Freitag14. November 2025

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„Früher der Briefkasten, heute Facebook“

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In der Chamber debattieren, die Gemeinde leiten, den Wahlkampf modernisieren, die Partei koordinieren – wie die Gemeindewahlen das Privatleben beeinflussen und weshalb Facebook der neue Briefkasten ist, beschreibt LSAP-Parteipräsident Claude Haagen (55) im Tageblatt- Hintergrundgespräch.

„Allez, komm mer maachen dat hei.“ Claude Haagen nimmt im braunen Sofa vor sich Platz. Was belanglos wirkt, verrät viel über die Wahlkampfstrategie der LSAP. Der Parteipräsident der Luxemburger Sozialisten verzichtet auf das kurze Video-Interview vor dem Parteilogo. Gelassenheit ist angesagt. Haagen streift sich kurz das Jackett über, faltet die Hände, beantwortet die Frage vor der Kamera und gut ist.

Wahlkampf bedeutet im Unterhaltungszeitalter, sich auf ständig wechselnde Rahmenbedingungen politischer Handlung und Kommunikation einzustellen. Der LSAP-Mann weiß das. Wer heute glaubt, nur per Facebook auf Stimmenfang zu gehen, erlebt sein blaues Wunder. Wer auf die altbewährte Methode mit Flyer im Briefkasten und Präsenz beim „Dëppefest“ setzt, erreicht die Jugend nicht mehr. „Ich finde persönlich, dass wir als Parteien auf konservative Hilfsmittel zurückgreifen“, kritisiert Haagen. Seine Partei versuche deshalb gezielt, neue Medien einzusetzen. „Was früher der Briefkasten war, ist heute Facebook“, lacht der „Député-maire“ aus Diekirch. Allerdings dürfe man es auch nicht übertreiben. „Facebook läuft über mit Wahlwerbung.“

Trends und Identität

Und genau hierin liegt die Schwierigkeit für viele Parteien in Luxemburg: sich an internationale Trends anzupassen, ohne die eigene Identität zu verlieren. Seit Jahrzehnten wird vor einer zunehmenden Amerikanisierung der Wahlkämpfe gewarnt. Wem es gelingt, die politischen Botschaften oder Persönlichkeiten inszenierungstechnisch aufzustylen, hat gute Chancen, die eigene Wahlklientel zu überzeugen und sogar neue Menschen für sich zu gewinnen.

Doch gerade eine Partei wie die LSAP läuft schnell Gefahr, dass diese Form des politischen Marketings in einem Land als „ze vill des Gudden“ wahrgenommen wird. Ein waschechter „Soz“ mag Kandidaten mit Kanten. Und selbst die Chamberwahlen haben wegen der Kleinräumigkeit Luxemburgs kommunalen sprich bescheidenen Charakter.

„Wir haben dieses Mal in Diekirch zum ersten Mal Werbeclips mit Drohnen aufgenommen. Dies aber nicht mit einer professionellen Firma, sondern mit Menschen aus unserer Partei, die sich für Technologie interessieren“, erzählt Haagen. Er setze in seiner Gemeinde bewusst auf authentischere Clips. Dass die Qualität nicht mit den Hochglanzvideos auf Landesebene zu vergleichen sei, ist ihm bewusst. „Zeigt man so etwas oder nicht? Wie klingt die Stimme? Ich sage immer: ‚Lasst es uns probieren.‘ Es geht darum, die Menschen zu informieren. Wenn wir so etwas professionell tun, sprengt es den finanziellen Rahmen.“

In neue Medien investieren

Dennoch versucht die LSAP wie andere Parteien hierzulande den Gemeindewahlkampf zu koordinieren. „Wir geben ein Kaderprogramm vor. Wir bieten den einzelnen Sektionen redaktionelle Lösungen an: wie sie ihre Kampagne aufbauen und dabei die neuen Medien integrieren können.“ Jede Stadt bzw. jede LSAP-Sektion bleibe aber frei, ihren Wahlkampf so abzuhalten, wie sie es für richtig halte. „Wir wollen uns da gar nicht einmischen.“

Obschon Wahlkampf aber längst mehr als nur Plakate aufstellen und fleißig Hände schütteln bedeutet, ist der Weg zu einem moderneren Kampf um die Stimmen noch lang. „Ich bin davon überzeugt, dass der nächste kommunale Wahlkampf ein ganz anderer sein wird. Ich weiß nicht, ob es ganz viel bringt, überall Plakate hinzukleben“, lautet Haagens Prognose.

Und weiter: „Wenn es aber keinen Konsens gibt und nicht jeder damit aufhört, weiß ich aus Erfahrung, dass irgendjemand damit anfängt und der Druck dann auf die restlichen Parteien wieder wächst, um Plakate herstellen zu lassen. Ich würde dieses Geld persönlich lieber in die neuen Medien investieren.“

Bringen Wahlversammlungen noch viel?

