KlimawandelEin Umweltpsychologe erklärt: Warum wir nicht tun, was wir müssten

Klimawandel / Ein Umweltpsychologe erklärt: Warum wir nicht tun, was wir müssten
Gerhard Reese (41) ist Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Anlässlich der jährlichen „Climate Alliance International Conference“ (CAIC) war er in Luxemburg. Die CAIC wird vom Klimabündnis Luxemburg organisiert. „Wandelt euch, nicht das Klima“ war das Thema seines Vortrags.  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Dieses Jahr war im Februar schon alles verbraucht. Luxemburg und Katar sind spitze darin, über ihre Verhältnisse zu leben. Das jährliche „Overshoot Day“-Ranking zeigt es. Trotzdem kaufen wir in Plastik verpacktes Gemüse, bestellen über Amazon Waren von zu Hause nach Hause oder nutzen den Pkw für kurze Strecken. Widersprüche wie diese erklärt der Umweltpsychologe Gerhard Reese.

Tageblatt: Sie haben mal gesagt, als Psychologe haben Sie es nicht einfach. Wie meinen Sie das?

Gerhard Reese: In meinem Fach gibt es wenige allgemeine Aussagen, die für alle gelten. Dafür ist die menschliche Psyche zu komplex und die Menschen sind zu verschieden. So habe ich das gemeint.

Dann starte ich mal mit einer schwierigen Frage. Warum geht unser Handeln beim Klimawandel oft gegen unsere Überzeugungen, obwohl wir es besser wissen müssten?

Der Hauptgrund liegt für mich darin, dass die Denkmuster und Handlungen, die wir über die letzten Jahrzehnte gelernt haben, das totale Gegenteil von dem sind, was wir tun müssten. Wir sind alle in eine Gesellschaft hineingeboren, in der es heißt, dass Wirtschaftswachstum das Maß der Dinge ist. In der heißt es auch, dass wir konsumieren und Geld verdienen sollen, um uns schöne Sachen zu kaufen. Das ging in Mitteleuropa auch lange gut. Aber jetzt zeigt sich, dass wir mit der Ausbeutung und Nutzung der endlichen Ressourcen und der damit verbundenen Zerstörung von Lebensräumen längst Grenzen überschritten haben.

Unsere Gesellschaft hat sich zu sehr an das Narrativ des Wirtschaftswachstums als Maß aller Dinge gewöhnt, sagt der Experte
Unsere Gesellschaft hat sich zu sehr an das Narrativ des Wirtschaftswachstums als Maß aller Dinge gewöhnt, sagt der Experte Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Heißt das, das Narrativ, Wirtschaftswachstum und Konsum machen glücklich, klingt einfach zu gut oder sind wir zu sehr daran gewöhnt?

Ich glaube, wir sind zu sehr daran gewöhnt. Es hat für eine lange Zeit für eine bestimmte Gruppe gut funktioniert. Die größten Profiteure der neoliberalen Ideen sind ja nicht alle Menschen, sondern eher die oberen 10 bis 20 Prozent auf der Welt. Wobei Wirtschaftswachstum ja per se nicht schlecht ist. In ärmeren Ländern hat sich gezeigt, dass es zu besserem Wohlbefinden und beispielsweise einer besseren Gesundheitsversorgung führt. Aber in wirtschaftlich gesättigten Ländern wie Luxemburg oder Deutschland und vielen Industrienationen gibt es diesen Zusammenhang nicht mehr. Steigendes Wirtschaftswachstum hat da nichts mehr zu tun mit mehr Wohlbefinden. Wir spüren jetzt die Kosten.

Forscher:innen behaupten, ökologisches Denken und Handeln sei ein Zeitproblem. Ihre Meinung?

Da stimme ich zum Teil zu. Ökologisches Agieren ist teilweise schwerer, dauert länger und kostet mehr. Das schreckt viele ab, und diese abschreckenden Rahmenbedingungen müssen sich zwingend ändern.

