ForumWarum Wasserknappheit mit politischer Instabilität einhergeht

Forum / Warum Wasserknappheit mit politischer Instabilität einhergeht
China, 2. September 2022: Menschen sitzen im ausgetrockneten Flussbett des Jangtse in Wuhan Foto: AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Überflutungen, Dürren, Hitzewellen und Feuersbrünste, die derzeit viele Teile der Welt verheeren, unterstreichen zwei grundlegende Tatsachen. Erstens, dass von der Schädigung der Trinkwasserbestände eine zunehmende Belastung der menschlichen Gesellschaften und insbesondere der Armen mit weitreichenden Folgen für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Stabilität ausgeht. Und zweitens, dass die gemeinsamen Auswirkungen der heutigen Extrembedingungen in der menschlichen Geschichte beispiellos sind und die Fähigkeit der Politik, darauf zu reagieren, überfordern.

In Ostafrika hat eine verheerende vierjährige Dürre die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen vernichtet und mehr als 20 Millionen von ihnen der Gefahr des Verhungerns ausgesetzt. In Pakistan haben die jüngsten Überflutungen ein Drittel des Landes unter Wasser gesetzt, bisher mindestens 1.300 Menschen getötet und 45 Prozent der diesjährigen Ernte vernichtet. In China hat eine beispiellose Hitzewelle akuten Wassermangel in Regionen verursacht, auf die ein Drittel der Reisproduktion des Landes entfällt.

Darüber hinaus haben Dürren und Feuersbrünste in den USA und Europa und schwere Überflutungen und Dürren in Indien die globalen Getreideerträge und Nahrungsmittelexporte reduziert, was das Ausmaß verdeutlicht, in dem unsere Nahrungsmittelproduktion von großen, stabilen Mengen Wasser abhängig ist. Nimmt man dann noch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf das Getreide- und Düngemittelangebot hinzu, so ergibt sich ein beträchtliches Risiko, dass die heutige weltweite Ernährungskrise fortdauern wird.

Erstmals in unserer Geschichte bedrohen die menschlichen Aktivitäten das Wasser bereits an der Quelle. Klimawandel und Entwaldung führen zu Veränderungen bei der Monsun-Saison und zur Eisschmelze im Hochland von Tibet und beeinträchtigen die Trinkwasserversorgung von mehr als einer Milliarde Menschen. Steigende Temperaturen weltweit ändern die Verdunstungsmuster und reduzieren die Abgabe von Feuchtigkeit aus den Wäldern, was die Niederschlagsmengen in Windzugrichtung verringert. Und ein destabilisierter globaler Wasserkreislauf verschärft seinerseits den Klimawandel. So verringert zum Beispiel der Wasserschwund im Boden und in den Wäldern deren Fähigkeit zur Kohlenstoffaufnahme.

Steuerungssysteme für den Wandel ungeeignet

Einschränkungen des Wasserverbrauchs, Stromabschaltungen und andere Verlegenheitslösungen können nicht länger verbergen, dass unsere wasserbezogenen Kontroll- und Steuerungssysteme für eine Welt des radikalen ökologischen Wandels ungeeignet sind. Unsere derzeitigen Regelungen beruhen sämtlich auf der nun widerlegten Annahme, dass der Wasserhaushalt (innerhalb der Grenzen natürlicher Schwankungen) relativ stabil, vorhersehbar und auf lokalisierte Art und Weise steuerbar ist. Doch ist die Wasserkrise eine globale Krise, und sie ist nur durch transformatives Denken und neue Steuerungssysteme zu bewältigen.

Wir müssen uns bewusst machen, dass all unsere zentralen ökologischen Herausforderungen mit dem Wasser in Beziehung stehen – egal, ob es zu viel oder zu wenig davon gibt oder ob es für den menschlichen Gebrauch zu stark verschmutzt ist. Die Aufgabe besteht nun darin, die Verbindungen zwischen dem Wasser, dem Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt zu begreifen und Wasser angemessen als globales Gemeingut zu definieren, zu bewerten und zu verwalten. Das Wasser auf diese Weise zu betrachten, wird uns in die Lage versetzen, kollektive Maßnahmen anzustoßen und neue Regeln zu konzipieren, die Fairness und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt unserer Reaktion stellen.

Die meisten Regierungen haben Marktversagen zu lange entweder ignoriert oder mit provisorischen Lösungen darauf reagiert, statt die öffentlichen und privaten Sektoren für gemeinsame Ziele zu mobilisieren. Der öffentliche Sektor muss sich selbst als Marktgestalter begreifen, der mit allen Beteiligten in der Wasserwirtschaft zusammenarbeitet, um Wege für Innovationen und Investitionen freizumachen, eine universelle Wasser- und Abwasserversorgung sicherzustellen und ausreichend Wasser für die Nahrungsmittel- und Energieerzeugung und die natürlichen Systeme zur Verfügung zu stellen.