Doch gerade der Gemeindewahlkampf zeigt, dass Ästhetik und politische Slogans nicht nur mittels digitalen Marketings funktionieren. Nicht alle Wähler sind „Millennials“ und wohl nur wenige bereit, die neuesten Technologien direkt zu testen. Deswegen unterstreicht Haagen auch, dass vor allem jüngere Generationen Erfahrung im Umgang mit neuen Technologien haben. Man solle die älteren Menschen nicht vergessen: „Das iPhone ist erst zehn Jahre alt – auch wenn man ab und zu glaubt, es wären 50.“

Er lacht und kneift die Augen fest zusammen. Es gebe einen großen Bevölkerungsanteil, der sich noch traditionell informiere und das Wahlprogramm im Briefkasten haben wolle. Jede LSAP-Sektion müsse also neue Medien in ihrer Gemeinde berücksichtigen und gleichzeitig auf altbewährte Methoden setzen. „Das ist der Knackpunkt, wenn es um die Kommerzialisierung des Wahlkampfmarketings geht.“

Auch die Wahlkampfveranstaltungen ziehen nicht mehr so richtig. Haagen sagt mit einer saftigen Dosis Sarkasmus: „Bringen Wahlversammlungen noch viel? Nun ja, man veranstaltet sie.“ Begeistert klingt anders. Die Erklärung folgt zugleich. „Wir alle kennen das Resultat, wenn wir ehrlich mit uns sind: Auf den Wahlversammlungen trifft man 90 Prozent seiner eigenen Leute.“ Dennoch sei die Symbolik dieser Veranstaltungen nicht zu unterschätzen.

„Veranstaltet man keine, sagen die Menschen: ‚Sie kommen nicht zu uns.‘ Veranstaltet man sie, sehen wir aber, wie viele bzw. wenige Menschen kommen – außer es handelt sich um eine zentralisierte Wahlversammlung.“ Früher hätte diese Form von Treffen als Informationsquelle gedient. Heute könne sich ein Bürger jederzeit über die neuen Medien informieren. Die Menschen seien deswegen weniger bereit, zu solchen Veranstaltungen zu kommen. „Ich kann mich erinnern, dass so etwas in den 90er Jahren noch ein Event war.“

Das Privatleben

Auch wenn die hiesigen Gemeindewahlen für viele nur ein Stimmungstest vor den Parlamentswahlen 2018 sind, geht der kommunale Wahlkampf nicht spurlos an den Kandidaten vorbei. Der LSAP-Politiker hat eine klare Botschaft für alle neuen Kommunalpolitiker: „Es ist natürlich anstrengend, wenn man am Ende des Wahlkampfs ankommt. Aber ich warne davor, zu glauben, dass die Arbeit dann vorbei ist: Sie beginnt erst.“ Wer es in die Verantwortung schaffe, müsse sich auf zähe Koalitionsverhandlungen einstellen und dabei stets den Spagat zwischen kommunaler Ebene und Landesebene berücksichtigen.

Als „Député-maire“ weiß Haagen, wovon er spricht. Auch in Luxemburg ist die Mandatshäufung umstritten und sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Er ist sich dessen bewusst. „Man muss stärker planen und ein gutes Team haben. Das ist keine Floskel.“ Die Mannschaft auf Landesebene müsse sich mit dem kommunalen Team abstimmen – und umgekehrt. Hinzu kämen weitere Mandate, die berücksichtigt werden müssten. „Und das Ganze passiert in Abstimmung mit dem Betroffenen. Es ist ja nicht so, als ob man sich einfach Termine in seinen Kalender eintragen lässt.“

Wie weit diese Form von Koordination als „Député-maire“ geht, zeigt sich nicht nur in Wahlkampfzeiten. Haagen bezahlt in Sachen Privatsphäre einen hohen Preis. „Alle Menschen, die sich um meine Organisation kümmern, wissen stets, wo ich mich befinde. Das stört mich aber persönlich nicht.“

► Unseren etwas anderen Blick hinter die Kulissen finden Sie auch auf unserem Facebook-Auftritt (01.10.2017-05.10.2017). Die Kandidaten müssen drei konkrete Wahlversprechen vorstellen (► Link ). Zwei Bedingungen: „Kee Logement a keng Mobilitéit“. Die Publikationsdaten orientieren sich an den Listen-Nummern. Jede Partei konnte selbst bestimmen, wer an unserer Reihe teilnimmt, damit niemand bevor- oder benachteiligt wird.

Briefkasten Voll und satt
2. Oktober 2017 - 18.24

Durch , ein : Bitte - keine - Wahl - Blätter , oder ein : Wir - informieren - Uns - im - Internet - Aufkleber , könnte man vollgefüllte Briefkästen vermeiden und , Geld und Papier sparen und , oder anderswo investieren

anne
2. Oktober 2017 - 13.31

Waat sin ech frouh wann ech 8 Deeg méih aal sin.Dann as de Spuk eriwer mat Flyeren an all dem Gedëmses.Et nerft esou lues all Daag esou vill Pabéier an der Bréifkëscht ze hun.