Lust zu lesen„Sing Backwards and Weep“: Mark Lanegans Autobiografie gewährt tiefe Einblicke

Lust zu lesen / „Sing Backwards and Weep“: Mark Lanegans Autobiografie gewährt tiefe Einblicke
Marc Lanegan Foto: PIAS – Travis Keller

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Eine der bemerkenswertesten Musikerpersönlichkeiten der letzten 30 Jahre ist von uns gegangen und Thomas Koppenhagen hat sich seine Autobiografie zu Gemüte geführt.

Am 22. Februar dieses Jahres verstarb der US-amerikanische Singer-Songwriter Mark Lanegan. Er wurde nur 57 Jahre alt. Die genauen Todesumstände blieben unbekannt. Möglicherweise starb er an den Spätfolgen einer sehr schweren Corona-Infektion, über die er 2021 ein Buch veröffentlichte. Einige Monate davor erschien bereits seine von der Kritik hochgelobte Autobiografie, die der Münchner Wilhelm-Heyne-Verlag in zweiter Auflage nun doch mit dem Originaltitel „Sing Backwards and Weep“ herausgebracht hat.

Gleich vorweg: an Lanegans literarischem Talent gibt es keine Zweifel. Seine Lebenserinnerungen, welche die Jugendjahre und den Beginn der Musikerkarriere bis zur Auflösung seiner Rockband The Screaming Trees umschließt, sind eindrucksvoll verfasst, wobei sein realistisch-sachlicher Stil mit wenigen Metaphern auskommt, die gerade deshalb umso besser zünden. Um Lanegans Bedeutung für die Popwelt zu verdeutlichen, sei ein kurzer Rekurs auf die Zeit um 1990 herum erlaubt.

Damals suchte die Schallplattenindustrie nach einer neuen Modewelle. Dass dann ein Haufen Hinterwäldler in karierten Flanellhemden als nächste Pop-Hoffnung gehandelt wurden, dürfte deutlich machen, wie bitter nötig die Popbranche einen Neustart brauchte. Der wurde dann unter dem Schlagwort „Grunge-Rock“ eingeleitet (eine Stilrichtung, die Früh-70er-Hardrock vom Schlag der Led Zeppelin oder Black Sabbath mit Punk-Attitüde versah), mit Bands wie Nirvana, Pearl Jam, Alice in Chains und Soundgarden vorneweg, deren Tonträger in der ersten Hälfte der 1990er Millionenumsätze erzielten. Jede Plattenfirma nahm mindestens eine Grunge-Band aus Seattle oder Umgebung unter Vertrag, The Screaming Trees bekam bei Epic Records eine Chance für den Durchstart, kam aber nie über die zweite Reihe hinaus. Nach dem Selbstmord von Nirvana-Mastermind Kurt Cobain 1994 löste sich der Grunge-Hype in Windeseile auf. Phänomenal war dann zu beobachten, wie sich die Protagonisten des Grunge drogentechnisch zerlegten.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Mark Lanegan als Heroin Addict und Crack-Dealer eine der schlimmsten Drogenkarrieren von allen hinlegte. Und diese ist auch im Grunde das eigentliche Thema seiner Lebenserinnerungen. Die „Abwärtsspirale des traurigen Junkies“, die seine Existenz auf das Level eines obdachlosen, total abgemagerten Crackheads reduzierte, beschreibt er mit erstaunlich wenig Hang zur Larmoyanz. Sieht man sich nach einer Begründung um, weshalb diese ganz offensichtlich systematisch betriebene Selbstzerstörung teils im Blitzlichtgewitter der Musikpresse betrieben wurde, kommen zum einen Lanegans Heimatort, das „Kaff“ Ellenburg bzw. der „Hang zur Selbstdemontage, den es uns allen eingeflößt hatte“ ins Spiel, sowie eine Mischung aus „Schuld und Scham“, die er von Jugend an „wie eine Schlinge um den Hals trug“. Am Ende von „Sing Backwards and Weep“ steht eine Art Wiedergeburt, die nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung der Cobain-Witwe Courtney Love möglich wurde – sowie den Drogentod der Alice-in-Chains-Sängers Layne Staley 2002. Lanegan war sowohl mit Staley als auch mit Kurt Cobain eng befreundet. Und im Anbetracht derer Schicksale erscheint es wie ein Wunder, dass er überhaupt so lange durchhielt. Aber dennoch ist es einfach schade, dass wir keinen zweiten Teil seiner Biografie erwarten dürfen. Denn auf die Frage, wie jemand, der den Drogenentzug brutalstmöglich überlebte, es geschafft hat, eine 20-jährige, hochrespektable Folgekarriere als Solist sowie als Kollaborateur u.a. von Isobel Campbell oder Queen of the Stone Age hinzulegen, bleibt uns nun, nach Lanegans Tod, nur ein weiterer Blick in dieses Buch bzw. auf die Haltung eines Überlebenden, die aus den Zeilen zu uns spricht.

Mark Lanegan<br />
„Sing Backwards and Weep – eine Autobiografie“<br />
Wilhelm-Heyne-Verlag, München 2022<br />
448 S., 24,00 Euro
Mark Lanegan
„Sing Backwards and Weep – eine Autobiografie“
Wilhelm-Heyne-Verlag, München 2022
448 S., 24,00 Euro