Zumindest die Verärgerung über die EU eint die beiden unwilligen Balkannachbarn. Die Ermahnungen Brüssels an die Dauerstreithähne, von „gefährlichen Aussagen“ und einer weiteren Eskalation der Lage abzusehen, seien ein „Witz“, erregt sich Serbiens geschäftsführende Regierungschefin Ana Brnabic: Es sei Kosovos Premier Albin Kurti, der einen „bewaffneten Konflikt“ provoziere.
Die Herangehensweise der EU sei „falsch“, erregt sich derweil in Pristina Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani. Es sei Serbien, das ständig für „Spannungen in der Region“ sorge: „Serbien ist dasjenige Land, das droht, das destabilisiert. Kosovo trägt hingegen zu Frieden und Stabilität in der Region bei.“
Die Aufregung in Belgrad und Pristina vor der erneuten Runde des von der EU moderierten Zwangsdialogs der einstigen Kriegsgegner ist ebenso groß, wie die Erwartungshaltung gering ist. Außer dem Austausch diplomatischer Unfreundlichkeiten sowie einem sauertöpfischen Gruppenbild wird von dem Stelldichein zwischen Kosovos Premier Kurti und Serbiens allgewaltigem Staatschef Aleksandar Vucic auf beiden Seiten nur wenig erwartet.
Während Pristina „die Liquidation unserer Leute in Nordkosovo“ vorbereite, wolle der Westen Belgrad seinen „Willen aufzwingen“, poltert Vucic: „Ich weiß nicht, wofür der Dialog dient.“ Er sei „ein Premier der Hoffnung und des Fortschritts“, Vucic hingegen „ein Präsident der Angst und der Drohungen“, entgegnet sein Kosovo-Gegenspieler Kurti. Es hänge vom Westen ab, ob die Spannungen im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo anhalten und ob es zugelassen werde, „dass Serbien seinen alten Träumen nachhängt, die für die Nachbarn zum Alptraum geworden sind“.
Sinnentleertes Ritual
Zur „Normalisierung“ der labilen Nachbarschaftsehe zwischen Serbien und seiner seit 2008 unabhängigen, aber von Belgrad noch immer nicht anerkannten Ex-Provinz Kosovo hatte die EU schon 2011 einen „technischen“ Dialog zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Alltags initiiert. 2013 unterzeichneten beide Staaten in Brüssel ein Abkommen zur Normalisierung ihrer Beziehungen, das von der EU erleichtert als „Durchbruch“ gefeiert wurde.
Doch Vertragspapier ist auf dem Balkan oft sehr geduldig. Neun Jahre später sind die wichtigsten Vereinbarungen des Brüsseler Abkommens noch immer nicht umgesetzt. Noch immer blockiert Belgrad den Staatsneuling in der internationalen Arena mithilfe Moskaus und Pekings nach Kräften, obwohl Serbien das Gegenteil zugesagt hatte. Umgekehrt macht Pristina keinerlei Anstalten, die 2013 zugesagte, aber von Kosovos Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestufte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen in Angriff zu nehmen.
Seit Jahren steht der Dialog völlig still. Von einem rechtlich verbindlichen Nachbarschaftsabkommen oder gar einer zumindest faktischen gegenseitigen Anerkennung scheinen die unwilligen Nachbarn weiter weg als je zuvor.
Ein erneuter Waffengang ist trotz der Dauerspannungen zwar kaum wahrscheinlich. Doch ob es der Ende Juli erneut eskalierte Streit um die Autokennzeichen ist oder die Handelsbarrieren und Straßenblockaden – auch die EU, die auf dem Westbalkan wegen ihres widersprüchlichen Auftretens merklich an Ansehen und Einfluss verloren hat, vermag die sich verhärteten Fronten im diplomatischen Dauergrabenkrieg kaum mehr zu durchbrechen.
Der von Brüssel moderierte Zwangsdialog ist mit den Jahren zum sinnentleerten Ritual zum Austausch altbekannter Positionen – und Unfreundlichkeiten mutiert. „Brüssel bietet uns nur einen Raum für neuen Streit“, titelt resigniert die Belgrader Zeitung Blic.
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