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Großbritannien / Steuergeschenke für die Reichsten
Der neue britische Finanzminister Kwasi Kwarteng erläutert seinen Haushaltsplan im britischen Unterhaus Foto: Jessica Taylor/UK Parliament/AFP

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Massive Steuererleichterungen für Unternehmen und Spitzenverdiener, gigantische Neuverschuldung, Aufkündigung bestehender Umwelt- und Sozialstandards – mit einem Strauß angebotsorientierter Maßnahmen will die neue britische Regierung die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt ankurbeln. Sein Paket werde „den Teufelskreis der Stagnation in einen positiven Kreislauf“ verwandeln, sagte Finanzminister Kwasi Kwarteng am Freitag im Unterhaus.

Im innerparteilichen Wahlkampf um die Nachfolge von Boris Johnson hatte Premierministerin Liz Truss umgehende Steuersenkungen zum Kern ihrer Politik gemacht. Weil das Land in einer Rezession steckt und die Teuerungsrate zweistellige Werte aufweist, sprachen ihre Tory-Kontrahenten deshalb von einer „Abkehr von der Realität“. Davon unbeirrt legte Truss unmittelbar nach dem Amtsantritt zunächst ein umfassendes Hilfspaket gegen die Energiekrise vor. Es begrenzt Preissteigerungen bei Strom und Gas für Privathaushalte bis Herbst 2024; Unternehmen, Geschäfte, aber auch Schulen und Krankenhäuser können zunächst nur für sechs Monate mit stabilen Preisen rechnen. Die Gesamtkosten von bis zu 150 Milliarden Pfund will die Regierung durch neue Schulden finanzieren.

Kwartengs „fiskalisches Ereignis“ stellt den zweiten Teil der Strategie dar, mit der die Truss-Regierung die ökonomische Krise bewältigen will. Peinlich vermieden die Konservativen die Verwendung des Wortes „Haushalt“, weil eine Neuaufstellung der staatlichen Finanzen gesetzlich zwingend eine Bewertung durch die unabhängige Budgetbehörde OBR zur Folge hat. Dass Kwarteng dies verweigerte, kam auch in den eigenen Reihen nicht gut an; der konservative Vorsitzende des einflussreichen Finanzausschusses, Mel Stride, mahnte den Minister dazu, dies so rasch wie möglich nachzuholen.

Wie seit Wochen in den Medien angekündigt, strich Kwarteng die erst im Frühjahr durchs Parlament gepeitschte Erhöhung der Sozialversicherung für Arbeitgeber und -nehmer; die Investitionen im maroden Nationalen Gesundheitssystem NHS, die sein Vorgänger Rishi Sunak damit finanzieren wollte, seien weiterhin geplant, sagte der Minister, ohne auf die Beschaffung der dafür notwendigen Milliarden einzugehen. Ebenfalls gestrichen wurde die geplante schrittweise Erhöhung der Unternehmenssteuer auf 25 Prozent; sie soll weiterhin bei 19 Prozent verharren, dem niedrigsten Stand aller G20-Mitglieder.

Unbegrenzte Bankerboni

Vom nächsten, im April beginnenden Steuerjahr an senkt Kwarteng den Mindeststeuersatz um ein Prozent auf dann 19 Prozent; Besserverdienende bezahlen 40 Prozent ihres Einkommens, der bisher bestehende Satz von 45 Prozent für Einkommen von mehr als 150.000 Pfund fällt vollständig weg. Dadurch erhalten Spitzenverdiener große Erleichterungen: 45 Prozent der Steuererleichterungen kommen den reichsten fünf Prozent der Bevölkerung zugute. Den Millionenverdienern am Finanzplatz London machte der Schatzkanzler ein zusätzliches Geschenk: Banker dürfen zukünftig wieder unbegrenzt Boni erhalten, wie schon vor dem Finanzcrash von 2008.

Was der Minister am Freitag verkündete, stelle „die größte Steuersenkung seit 50 Jahren“ dar, urteilte Paul Johnson vom angesehenen Thinktank IFS. Der Vergleich kann Kwarteng nicht unbedingt recht sein. Der damalige Haushalt von Tory-Schatzkanzler Anthony Barber löste einen haltlosen Boom aus, der zwei Jahre später in die Wahlniederlage der Torys mündete.

„Speisekarte ohne Preise“

Das Maßnahmenpaket stellt eine komplette Abkehr vom Wahlprogramm und Regierungshandeln seit Boris Johnsons großem Wahlsieg 2019, aber auch von Grundsätzen der seit 2010 regierenden Konservativen dar. Kwarteng habe die Politik sämtlicher konservativer Regierungen der vergangenen zwölf Jahre „vollständig zerstört“, höhnte Labours Finanzsprecherin Rachel Reeves. Mit Blick auf die fehlenden Erläuterungen zur Finanzierung der Maßnahmen sprach sie von einer „Speisekarte ohne Preise“. Weder im Minister-Statement noch in der Erwiderung durch die Vertreterin der größten Oppositionspartei wurde der Brexit auch nur erwähnt.

Wirtschaftshistoriker verglichen das Maßnahmenpaket mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik des US-Präsidenten Ronald Reagan (1980-88). Allerdings regierte dieser die damals bei weitem größte Volkswirtschaft, der Dollar genoss den Status als Reservewährung der Weltwirtschaft. Hingegen rauschte das zuletzt ohnehin schwächelnde Pfund nach Kwartengs Ankündigung am Freitag weiter in den Keller, fiel gegenüber dem Dollar um zwei, gegenüber dem Euro um ein Prozent. Die Rückzahlung der rapide anwachsenden Staatsschulden verteuerte sich: Der Zinssatz für britische Zehn-Jahres-Bonds stieg auf 3,75 Prozent.