Und der andere Teil?

Der Teil, wo ich nicht zustimme, betrifft die Verhaltensweisen, die wir selbst ohne großen Aufwand ändern können.

Haben nicht viele das Gefühl, ihr Verhalten ändert sowieso nichts?

Kann ich nachvollziehen, weil wir ja kein Feedback bekommen. Wenn jemand seit 20 Jahren Vegetarier ist, sieht er oder sie nicht, dass es irgendeine Konsequenz hat. Das macht es sehr schwer, sich dann weiter zu motivieren. Das Gefühl, ich kann nichts tun, kann man aber beherrschen. Wenn man sich klarmacht, ich bin ein Teil von vielen und trage mit meinem Verhalten zur Gesamtheit bei, hilft das enorm. Wir werden als Menschen dann richtig effektiv, wenn wir etwas zusammen machen – mit Gleichgesinnten. Dann hat das eine starke Stimme.

Obwohl der Klimawandel in den Augen vieler längst die regionale Ebene erreicht hat, sind gesellschaftlich keine großen Veränderungen spürbar, sagt Gerhard Reese. „Fridays for Future“ hätten da weit mehr bewegt.
Obwohl der Klimawandel in den Augen vieler längst die regionale Ebene erreicht hat, sind gesellschaftlich keine großen Veränderungen spürbar, sagt Gerhard Reese. „Fridays for Future“ hätten da weit mehr bewegt. Foto: Editpress/Julien Garroy

Schwedische Forscher:innen sagen, Regierungen und Schulen reden nicht über die individuell effizientesten Wege, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Sie nennen das „Big Points“, also besonders effiziente Wege, den eigenen Fußabdruck zu verringern. Welche sind das?

Wir haben als Einzelne Verantwortung, aber wir dürfen die ganze Verantwortung natürlich nicht nur auf das Individuum abschieben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aber wir können dennoch effektive Entscheidungen treffen: Muss dieser Flug sein oder kann ich nicht besser mit der Bahn fahren? Punkt eins. Weniger Auto fahren, stattdessen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem solidarischen Nahverkehr unterwegs sein. Punkt zwei. Ökostrom beziehen und Wohnraum besser dämmen – gerade Letzteres ist ein starker Hebel, kommt aber gerade als Mieter kaum infrage. Punkt drei. Schließlich: Ernährung. Pflanzenbasierte (und bestenfalls regionale) Ernährung hat so ziemlich den größten individuellen Impakt von allen und man kann morgen sofort anfangen. Punkt vier. Was passiert mit meinem Geld bei einer Bank? Wo investiert die Bank und will ich wirklich, dass mein Geld Kohlekraftwerke, Waffen oder Kinderarbeit mitfinanziert? Geld ist, wenn man es hat, ein großer Hebel. Es gibt Banken, die das ihnen anvertraute Kapital nach ethisch und ökologischen Kriterien einsetzen.

Sie sprechen von einem falschen „moralischen Konto“ beim individuellen Fußabdruck. Was meinen Sie damit?

Das ist eine Metapher für einen weit verbreiteten Irrglauben. Wenn wir uns „gut“ verhalten, ist auf dem Sparkonto viel drauf und dann können wir mal über die Stränge schlagen.

Der Billigflug nach Thailand, weil der Herbstblues droht …

Genau. Es wird ganz oft das Argument verwendet: „Ich bin doch Veganer, habe kein eigenes Auto und spare doch so viel CO2-Emissionen. Dann kann ich doch mal in den Urlaub fliegen.“ Das ist aber ein Trugschluss. Wenn wir die durchschnittliche Erderwärmung bis 2050 auf zwei Grad begrenzen wollen, dürfte jeder Mensch auf der Erde jährlich nur ca. 2,3 Tonnen CO2-Ausstoß verursachen. In Deutschland verursacht jeder im Schnitt mehr als zehn Tonnen pro Person. Wenn ich also sage, ich spare zwei Tonnen jährlich durch vegane Lebensweise ein und verballere dann aber zwei Tonnen durch den Flug, dann bin ich wieder auf den mehr als zehn Tonnen. Das ist das Vierfache dessen, was tragbar ist. Das ist zwar eine nachvollziehbare, aber leider falsche Rechnung.

