NationalmannschaftFLF-Fitnesstrainer Claude Origer über die Tracking-Methoden: „Man steuert und trainiert nicht einfach blind“

Nationalmannschaft / FLF-Fitnesstrainer Claude Origer über die Tracking-Methoden: „Man steuert und trainiert nicht einfach blind“
Der Mann mit dem Tablet: Bei den Trainingseinheiten kann sich FLF-Fitnesscoach Claude Origer in Echtzeit über die Herzfrequenzen von Leandro Barreiro und Co. informieren Foto: sportspress.lu/Jeff Lahr

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Sich nur das Essenzielle aus dem Zahlensalat herauspicken – das ist eine der Herausforderungen von FLF-Fitnesscoach Claude Origer. Der Sportlehrer erklärte im Interview mit dem Tageblatt, wie präzise die Leistungswerte inzwischen im Profifußball getrackt werden und mit welchen Programmen man beim Luxemburger Verband arbeitet.

Tageblatt: Nach welchen Daten wird heutzutage im Profifußball geforscht?

Claude Origer: Ich hatte darüber erst kürzlich ein Gespräch mit Arno Michels, inzwischen Ex-Co-Trainer beim FC Chelsea. Es wird mittlerweile extrem viel getrackt. Chelsea hat Berichte aus allen Bereichen vorliegen. Die Papierberge stapeln sich und niemand schafft es, sich das alles durchzulesen. Ich selbst muss eine Auswahl treffen und sammeln, was für mich interessant ist. 

Um welche Werte handelt es sich denn?

Was sehr viel beobachtet wird, ist die Belastung der Spieler, beispielsweise welche Distanzen sie zurückgelegt haben. Entscheidend ist aber auch die Intensität: Waren es viele Sprints? Hatten sie viele Spiele innerhalb kürzester Zeit? Wir beobachten die Ergebnisse der Laktat-Untersuchungen, um den maximalen Puls und die Schwellenwerte zu kontrollieren. Die maximale Sauerstoffaufnahme wird eingespeichert. Diese Informationen helfen, den Spieler im Blick zu behalten. Ein Beispiel: Yvandro Borges trainiert jeden Tag mit der Profimannschaft bei Borussia Mönchengladbach, hat am Samstag aber nicht gespielt. Am Sonntag haben wir ihn aus dem Mannschaftstraining herausgenommen und ein Einzeltraining mit ihm gemacht, basierend auf der wenigen Spielzeit, die damit etwas kompensiert werden soll.

Sind die Profivereine, mit denen Sie regelmäßig zu tun haben, bei den Tracking-Informationen ungefähr auf dem gleichen Level?

Nein, gar nicht. Ganz gute Kontakte pflegen wir mit den Vereinen aus der Bundesliga. Das klappt reibungslos. Es gibt auch andere. Aber es gibt eben auch diejenigen, bei denen es nicht klappt. Da ist es wichtig, den betroffenen Spielern zuzuhören, sich zu erkundigen und zu erklären, welche Werte sie im Blick behalten sollten. Luc und ich sind ohnehin viel unterwegs und schauen uns die Spiele vor Ort an. Das eine sind Werte, aber die Verfassung des Spielers – also wie er sich fühlt – ist etwas anderes. Das sollte man nicht unterschätzen. 

Was wird, am Beispiel der Luxemburger A-Auswahl, in einem Training getrackt?

Im Training benutzen wir die Daten des „Polar Team Pro“. Während des Trainings schaue ich mir die Werte in Echtzeit an und kann direkt dosieren. Dieses Tool bietet sehr viele Inhalte, die uns wichtig sind. So ist auch möglich, eine Spiel- oder Trainingsform abzubrechen, um dann nicht in einen anderen Intensitätsbereich reinzurutschen – und das eigentliche Trainingsziel zu erreichen. Wenn ich nicht unbedingt in den anaeroben Bereich gehen möchte und merke, dass der Spieler dort reinfällt, kürze ich. Das kann bei der Intensität aber auch umgekehrt zutreffen: Beim Vier-gegen-vier kann es dann sein, dass man statt drei Minuten länger laufen lässt. Nach dem Training wird bemessen, ob wir unsere Ziele erreicht haben. Wie war die Intensität für die einzelnen Spieler? Wie war das Trainingspensum? Es kann sein, dass man aufgrund der Zahlen eine Einheit um ein paar Stunden verlegt, damit die Spieler ausreichend Ruhephasen haben. Vielleicht merkt man auch, dass jemand müde ist. Den Spieler nimmt man tags darauf dann komplett raus.

Und während eines Länderspiels?

Wir haben einen Vertrag mit „Instats“ abgeschlossen. Es hängen Kameras der Firma in den jeweiligen Stadien. Von den Distanzen über die kurzen und langen Läufe, die Anzahl der Sprints, die Anzahl der Ballkontakte und Pässe oder die Prozentzahlen im Ballbesitz: Es ist alles im Detail des Zahlenmaterials inbegriffen. Diese Werte sowie die Trainingsauswertungen lasse ich später den Profivereinen zukommen. 

Wird die Pause im Fitnessbereich für Anpassungen genutzt?

