Dienstag2. Dezember 2025

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Toter erhält Strafmilderung

Toter erhält Strafmilderung

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Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

In St. Petersburg hat ein Gericht den Fall eines auf dem Höhepunkt des Stalin-Terrors 1937 zum Tode verurteilten Mannes revidiert. Das Urteil wurde auf ein Jahr Haft reduziert. Der Verurteilte ist bereits vor 81 Jahren erschossen worden. Sein Neffe fordert die Rehabilitierung – vergeblich.

Der gebürtige Petersburger Wladimir Krylow wollte schon immer mehr über die Geschichte seiner Familie erfahren. Nach Erreichen des Rentenalters hatte er endlich Zeit, seinen Stammbaum aufzustellen. Schon die ersten Studien ergaben, dass er einen Onkel hatte, zu dessen Ehren er auf den Namen Wladimir getauft worden war.

„Sondertroika“ machte nicht viel Federlesens

Wladimir Chromejew war kein langes Leben beschieden. Im April 1937 wurde der 21-Jährige auf dem Höhepunkt des Stalin-Terrors zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Dem jungen Mann wurde ursprünglich „Hooliganismus“ vorgeworfen. Angeblich zeichnete er sich durch Randalieren und Auflehnung gegen die Behörden aus.

Im August 1937 brach Chromejew aus dem Straflager Lodejnoje Polje bei St. Petersburg aus, wurde aber im September erneut festgenommen. Zwei Wochen später begab er sich wieder auf die Flucht, wurde aber gefasst. Danach nahm sich eine „Sondertroika“ des Geheimdienstes NKWD seiner an. Krylows Onkel wurde zum Tode verurteilt.

Staatsanwalt verweigerte Rehabilitierung

2013 wandte sich Krylow an die zuständige Staatsanwaltschaft mit der Bitte, den Fall seines Onkels erneut aufzurollen und diesen zu rehabilitieren. Der Tatbestand des „Hooliganismus“ war nicht mehr auffindbar.

Das zweite Urteil war offensichtlich ungesetzlich, weil auf die Flucht aus dem Gefangenenlager ein bis drei zusätzliche Jahre Haft standen. Eine Verurteilung zur Todesstrafe wegen der Flucht war nicht möglich.

Der Vizestaatsanwalt des Leningrader Gebiets, Magomed Dibirow, beschloss deshalb nun, die Todesstrafe auf ein Jahr Lagerhaft zu reduzieren. Mit dieser vermeintlichen Strafmilderung konnte der vor 81 Jahren erschossene Chromejew naturgemäß nichts anfangen.

Gleichzeitig wiesen der Staatsanwalt und der Richter den Antrag auf dessen posthume Rehabilitierung zurück. „In der Archivakte fehlen Beweise für eine politische Verfolgung des Betroffenen“, hieß es.

Menschenrechtler kündigen Berufung an

Der Experte des Informationszentrums Memorial, Alexander Daniel, verwies auf die Weisung des Kommissars für Innere Angelegenheiten (des damaligen Innenministers) Nr. 00447 „Über Repressalien gegen frühere Kulaken, Kriminelle und andere antisowjetische Elemente“.

Das Todesurteil gegen Chromejew stützte sich auf diese Weisung, so der Experte. Alle diesbezüglichen Repressalien seien politisch motiviert. Anderenfalls bedeute das Fehlen jeglicher Beweise, dass ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wurde. Die Erschießung eines Delinquenten wegen eines Tatbestandes, auf den ein Jahr Haft stehe, sei ein böser Witz. Menschenrechtler wollen Berufung beim Obersten Gericht der Russischen Föderation einlegen.

Typische Entscheidung

Die Gerichtsentscheidung, das Todesurteil im Nachhinein zu mildern, die Rehabilitierung aber zu verweigern, sei durchaus typisch, sagt einer der führenden Experten der Gesellschaft Memorial für die Geschichte der sowjetischen Geheimdienste, Nikita Petrow, der Tageszeitung „Kommersant“, die über diesen Fall berichtete.

Formal befolgten die Gerichte das Gesetz. Aus menschlicher Sicht wirke dies aber unsinnig. „Wenn schon das Todesurteil aufgehoben wurde, müssen jene Richter, die es gefällt hatten, verurteilt werden“, so Petrow. Die Weisung Nr. 00447 sei sicher illegitim.