WissenKlick der besonderen Art: Chemie-Nobelpreis für raffinierte Molekülverbindungen

Wissen / Klick der besonderen Art: Chemie-Nobelpreis für raffinierte Molekülverbindungen
Die Stanford-Professorin Carolyn Bertozzi hält während eines Telefongesprächs inne, kurz nachdem sie erfahren hat, dass sie den Nobelpreis für Chemie erhalten hat Foto: Noah Berger/FR34727 AP/dpa

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Der Bau von Molekülen im Labor ist komplex. Für einen im Vergleich einfachen Ansatz nach dem Prinzip einer Rucksack-Schnalle gibt es nun den Chemie-Nobelpreis. Und für dessen Anwendung in Lebewesen.

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an drei Forschende für Methoden zum besonders effizienten Aufbau von Biomolekülen und zum zielgerichteten Markieren von Zellstrukturen. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Morten Meldal (68, Dänemark) und Barry Sharpless (81, USA) gelten als Vordenker der sogenannten Click-Chemie, mit der chemische Bausteine vergleichsweise einfach miteinander verbunden werden können. Carolyn Bertozzi (56, USA) von der US-Universität Stanford entwickelte die Click-Chemie weiter und wendete sie in lebenden Organismen an.

Die beiden prämierten Methoden hätten „längst einen festen Platz im Instrumentarium der biomedizinisch und pharmazeutisch arbeitenden Unternehmen und Institute errungen“, teilte der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) mit. In vielen Forschungslaboren gehört Click-Chemie mittlerweile zum Standard. Aubry Miller, Leiter der Arbeitsgruppe Wirkstoffforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum, drückt es so aus: „Auf Konferenzen zu chemischer Biologie hat jeder Vortrag etwa mit Click-Chemie zu tun.“

Chemiker sind schon lange in der Lage, komplizierte Biomoleküle zu konstruieren, die beispielsweise als Arzneimittel eine gewünschte Wirkung entfalten. Das Problem dabei: Oft sind viele chemische Reaktionen notwendig und jeder Schritt kann den Vorgang ineffizienter machen. „Chemiker erreichen oft ihre herausfordernden Ziele, aber der Weg kann sowohl zeitaufwendig als auch teuer sein“, schreibt das Nobelkomitee. Hier kommt die sogenannte Click-Chemie ins Spiel. Der Clou: Es werden Kohlenstoff-Gerüste genutzt, die sich vergleichsweise einfach über bestimmte Brücken miteinander verbinden lassen.

Das Verfahren funktioniert ähnlich wie eine Rucksack-Schnalle, bei der ein Teil genau in das andere Teil passt. „Klickt“ es einmal, ist die Verbindung fest. Auch der Vergleich mit Legosteinen wird herangezogen. Auch wenn durch das Verfahren Moleküle nicht exakt so aufgebaut sind, wie sie in der Natur vorkommen würden, erfüllen sie doch häufig ihre Funktion.

2002 beschrieben Meldal von der Universität von Kopenhagen und Sharpless, der seit einem Labor-Unfall 1970 auf einem Auge blind ist, unabhängig voneinander die wohl berühmteste Click-Reaktion genauer, die sogenannte Kupfer-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition. Die Reaktion ist sowohl in der pharmazeutischen Forschung als auch in der Industrie sehr beliebt, weil sich damit sehr einfach Moleküle verbinden lassen.

Bertozzi wiederum nutzte eine modifizierte Click-Reaktion – ohne giftige Kupferionen –, um bestimmte Zuckerketten sichtbar zu machen, die beispielsweise auf der Oberfläche von Zellen sitzen. Das Prinzip wird hierbei verwendet, um beispielsweise Farbstoffe ganz spezifisch an die Zuckerketten zu binden und diese dadurch unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Bertozzi war in der Lage, Zuckermoleküle so mit Bindestellen auszustatten, dass dadurch möglichst keine anderen Zell-Prozesse gestört werden. Fachleute sprechen von bioorthogonalen Reaktionen.

Bertozzis Prinzip kann man zum Beispiel in der Krebsmedizin nutzen. Zunächst findet dabei ein spezifischer Antikörper eine Tumorzelle. In einem zweiten Schritt bindet per Click-Reaktion eine Molekül an den Antikörper, das beispielsweise die Krebszelle zerstören kann (Antikörper-Wirkstoff-Konjugate).

Die Preisträger

Bertozzi ist die erste Frau, der in diesem Jahr ein Nobelpreis zugesprochen wurde. Sie stammt aus einer Familie von Wissenschaftlern: Ihr Vater war Nuklearphysiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ihre Mutter arbeitete ebenfalls dort. Auch die vier Schwestern ihres Vaters waren Forscherinnen. Bertozzi studierte in Harvard Chemie – wegen der Moleküle. „Ich wollte eigentlich Biologie wählen, aber als ich meinen ersten Chemiekurs hatte, dachte ich, dass Moleküle wie Menschen sind“, sagte Bertozzi einmal in einem Interview. „Sie sind lustig.“ Bertozzi engagiert sich als Aktivistin für Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell oder Transgender sind.

Für Sharpless, der am Scripps Research Institute in La Jolla in Kalifornien forscht, ist es nach 2001 bereits der zweite Chemie-Nobelpreis. Damit ist er neben Frederick Sanger die einzige Person, welcher zweimal diese Ehre zuteilwurde. Insgesamt erhielten einschließlich Sharpless sieben Menschen oder Organisationen zweimal den Nobelpreis.

Sharpless ging als Kind gerne angeln. Er wollte Kapitän eines Fischerbootes – wie sein Onkel – werden, entschied sich dann aber doch für ein Chemiestudium an der Elite-Universität Dartmouth und stellte sich schon im ersten Semester als Bester seines Jahrgangs heraus. Er gilt als bescheiden, aber auch als unkonventionell und exzentrisch. Meldal hingegen wird von Kollegen eher als zurückhaltend beschrieben.

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 920.000 Euro) dotiert. Die feierliche Übergabe der Preise findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Am Montag war der Nobelpreis für Medizin und Physiologie dem in Leipzig arbeitenden schwedischen Forscher Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur menschlichen Evolution zugesprochen worden. Am Dienstag wurden der Franzose Alain Aspect, der US-Amerikaner John Clauser und der Österreicher Anton Zeilinger für ihre Erkenntnisse in der Quantentechnik als Physik-Nobelpreisträger gekürt. (dpa)