dass auch immer mehr Menschen von immer weiter weg ins Land kommen, so die Managerin." ....Und immer mehr Luxemburger ins benachbarte Ausland auswandern und dies zu einer Spaltung der Gesellschaft führt die die Regierung mit Ausländerwahlrecht bzw. schnellerem Erhalt der Staatsbürgerschaft überspielen will. Easy. Checked.

Grober J-P.
26. November 2022 - 11.57

Nicht ganz so rosig H. Müller, fragen Sie mal in sogenannten Startups nach. Dort sind die Gehälter an der untersten Schwelle. Eben erst mitbekommen.