ForumDie Welt scheitert immer noch an der Pandemievorsorge

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Die Covid-Pandemie ist – mit einer Zahl von 14,9 Millionen Opfern – eine der tödlichsten Katastrophen der jüngsten Geschichte. Sie hat schätzungsweise 100 Millionen Menschen in die Armut getrieben und die Ziele Nachhaltiger Entwicklung für 2030 gebremst – nicht zuletzt das dritte von ihnen: Gesundheit und Wohlergehen für alle.

* Zu den Autoren

Mariana Mazzucato, Gründungsdirektorin des Instituts für Innovation und Öffentliche Zwecke der UCL, ist Vorsitzende des Rats der Weltgesundheitsorganisation für „Gesundheit für alle“. Alan Donnelly, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, ist Gründer und Moderator der Gesundheits- und Entwicklungspartnerschaft der G20.

Trotz der massiven pandemiebedingten Kosten haben die G20 und die internationalen Finanzinstitutionen immer noch kein Rahmenwerk zur Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien erstellt (PPR), um die nächste globale Gesundheitskrise meistern zu können. In vielen Ländern werden die Gesundheitsausgaben zurückgefahren (oder auf einem unzureichenden Niveau belassen), während die vom Internationalen Währungsfonds propagierte Sparsamkeit wieder modern wird. Bis nächstes Jahr werden 85% der weltweiten Bevölkerung die Folgen dessen spüren, dass weniger in öffentliche Dienste und die Möglichkeiten des öffentlichen Sektors investiert wird.

Nur zweieinhalb Jahre nach dem Beginn der Pandemie wird die Gesundheit wieder als kurzfristiger Kostenfaktor betrachtet, statt als langfristige Investition zu gelten, die für das wirtschaftliche Wohlergehen und die Resilienz von entscheidender Bedeutung ist. Im Zuge dessen, dass sich die weltweiten Politiker auf Themen wie Inflation und Ernährungsunsicherheit konzentrieren, vergessen sie, dass die heutigen wirtschaftlichen und finanziellen Krisen Nebenprodukte eines globalen Gesundheitsnotstands sind, der immer noch auf seine Lösung wartet.

Noch immer sterben wöchentlich 10.000 Menschen an Covid-19, und ungleiche Impfquoten haben die Voraussetzungen für eine „Variantensuppe“ geschaffen, die es schwieriger macht, neue Wellen und die nächste verheerende Mutante vorherzusagen und auf sie zu reagieren. Covid-19-Ausbrüche stören weiterhin die Produktion, das Reisen und die Behandlung anderer Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder HIV/AIDS. Die Pandemie, die Jahrzehnte an Fortschritten zunichtemacht, ist noch nicht überwunden – ganz zu schweigen davon, dass wir uns für den nächsten unvermeidlichen Ausbruch rüsten müssen.

Die Weltbank und die Weltgesundheitsorganisation schätzen, dass mit einer Investition von knapp einem Euro pro Person eine weitere Tragödie wie Covid verhindert werden kann. Und Anfang dieses Jahres hat die internationale Gemeinschaft einen multilateralen Vermittlungsfonds ins Leben gerufen, um die jährliche PPR-Finanzierungslücke von 10,5 Milliarden Dollar zu schließen. Dieser Fonds wurde bis jetzt aber nur mit etwa 1,5 Milliarden Dollar ausgestattet. Der IWF wiederum hat im Oktober einen Resilienz- und Nachhaltigkeitsfonds gegründet, um Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu helfen, dringende Gesundheits- und Klimabedürfnisse zu finanzieren. Aber solche Fonds unterliegen den üblichen fiskalen Konsolidierungsbedingungen des IWF, die letztlich die Gesundheitssysteme, die sie eigentlich stärken sollten, untergraben.

Veraltete Sichtweisen

Diese Beispiele deuten auf ein größeres Problem hin: Wie der WHO-Rat für „Gesundheit für alle“ argumentiert, halten die G20-Länder und die internationale Gemeinschaft immer noch an einer veralteten „Geber-Nehmer“-Sichtweise fest und betrachten PPR als Wohltätigkeitsprojekt – anstatt als gemeinsames globales Gut, das in ihrem eigenen Interesse liegt.

