„Handwierkerhaff“ anstelle von JoskinAlternativprojekt ohne Chance: Escher Handwerk steht unter Druck

„Handwierkerhaff“ anstelle von Joskin / Alternativprojekt ohne Chance: Escher Handwerk steht unter Druck
Die „Escher Betriber“ strebten den Bau eines innovativen „Handwierkerhaff“ auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerks Twinerg an. Den Zuschlag bekam allerdings der belgische Landmaschinenhersteller Joskin. Illustration: Escher Betriber

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Der belgische Landmaschinenhersteller Joskin wird sich auf dem fünf Hektar großen Grundstück des früheren Gas- und Dampfkraftwerks Twinerg in Esch installieren. Das bestätigte das Wirtschaftsministerium vor eineinhalb Monaten. Großes Interesse an der Nutzung des Grundstücks hatten zuvor die „Escher Betriber“ gezeigt. Pläne, einen innovativen Handwerker-Hof für Firmen aus Esch und dem gesamten Land nach Vorbild des 1535° Creative Hub in Differdingen zu schaffen, lagen auf dem Tisch. Allerdings zu spät, wie es aus dem Wirtschaftsministerium heißt. 

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Die Argumente, die die unter dem Dach des Geschäftsverbands Acaie organisierten „Escher Betriber“ gegen die Implementierung einer internationalen Industriefirma auf dem ehemaligen Twinerg-Gelände anführen, sind nicht von der Hand zu weisen. Allerdings legt man Wert auf die Feststellung, dass sich diese Argumentation nicht gegen die Firma Joskin wendet. Vielmehr geht es um die Benachteiligung der lokalen, regionalen und nationalen mittleren und kleineren Firmen (PME). Denn die (Escher) Handwerksbetriebe suchen seit Jahren händeringend nach Grundstücken. Die gibt es so gut wie nicht und die Gewerbegebiete sind voll belegt. Eine Möglichkeit wäre der ehemalige Twinerg-Standort entlang der Autobahn nahe dem Kreisverkehr Raemerich gewesen. 

Für das Wirtschaftsministerium kam es aber wohl von Anfang an nicht infrage, das 2017 gekaufte Grundstück Luxemburger Betrieben zu überlassen. Auch die Gemeinde meldete 2018 Interesse zur Nutzung beim damaligen Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) an. Dem Schöffenrat schwebte eine Art Autocampus vor. Das Wirtschaftsministerium aber befürwortete zunächst die Ansiedelung der Firma Guardian. Der Glashersteller geriet durch die Pandemie in Schwierigkeiten, worauf Delphi für den Standort infrage kam. Als daraus auch nichts wurde, erhielt Joskin den Zuschlag. Das bestätigte das Wirtschaftsministerium auf Tageblatt-Anfrage: Im Jahr 2019 habe Joskin ein den Regeln entsprechendes Industrieprojekt vorgelegt, um sich in Luxemburg niederzulassen. 2020 habe der Konzern deswegen den Zuschlag bekommen.

Es war das Jahr, als sich der griechische Joghurthersteller Fage nach langem Hickhack endgültig vom Projekt einer neuen Produktionsstätte in Bettemburg zurückzog. Bei der Entscheidung zugunsten von Joskin könnte somit auch die Signalwirkung im Ausland eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben und der Industrie-Standort Luxemburg nach dem Fage-Fiasko sozusagen rehabilitiert werden.  

So soll die Produktionsstätte des Landmaschinenherstellers Joskin am Rande der Autobahn in Esch einmal aussehen
So soll die Produktionsstätte des Landmaschinenherstellers Joskin am Rande der Autobahn in Esch einmal aussehen Illustration: Joskin

Das Wirtschaftsministerium präzisiert weiter, dass eine Implementierung von Handwerksbetrieben in einer nationalen Gewerbezone nicht zulässig sei. Dafür gäbe es die regionalen oder kommunalen Zonen. Nationale Gewerbezonen dagegen seien laut Gesetz für neue industrielle Projekte reserviert. Das Grundstück war im Teilbebauungsplan (PAP) der Gemeinde Esch allerdings in der Zone 1 (ECO-c1 – „établissements d’industrie légère et d’artisanat“) angesiedelt. Erst auf Wunsch des Ministeriums hatte der Gemeinderat im Februar 2021 den PAP in eine Zone 2 (ECO-c2 – „établissements industriels et aux activités de production“) umklassiert. 

Nachhaltigkeit

Zudem bleibt das Problem der existierenden Gewerbezonen in Esch, die keinen Platz mehr bieten. Das sorgt nun für reichlich Verbitterung bei den Escher Betrieben. Denn alle Bemühungen, den Plänen entgegenzusteuern, waren offensichtlich vergebens. Dabei hatte es im Mai 2021 ein Treffen mit Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) gegeben. Mit der Bitte, die Entscheidung zu überdenken. Man legte dem Minister eine ganze Reihe von Argumenten vor, die über das Überleben beziehungsweise das Expandieren der Escher Betriebe weit hinaus gingen.

