New YorkXavier Bettel spricht zur UN-Vollversammlung: „Die Vereinten Nationen sind das, was wir aus ihnen machen“

New York / Xavier Bettel spricht zur UN-Vollversammlung: „Die Vereinten Nationen sind das, was wir aus ihnen machen“
Die Unsicherheit der ganzen Welt im Blick: Xavier Bettel spricht in New York zur UNO-Vollversammlung Foto: Screenshot YouTube

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Luxemburg strebt eine zweite Periode im UN-Sicherheitsrat an: Nachdem das Großherzogtum 2013/2014 bereits Teil des Gremiums war, strebt es erneute Mitgliedschaft für 2031/2032 an. Im Rahmen der 77. Generaldebatte der UN-Vollversammlung hat Premierminister Xavier Bettel die Stellen auf der Weltkarte abgesteckt, die aus Luxemburger Perspektive gerade Grund zur Sorge um die Sicherheit geben. Dafür waren, um im Bild zu bleiben, eine Menge Nadeln nötig. 

Vielleicht war die Welt niemals ein rundum sicherer, guter Ort für alle – aber die Nöte und Risiken, die derzeit die Bewohner des „pale blue dot“ (Carl Sagan) bedrängen, können einem fast aussichtslos erscheinen. In seiner fast 25-minütigen Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel am Freitag (23.9.) zumindest den Versuch unternommen, die drängendsten Herausforderungen aus seiner Perspektive zu benennen – beziehungsweise natürlich aus der des eher kleinen Großherzogtums am anderen Ufer des Atlantiks, das aber immerhin über Mittel und Wege verfügt, als Vermittler oder Ideengeber dem Lauf der Tragödien, die sich derzeit global abzeichnen, nicht nur fatalistisch zuzusehen.

„Die Vereinten Nationen sind das, was wir aus ihnen machen“, fasste er seinen Glauben an Lösungen, Allianzen und Kompromisse zusammen. Was derzeit wie Zweckoptimismus wirken muss: die erklärte Hoffnung, dass nächstes Jahr um die gleiche Zeit „die derzeitigen Gräueltaten in der Ukraine Teil der Geschichte“ sein werden.

Die Situation dort nahm, wenig überraschend, den ersten und größten Teil von Bettels Rede ein. Der 49-Jährige benannte den Konflikt noch einmal deutlich als „offensichtliche Verletzung der Charta der Vereinten Nationen“, nämlich als „groß angelegten Angriffskrieg gegen ein souveränes Nachbarland, an dem auch Weißrussland beteiligt ist“. Der „unprovozierte und ungerechtfertigte“ Krieg lasse „das Gespenst eines Weltkriegs wieder aufleben“ und Luxemburg verurteile „die jüngsten Drohungen und die von Moskau angekündigten Maßnahmen aufs Schärfste“.

Bettel erinnerte daran, dass er im März an den Bemühungen beteiligt war, Wladimir Putin und andere Repräsentanten Russlands davon zu überzeugen, einen Waffenstillstand auszuhandeln und zur „Diplomatie zurückzukehren“. Er bereue diese Versuche nicht, obgleich er von den Ergebnissen natürlich „enttäuscht“ sei.

Er schätze zwar die „Direktheit“ Putins, die dieser in den Diskussionen gezeigt habe, aber er sei der Ansicht, dass es heutzutage offenbar recht einfach sei, einen Krieg zu beginnen. Aber die Größe politischer Figuren zeige sich darin, ihn zu beenden. Bettel zeigte sich an dieser Stelle offen perplex. Er könne das Vorgehen Russlands schlichtweg nicht mehr verstehen – und obwohl seine bisherigen Aufrufe erfolglos waren, wiederholte er in New York: „Ich rufe Sie nochmals zu einem Waffenstillstand und zur Diplomatie auf!“

Artikel 51 der UN-Charta

Bettel kritisierte die jetzt durchgeführten Referenden. Sie seien ohnehin in Kriegszeiten nicht wirklich durchführbar, aber die Befürchtung sei ja ohnehin, dass sie Putin nur als Grund für „noch brutaleres Vorgehen“ dienen sollen – und was die bisherigen angerichtet haben, davon habe er sich vor Ort vor drei Monaten ja ein Bild gemacht: bei seinen Besuchen der „Märtyrerstädte“ Borodjanka, Butscha und Irpin. Bettel erinnerte sich an das Zusammentreffen mit einer Mutter und ihrem Sohn, der nach Bombardierungen taub geworden war.

Er versicherte der Ukraine „weiterhin unsere volle Unterstützung“. Das Land verteidige sich auf der Grundlage von Artikel 51 der UN-Charta, der das Recht auf Selbstverteidigung für den Fall festschreibt, dass ein Mitgliedstaat Ziel eines bewaffneten Angriffs wird.

Bettel hob auch das zivile Engagement in Luxemburg hervor. So sprach er von den mehr als 1.000 ukrainischen Kindern und Jugendlichen, die im Großherzogtum zur Schule gehen.

Gleichzeitig drückte er Hochachtung aus vor der „Widerstandsfähigkeit der Frauen und Männer in der Ukraine, die nach der Barbarei in ihren vom Aggressor befreiten Städten mit dem Wiederaufbau und der Wiederbelebung dieser Städte begonnen haben“. Das müsse geehrt werden, unter anderem durch unermüdliche Ermittlungen, etwa des internationalen Strafgerichtshofes, damit „die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und andere in der Ukraine begangene Verbrechen identifiziert, verfolgt und bestraft werden“. Die mutigen Bürger Russlands, die trotz der Unterdrückung weiter „Nein zum Krieg“ sagen, könnten weiter auf die Luxemburger Solidarität zählen.