Natürlich haben die Pandemie, steigende Schuldenlasten, Klimawandel, Inflation, Ernährungsunsicherheit, straffere Geld- und Finanzpolitik sowie andere globale Probleme den Haushaltsspielraum der meisten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen erheblich eingeschränkt. Aber weder die Bretton-Woods-Institutionen noch die G20-Regierungen haben sich der Aufgabe gestellt, dieses Problem zu lösen, sondern halten massive Barrieren für gesundheitsbezogene Investitionen aufrecht – gerade jetzt, wo die Länder solche Investitionen am nötigsten brauchen.

Um den PPR-Finanzierungsbedarf der Welt zu decken, ist ein holistischer Bottom-up-Ansatz erforderlich, innerhalb dessen ärmere Länder ihre Entwicklungsfinanzierung, die Kapitalmärkte, inländische Ressourcen und Umschuldungswerkzeuge auf kreative Weise dazu nutzen, den Haushaltsspielraum zu schaffen, den sie für ihre Gesundheitsinvestitionen benötigen. Einige Länder zeigen bereits, wie dies aussehen könnte: In Barbados hat die Regierung von Ministerpräsidentin Mia Mottley durch Verhandlungen erreicht, dass ihre Staatsanleihen einer neuen „Pandemieklausel“ unterworfen sind – in Einklang mit Empfehlungen der neuen Bridgetown-Agenda. Müsste die WHO in der Region eine weitere Pandemie ausrufen, würden aufgrund dieser Klausel automatisch die Zinszahlungen für bis zu mehrere Jahre ausgesetzt, ohne dass die Kreditwürdigkeit des Landes davon negativ beeinflusst würde.

Zur Veranschaulichung: 2020 haben Länder mit geringem und mittlerem Einkommen 108,2 Milliarden Dollar für ihren Schuldendienst ausgegeben, während das Covid-19-ACT-Beschleunigungsprogramm zur Hilfe für diese Länder im Haushaltsjahr 2021-22 nur 23 Milliarden Dollar erhalten hat. Dadurch, dass solche pandemischen Klauseln die Schuldenlast dieser Länder bei zukünftigen Gesundheitsnotständen sofort und vorübergehend verringern, können sie kurzfristig für die nötige Haushaltsflexibilität sorgen.

Aufgrund steigender Zinsen in einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld warnt der IWF, dass über 60% der Länder mit geringem Einkommen und über 25% der Schwellenländer bereits jetzt in einer Schuldenkrise stecken oder durch eine solche bedroht sind. Aber die Länder können zur Deckung ihres PPR-Bedarfs auch Umschuldungssysteme wie Schulden-Gesundheits-Swaps nutzen, in deren Rahmen Schuldenerleichterungen von Investitionen in die öffentliche Gesundheit abhängig sind. Der Globale Fonds hat diesen Ansatz bereits in kleinerem Maßstab versucht, und dies könnte nach dem Vorbild des erfolgreichen Schulden-für-Natur-Swaps von Belize ausgeweitet werden. Der IWF hat öffentlich versprochen, ein Modell für solche Swaps zu erstellen, und dies sollte er auch für Gesundheits- und PPR-Finanzierungen tun.

„Kein Patentrezept“

Das verbleibende Problem dabei ist das internationale Steuersystem: Die Mittel, die zur Finanzierung von PPR-Lücken erforderlich sind, könnten durch eine globale Reichensteuer aufgebracht werden, aber kein Land und keine multilaterale Organisation hat bis jetzt ein solches Projekt unterstützt. Die Gelder für globale öffentliche Güter wie PPR und Klimaanpassung müssen in den Mittelpunkt der Gespräche über eine mögliche globale Reichen- oder Finanztransaktionssteuer gestellt und auch bei der Einführung eines neuen Rahmens für eine OECD-Mindestunternehmenssteuer berücksichtigt werden. Da die G7-Länder von diesem Steuerabkommen profitieren, könnte es leicht so abgewandelt werden, dass mehr dieser Einnahmen an Länder mit geringem oder mittlerem Einkommen fließen.

Für die PPR-Finanzierung gibt es kein Patentrezept. Die bessere Vorbereitung der nationalen Gesundheitssysteme und der globalen Gesundheitsinstitutionen auf zukünftige Pandemien erfordert einen „Portfolio-Ansatz“, bei dem die Länder die nötigen Investitionen aus einer Vielzahl von Quellen schöpfen. Während die Industriestaaten immer noch Impfstoffe horten und auf globalen Geldgeberkonferenzen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sollten wir uns von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen inspirieren lassen, wie man Haushaltsspielräume schaffen kann, um Gesundheit für alle zu erreichen.

© Project Syndicate, 2022.