Überschwemmungen 2021 in Echternach: Die Folgen des Klimawandels sind jetzt auch in Luxemburg spürbar
Überschwemmungen 2021 in Echternach: Die Folgen des Klimawandels sind jetzt auch in Luxemburg spürbar Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Lange Zeit war das Thema nicht nur geografisch, sondern auch zeitlich weit weg. 2050 erleben viele vielleicht nicht mehr. Haben die Überschwemmungen und die heißen Sommer den Klimawandel nähergebracht?

Näher gebracht, ja, wir spüren die Veränderungen seit vier, fünf Jahren auch hier. Doch zu Änderungen kommt es aus meiner Sicht bisher nicht, dafür fehlen aber noch verlässliche Daten. Wir haben bislang keine Politik, die das Thema ernst nimmt und den Bürgern vermittelt. Außerdem fällt es vielen schwer, diese Wetterphänomene klar dem Klimawandel zuzuordnen. Was fehlt, ist die Akzeptanz dessen, dass Dürren, Hitze, Überschwemmungen sich sehr wahrscheinlich vervielfachen werden. In fünf oder zehn Jahren ist es dann wahrscheinlich auch beim Letzten angekommen, aber so lange können wir nicht warten.

Anderen macht der Klimawandel Angst. Müssen wir uns daran gewöhnen?

Das wird sich zeigen. Prinzipiell ist Angst vor dem Klimawandel eine nachvollziehbare Reaktion. Der Klimawandel wird massive Konsequenzen für Europa haben. Es ist aber sicherlich eine andere, weniger existenzielle Angst, als sie die Bewohner auf den Fidschi-Inseln haben, weil ihr Lebensraum weggeschwemmt wird und eine Nation umgesiedelt werden muss. Wir hier müssen schauen, wie wir diese Angst ummünzen in Motivation, und nicht den Kopf in den Sand stecken.

Bringen Verbote etwas? Ich denke an Plastiktüten, Strohhalme oder Wattestäbchen …

Ich glaube, dass prinzipiell Verbote hilfreich sein können, aber man kann nicht alles verbieten. Das machen die Leute auch nicht mit. Aber Verbote, wo klar kommuniziert wird, sie sind sinnvoll und bei denen die Konsequenzen klar aufgezeigt werden und die Leute eine Verbesserung spüren, können funktionieren. Beispiel: Raucherverbot in der Gastronomie. Es gab Widerstand und Sorgen um ein Gastronomiesterben. Nichts von alldem ist passiert und außerdem ist so ein Verbot gerecht, weil sich niemand herauskaufen kann.

Wie meinen Sie das?

Ein Beispiel: Einen Preis von 500 Euro für das Parken in der Innenstadt festzulegen, ist nicht gerecht, aber sinnvoll, weil es viele abhalten würde, ein eigenes Auto zu haben. Aber das Parken in der Innenstadt generell zu verbieten, wäre gerechter – da könnte man sich trotz vollem Geldbeutel nicht herauskaufen. Aber natürlich müssten für solche Regelungen Ausnahmen bestehen und die Infrastruktur angepasst werden.

Sie fliegen nicht mehr, haben kein Auto und nutzen Ökostrom. Das steht in Ihrem CV auf der Uni-Seite. Wann haben Sie das letzte Mal Gemüse in einer Plastikverpackung gekauft?