„Ist es zu spät zum Vergeben?“, fragte Bettel plötzlich, der recht oft vom Redemanuskript abwich. „Was bisher geschehen ist, ist unverzeihlich.“ Trotzdem: Es müsse jetzt ein Waffenstillstand her, die Tötungen Unschuldiger müssten gestoppt werden.  

Russisches Narrativ

Den nächsten Schwerpunkt seiner Rede, die Ernährungsunsicherheit in vielen Entwicklungsländern, konnte Bettel mit dem ersten verknüpfen: Schließlich verschärfe oder verursache der Angriffskrieg auch diese Problematik, etwa durch die Blockade von Millionen Tonnen ukrainischen Getreides. Dabei sei klar festzustellen: „Es ist der Krieg, der die Ursache der Nahrungsmittelkrise ist. Es sind nicht die Sanktionen, die eine Folge des Krieges sind. Auch wenn das russische Narrativ Sie etwas anderes glauben machen will“, sagte er zu den anwesenden Vertretern der Staaten aller Welt, die in New York versammelt waren.

Die steigenden Energiepreise brächten auch für viele Europäer schwere Auswirkungen, da liege es nahe, ein Ende der Sanktionen zu wünschen. „Ich würde den Krieg gerne beendet sehen“, sagte Bettel und lobte Initiativen wie spezielle „Reaktionsgruppen“ innerhalb der UN, die schon Erfolge verbuchen konnten, wie die Wiederöffnung des Schwarzen Meers für ukrainische Getreideexporte. Das Großherzogtum unterstütze weiter „die lebenswichtige Arbeit des Welternährungsprogramms, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD)“ mit mindestens 20 Prozent des humanitären Budgets. Luxemburg, so Bettel, sei stolz auf seine ehrgeizige Politik der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe, für die ein Prozent des Bruttonationaleinkommens bereitgestellt würden.

Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen, sei die Partnerschaft mit Afrika von entscheidender Bedeutung – schließlich gehe diese, etwa im Fall von Kap Verde, über traditionelle Zusammenarbeit hinaus und erstrecke sich auch auf Bereiche wie erneuerbare Energien und Bekämpfung des Klimawandels.

Als „glaubwürdiger und solidarischer Partner“ der Entwicklungsländer müsse man auch seinen Verpflichtungen in Bezug auf die „Klimafinanzierung“ nachkommen, für die Luxemburg ja seit 2021 über vier Jahre 220 Millionen Euro bereitstellt, um etwa stark gefährdeten Ländern bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.

Außerdem sei Luxemburg „europäischer Vorreiter im Bereich der nachhaltigen Finanzwirtschaft“, etwa als Akteur beim Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft bis 2050. 

Klimawandel und Menschenrechte

Aber all das reiche noch nicht aus, sagte Bettel. Tatsächlich müsse man die Anstrengungen noch einmal verdoppeln. Einrichtungen wie der „Bürgerrat für Klimaschutz“ hierzulande sollten dabei helfen, schließlich gingen „die Ambitionen unserer Bürger oftmals über die der Regierungen und Wirtschaftsakteure hinaus“. 

Der Premierminister stelle sich noch einmal hinter das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – um zu verhindern, dass Zustände wie die, die derzeit in Pakistan zu beobachten seien, sich weiter häuften. „Einige Redner haben sich hier heute Gedanken gemacht, wie ihre Länder auf drei oder vier Grad reagieren könnten – aber es gibt Länder, die dann einfach von der Landkarte verschwinden“, gab Bettel zu bedenken.

Nicht zuletzt drohten durch den Klimawandel Auswirkungen auch auf die Menschenrechte und besonders auf die von Kindern, die zu den Prioritäten Luxemburgs im Menschenrechtsrat gehörten.

Bettel sprach aber generell alle Formen der Diskriminierung an – und sprach den Namen von Masha Amini aus, deren mutmaßlicher Tod durch die Moralpolizei im Iran derzeit für anhaltende Proteste im Lande sorgt. Es sei nirgendwo auf der Welt vertretbar, weniger Rechte wegen der Religionszugehörigkeit, der politischen Meinung, der sexuellen Orientierung, des Geschlechts zu haben. „Aber das ist eine Realität im Jahr 2022“, so Bettel. Darum sei es wichtig, sich auch in der UN für die Menschenrechte einzusetzen.

Luxemburg wolle dabei der Verantwortung gerecht werden, die ihm die Generalversammlung mit der Entsendung in den Menschenrechtsrat übertragen habe – und noch mehr tun: 

Aus diesem Grund sei Luxemburg Kandidat für den Sicherheitsrat für die Mandatszeit von 2031 bis 2032.

Jempy
27. September 2022 - 9.17

Waat versteet de Bettel dann vun Vereinten Nationen, Zesummenhaalen etc. dreimol neischt, alles Parvenues-Gelaabers.

Robert Hottua
26. September 2022 - 19.50

Guten Tag Herr Bettel, die Geschichte des luxemburger Staates muss von einer internationalen (UNO?) Wahrheits- und Versöhnungskommission aufgearbeitet werden. Zur Veröffentlichung der historischen Wahrheit ist es nie zu spät, auch nicht nach 89 Jahren. MfG Robert Hottua