Das ist mir nicht so wichtig. Da geht es eher darum, uns mit dem Videoanalysten zusammenzusetzen und einzelne Szenen herauszupicken. Man sollte den Spieler nicht mit Zahlenmaterial überladen. Wenn man viele Informationen hat, muss man sie trotzdem filtern. Es ist besser, auf ein oder zwei Sachen präzise einzugehen, als zehn Dinge zu zeigen. Es gibt Spieler, die das leichter nachvollziehen. In der Vergangenheit habe ich mich über einen längeren Zeitraum um Dirk Carlson gekümmert, als er verletzt war. Er versteht sehr viel. Gerade während Verletzungspausen werden dem Spieler viele Dinge bewusst. Manchmal ist es von Vorteil, wenn man sich länger individuell um jemanden kümmern kann. Es wäre aber nicht richtig, sich vor die Mannschaft zu stellen und alles im Detail zu erklären. Sie müssen Vertrauen haben und wissen, dass wir einen Sinn dahinter sehen. Wenn wir jemanden aus einer Einheit rausnehmen, steckt ein Grund dahinter. Natürlich erklären wir es ihnen dann. 

Wie individuell ist denn mittlerweile eine Trainingseinheit?

Das hängt von der Zeit ab, die uns zur Verfügung steht. Bei einem dreiwöchigen Trainingslager im Sommer kann man Leute komplett rausnehmen oder sie nur einen Teil der Einheit mitmachen lassen. Das ist extrem individuell – aber das Ziel muss es sein, sie alle wieder gemeinsam auf den Platz zu bekommen, um taktische Dinge einzustudieren. Als Beispiel: Bei Yvandro (Borges), der immer und immer trainiert, aber nicht spielt, ist es wichtig, dass diese fehlende Einsatzzeit im Verein aufgefangen wird. Die Spiele auf hohem Niveau fehlen. Er muss auf Abruf bereit sein. Im Profibereich ist das eigentlich kein Problem, da die nächste Trainingseinheit dann, wie bei uns auch, in zwei Gruppen aufgeteilt wird. 

Wie viel Prozent, wenn man es überhaupt in Zahlen ausdrücken kann, holt man durch gezieltes Tracking aus dem Spieler heraus?

Es ist schwer, Prozente zu nennen. Man steuert und trainiert nicht einfach blind. Ich höre ganz oft, dass verschiedene Trainingsformen angewandt werden. Das ist allerdings nicht die Frage. Es geht um den Zeitpunkt, die Dauer oder die Intensität. Ich kann kein intensives Intervalltraining am Tag vor einem Fußballspiel einplanen. Viele Wege führen nach Rom, aber man muss die passende Methode und den richtigen Inhalt finden. Mit Yvandro haben wir am Sonntag ein gezieltes Training gemacht, das seine VO2max (Sauerstoffaufnahme und Verwertung) verbessern soll. Das Intervalltraining haben wir mit Torabschlüssen kombiniert. Ich hätte ihn auch einfach nur laufen lassen können. Doch ich weiß ganz genau, dass jemand, der am Samstag nicht gespielt hat, sonntags darauf brennt, in den Ball zu treten. Deshalb bin ich übrigens auch kein Freund von Läufen auf dem Platz direkt nach dem Spiel. Ich verstehe nicht, was man damit auffangen will, wenn man zehnmal hin und her läuft. Sicher keine 90 Minuten Einsatzzeit.

Welche Fehler können gemacht werden?

Es gibt so viele interessante Methoden. Manche denken auch, Intervalltraining und Intermittent wären identisch. Ja, es sind Läufe drin, aber mit anderen Zielen. Beim Intervalltraining von Hoff/Helgerud/Kähler gehe ich zum Beispiel bewusst während vier Minuten auf 90-95 Prozent des Maximalpuls. Die drei Minuten Pause dazwischen bei 60-65 Prozent des Maximalpuls sind wichtig, damit der Körper lernt, sich zu erholen. Beim Intermittent dauert die Serie dann zwischen acht und 15 Minuten. Bei dieser Methode soll bis maximal an der Schwelle belastet werden. Die Belastungszeiten liegen zwischen fünf und maximal 30 Sekunden. Je kürzer die Belastungszeit, desto intensiver sind die Belastungen. Durch die kurzen Belastungspausen fällt der Wert nicht. Erst in der Serienpause ist dies der Fall.

Der Spieler ist praktisch während der gesamten Partie mit einer hohen Herzfrequenz unterwegs, die nie unter 160 fällt. Das hat man jahrelang in Norwegen bei Rosenborg Trondheim getestet. Der Körper muss also lernen, sich mit einem hohen Puls zu erholen. Wenn er das nicht kann, und das Training ist wie früher auf zu lange Läufe aufgebaut, lernt der Körper zu produzieren, aber nicht sich zu erholen. Dann geschieht das, was man vor 10, 15 Jahren beobachtet hat: Irgendwann ab der Minute 70 übersäuert der Körper und kommt da nicht mehr raus. Heute kann man anders trainieren, aber es wird noch zu wenig benutzt – vor allem, weil man viel mehr fußballspezifisch arbeiten könnte. Bei beiden Methoden kann man Koordination, Sprints, Technik und Torabschluss einbauen. Das ist etwas anderes, als die Spieler nur von einer Ecke zur andern laufen zu lassen. Das bedeutet nicht, dass man das nicht auch machen sollte. Sie müssen auch mal, bei einer weniger beliebten Methode, auf die Zähnen beißen können.

Letzte Frage: Wer und was wird in der BGL Ligue getrackt?

Ich kann nicht für alle sprechen. Im Moment erhalte ich die Informationen von den ausländischen Profiklubs.