In erster Linie ging es um Nachhaltigkeit, schließlich hatte Fayot im RTL-Background vom 27. März 2021 die Einführung eines „Nachhaltigkeits-Checks“ angekündigt. Eine Art interministerielles Schnellverfahren, das bei Projekten von ausländischen Industriebetrieben in Luxemburg angewandt werden soll. In den von Fayot im Interview angeführten Kriterien würde der Handwerker-Hof das Joskin-Projekt wohl in sämtlichen Punkten ausstechen, argumentieren die „Escher Betriber“. Beispiel: Während die neue Joskin-Fabrik rund 100 Arbeitsplätze schafft, sollen im Handwerker-Projekt bis zu 500 Menschen beschäftigt sein. Ganz abgesehen von dem während der Pandemie von allen Stellen propagierten lokalen und regionalen Denken. Zudem wäre eine Produktionsstätte für landwirtschaftliche Fahrzeuge wohl besser im Norden aufgehoben, wo landwirtschaftliche Betriebe zu Hause sind und es auch Betriebe rund um die Autoindustrie gebe. Seitens des Ministeriums heißt es hierzu, dass der Firma Joskin das Grundstück bereits 2020 zugesprochen wurde, also lange vor dem angekündigten Nachhaltigkeits-Check. Auch würde dieser Check in erster Linie dem Ressourcenverbrauch Rechnung tragen, und da stehe Joskin gut da. Schließlich sei im Norden kein Grundstück in der benötigten Größe in einer nationalen Gewerbezone verfügbar.

Das Konzept des „Handwierkerhaff“ beschränkt sich nicht auf die Arbeit der Betriebe, sondern versteht sich als Vorzeigemodell für die Zukunft
Das Konzept des „Handwierkerhaff“ beschränkt sich nicht auf die Arbeit der Betriebe, sondern versteht sich als Vorzeigemodell für die Zukunft Illustration: Escher Betriber

Die Stadt Esch ist über die Entscheidung des Wirtschaftsministers ebenfalls nicht glücklich. „Natürlich wollten wir, dass unsere Betriebe vom Grundstück profitieren. Doch wir hatten und haben keinerlei Handhabe im Dossier“, präzisiert Bürgermeister Georges Mischo (CSV) gegenüber dem Tageblatt, „der hierfür im Ministerium zuständige Beamte hatte von Anfang an den Daumen auf dem Dossier, und es ist ein schwerer Daumen.“ Sogar Landesplanungsminister Claude Turmes („déi gréng“) hätte erfolglos interveniert.

Kaum Alternativen

Das Projekt des „Handwierkerhaff“ mit bis zu 50 verschiedenen Betrieben auf einer Fläche mit gemeinsamen Nutzräumen würde laut den Escher Betrieben gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: den existierenden PMEs die Möglichkeit zur Expansion und somit zur Sicherung ihrer Aktivitäten zu bieten und gleichzeitig neue anzuziehen. Dies, mit einem innovativen Konzept, angelehnt an das 1535°: kurze Wege, lokale Arbeitsplatzschaffung, Stärkung der lokalen Wirtschaft, erhöhte Lebensqualität für die Beschäftigten, ökologisch, kreativ und den Regeln der Kreislaufwirtschaft entsprechend, wäre der „Handwierkerhaff“ ein Vorzeigemodell für die Zukunft gewesen, wie die „Escher Betriber“ betonen. Er wäre letztendlich auch Esch zugutegekommen. Schließlich steuere die Stadt mittelfristig auf über 50.000 Einwohner zu. Und die müssten auch irgendwo arbeiten, sofern Esch nicht zu einer „Schlafstadt“ werden soll.    

So stellten sich die „Escher Betriber“ den „Handwierkerhaff“ auf dem ehemaligen Twinerg-Gelände neben der Autobahn vor
So stellten sich die „Escher Betriber“ den „Handwierkerhaff“ auf dem ehemaligen Twinerg-Gelände neben der Autobahn vor Illustration: Escher Betriber

Die Handwerksvertreter Luxemburgs klagen schon lange über fehlende Unterstützung. Vor allem der Platzmangel und die Bürokratie werden immer wieder angeprangert. Vor rund zehn Jahren hatte der Umzug des genossenschaftlichen Landwirtschaftsunternehmens „De Verband“ für Schlagzeilen gesorgt. „De Verband“ hatte sein neues Produktions- und Logistikzentrum auf der anderen Seite der Mosel in Perl (D) gebaut, nachdem man mit dem Projekt in Luxemburg nicht vorangekommen war. Durch die Pandemie (Materialmangel) und die Energiekrise ist das Handwerk mit seinen 98.000 Arbeitsplätzen in Luxemburg (2019) weiter unter Druck geraten.

In Esch haben zuletzt Telindus, Editpress und Luxcontrol ihre Standorte im Zentrum verlassen, weitere könnten folgen. Die „Escher Betriber“ wollen weiter um ihren „Handwierkerhaff“ kämpfen. Nächsten Monat soll während einer öffentlichen Versammlung auf die Bedürfnisse der über 200 lokalen Betriebe mit ca. 5.000 Beschäftigten eingegangen werden und die 43-seitige Studie zum „Handwierkerhaff“ im Detail vorgestellt werden. Das Twinerg-Grundstück haben sie abgeschrieben, Alternativen bleiben kaum, sieht man einmal vom „Crassier Terres Rouges“ und vielleicht der „Metzeschmelz“ ab. Man will mit den Ministerien und der Stadt Esch weiterhin engen Kontakt halten, schließlich ist man auf der Suche nach Grundstücken auf deren Hilfe angewiesen. In Konkurrenz zu internationalen Industriebetrieben stehen die PMEs beim Grundstückskauf nämlich auf verlorenem Posten.