Gesucht: Klar definierte Mission

Eine zentrale Lehre aus vergangenen Herausforderungen, die systemische Innovation erforderten, ist, dass es einer klar definierten Mission bedarf, um unsere Anstrengungen zu organisieren. Eine missionsorientierte Politik ermöglicht es den Regierungen, Innovation und Know-how direkt auf die Erfüllung wichtiger Ziele auszurichten. Wenn sie sich von einem inklusiven, gemeinwohlorientierten Ansatz leiten lässt, ist sie in einzigartiger Weise in der Lage, Lösungen für Herausforderungen zu liefern, die über viele Jahre hinweg ein enormes Maß an Koordinierung und Finanzmitteln erfordern. Der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt und Wasserkrisen sind genau solche Herausforderungen.

Missionsgestützte Strategien können den Regierungen helfen, Innovationen bestimmungsgerecht und zielgerichtet zu forcieren. Doch damit sie effektiv sind, müssen die politischen Entscheider die Erfahrungen und Erkenntnisse der Bürger, Gemeinschaften und Innovatoren beachten, die wissen, wie man in einer Welt der Wasserverknappung, höherer Temperaturen und veränderter Küsten- und Flusssysteme erfolgreich zurechtkommt.

Wir müssen die Bedrohungen für das weltweite Trinkwassersystem jetzt zur Kenntnis nehmen und unser Bewusstsein davon in kollektives Handeln münden lassen. Weil die Wasserknappheit alle übrigen Ziele für nachhaltige Entwicklung gefährdet, sollte sie unsere kollektive Entschlossenheit festigen, den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über vorindustriellem Niveau zu begrenzen (so wie das im Pariser Klima-Abkommen festgelegt ist) und die natürlichen Systeme zu erhalten, die stabile Niederschlags- und Wasserführungsmuster sicherstellen.

Im Kampf gegen diese globalen Herausforderungen müssen wir die Grundsätze der Fairness und Gerechtigkeit fest in allen von uns entwickelten neuen Regelungen verankern. Kein Gemeinwesen kann ohne eine zuverlässige Versorgung mit sauberem Wasser florieren. Doch erfordert der Schutz dieses globalen Gemeinguts neue Politiken und Systeme.

Neue Ausrichtung für Recht und Wirtschaft

Recht und Wirtschaft müssen beide eine neue Ausrichtung erhalten, um eine universelle Trink- und Abwasserversorgung sicherzustellen und belastbarere, nachhaltigere Ernährungssysteme aufzubauen. Es müssen sich die Anreize ändern, damit der private Sektor sein Teil beitragen kann, um armen und reichen Ländern gleichermaßen Zugriff auf Technologie und Innovation zu bieten. Dies wird langfristige Finanzierungen und neuartige Mechanismen zur Regulierung der Zusammenarbeit der öffentlichen und privaten Sektoren erfordern.

Die UN-Wasserkonferenz des Jahres 2023 – die erste in fast 50 Jahren – wird ein entscheidender Moment für die internationale Gemeinschaft sein, um mit der Konzeption einer Zukunft zu beginnen, die für alle funktioniert. In Vorbereitung darauf können wir uns von Nicholas Stern und Partha Dasgupta inspirieren lassen, die unser Verständnis der wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels und der Artenvielfalt revolutioniert haben. Als die vier Co-Vorsitzenden der Globalen Kommission für Wasserwirtschaft verfolgen wir das Ziel, der Welt ein neues Verständnis der Wasserwirtschaft und der Water Governance nahezubringen, das ein viel stärkeres Gewicht auf Fairness, Gerechtigkeit, Effektivität und Demokratie legt.

Noch haben wir die Möglichkeit, unsere Beziehung zum Wasser neu zu definieren und unsere Volkswirtschaften so umzugestalten, dass sie das Wasser als globales Gemeingut wertschätzen. Doch das Zeitfenster hierfür schließt sich. Um eine Chance zu haben, eine Klimakatastrophe zu verhindern und uns an unvermeidliche Veränderungen anzupassen, müssen wir für arme und reiche Gesellschaften eine gleichermaßen resiliente Wasserzukunft gewährleisten.

* Quentin Grafton, Joyeeta Gupta und Aromar Revi haben als Leitende Experten der Globalen Kommission für Wasserwirtschaft an diesem Kommentar mitgewirkt. Mariana Mazzucato ist Gründungsdirektorin des UCL Institute for Innovation & Public Purpose (IIPP) und Vorsitzende des Council on the Economics of Health for All der Weltgesundheitsorganisation. Ngozi Okonjo-Iweala ist Generaldirektor der Welthandelsorganisation, ehemaliger Finanz- und Außenminister Nigerias und ehemaliger Geschäftsführender Direktor der Weltbank. Johan Rockström ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Tharman Shanmugaratnam ist Seniorminister im Kabinett Singapurs und Chairman der G30.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2022

tanner
27. September 2022 - 19.24

Wir brauchen Reservoirs, Stauseen auch im Süden, Westen und Osten.