Das ist eine gute Frage. Ich vermute, vor ein paar Wochen. Es waren Möhren in einer Plastiktüte. Da kommt auch wieder das System ins Spiel. Wir können Individuen nicht vorwerfen, dass sie in Plastik verpackte Möhren kaufen, wenn der Supermarkt sie als günstigste Kaufoption anbietet. Als Professor muss ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen, aber für Geringverdiener spielt es sehr wohl eine Rolle, ob das in Plastik verpackte Gemüse billiger ist als das unverpackte. Wir brauchen systemische Veränderungen, die es leichter machen, andere Entscheidungen zu treffen. Da können klare Regulierungen oder auch Verbote ohne Hintertür sinnvoll sein.

Auf Hitzesommer wie dieses Jahr müssen wir uns künftig einstellen
Auf Hitzesommer wie dieses Jahr müssen wir uns künftig einstellen Foto: dpa/Nicolas Armer
Phil
2. Oktober 2022 - 12.01

Tja, mit Aussagen eines diplomierten Umweltpsychologen wird Verschwörungstheoretikern eines Great Reset und den Argumentationen eines Klaus Schwab Genüge getan. Nur wenn ein einfacher Bürger vom Volk den Great Reset anspricht wird er als Spinner abgetan. "Nichts sein, nichts haben und trotzdem glücklich sein".

HeWhoCannotBeNamed
1. Oktober 2022 - 18.27

@Jill : Demografen arbeiten üblicherweise nicht mir einer sondern mit mehreren Szenarien und es handelt sich um Projektionen, nicht um eine Wahrheit aus der Kristallkugel. Außerdem wichtig : demografischer übergang (siehe zB wikipedia) - die afrikanische Bevölkerung befindet sich in einer anderen Phase als die europäische Bevölkerung.

HeWhoCannotBeNamed
1. Oktober 2022 - 17.36

Schön und gut, aber wo ist hier der Mehrwert eines Klimapsychologen? Im Grunde wird nur wiederholt, worauf Klimaforscher und Greta & co. seit Jahren (Jahrzehnten!) hinweisen - meist aber in einer überzeugenderen Weise. Wo bleiben überlegungen zum Verantwortungsgefühl im Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft? Schlimmer noch, wenn mit erhobenem Zeigefinger auf die Problematik eines "moralischen Kontos" hingewiesen wird, dann werden viele Leute noch eher resignieren und einfach dem "après-moi-le-déluge" frönen... und dann hat der Klimapsychologe ein Eigentor geschossen. Ts.

carlocoin
1. Oktober 2022 - 17.30

Noch ein Katastrophenapostel. Die Panik muss erhalten bleiben, stellt euch vor, die Politok würde keine Budgets mehr votieren...

Jill
1. Oktober 2022 - 16.29

@He… - Stimmt! „Überbevölkerung“ in Relation zur Grösse Afrika‘s ist der falsche Ausdruck. Ich meinte damit die schnell wachsende Bevölkerung, laut der Welthungerhilfe wird sich die Bevölkerung bis 2050 höchstwahrscheinlich verdoppeln, das Elend und die Hungersnöte wohl auch, auch wegen dem Klimawandel. Ich sehe das nicht als rassistisches Narrativ, sondern als Tatsache.

HeWhoCannotBeNamed
1. Oktober 2022 - 14.42

@Jill : Die "überbevölkerung in Afrika" gibt es nicht, der afrikanische Kontinent gehört zu den weniger bevölkerten Erdteilen. Das Konzept basiert nicht auf geografischen Fakten sondern ist Teil eines rassistischen Narrativs laut dem "es zuviele von denen gibt". Gründe für eine "Völkerwanderung" sind eher Konflikte und Dürren.

charlesplier1960
1. Oktober 2022 - 12.37

Klimawandel als Jobmacher. Klimapsycholog. Verreckt!

Jill
1. Oktober 2022 - 11.14

Alles schön und richtig, aber was machen wir mit China, Indien? Dem weltweiten demografischen Wandel? Der Überbevölkerung in Afrika und der Völkerwanderung nach Europa? Wieviel Menschen verträgt unser Kontinent, unser Planet?