Der diesjährige Jahresbericht von „Médecins sans frontières Luxembourg“ (MSF Luxembourg) hat einen hochpolitischen Touch. Headlines wie „Vertrag Türkei – Europäische Union“ und ein „Vertrag der Scham“ lassen tief blicken. Deshalb verzichtet die NGO auch seit letztem Jahr auf Zuwendungen von der EU.
Mit der MSF-eigenen EU-Krise steht auch gleich der Schwerpunkt der Aktivitäten von MSF im vergangenen Jahr fest: Flucht und Migration. 2015 beherrschte die Ebola die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisation. Die Entscheidung, auf die Gelder aus EU-Töpfen zu verzichten, ist letztes Jahr im Juni auf der Generalversammlung von MSF International in Athen gefallen.
Der Vertrag ist „lamentabel“
Als „lamentabel“ bezeichnet nicht nur MSF-Luxembourg-Präsident Guy Berchem (53), Krebsspezialist am CHL, den Vertrag mit der Türkei, sondern auch die Kollegen auf internationaler Ebene sehen das wohl so. „Das verstößt gegen das Asylrecht“, sagt Berchem, „wir als MSF können nicht Komplize werden von einer Ursache des Problems.“
Die Erfahrungen der MSF vor Ort bestätigen die Einschätzung. „Wir sehen Monate, nachdem der Vertrag in Kraft ist, dass die Gewalt auf den Fluchtrouten unheimlich in die Höhe gegangen ist“, sagt Berchem und spricht von physischen Misshandlungen der Flüchtlinge auf den Routen durch den Balkan durch die Polizei. „In Libyen ist es noch viel schlimmer“, sagt er, „da werden die Leute einfach ins Gefängnis gesteckt – ohne Kontrolle, ohne Verfahren und vor allem ohne medizinische Versorgung.“
800.000 Euro weniger zukünftig
800.000 Euro betrug die Zuwendung aus Töpfen der Europäischen Union an MSF Luxembourg bis Juni 2016. Diese Zahl gibt Berchem als zukünftigen Verlust im Budget der Organisation an, das sich gewöhnlich zwischen fünf und sechs Millionen Euro jährlich bewegt. 2017 wird sich das erst richtig auswirken. Berchem hofft, das über private Zuwendungen abfedern zu können.
Die Zahl der privaten Spenden ist in Luxemburg erstaunlich hoch. Bei einem Gesamtbudget von rund sechs Millionen kommen allein 4,6 Millionen Euro aus privater Hand. Noch einmal rund 120.000 Euro haben Unternehmen und andere Organisationen der NGO gespendet, die größten Wert darauf legt, sich mit niemandem gemein zu machen und neutral zu bleiben.
Kampf gegen Medikamentenpreise
Das schließt Lobbyarbeit im Sinne derer, die Hilfe brauchen, aber nicht aus. Was mit den für Afrikaner viel zu teuren Medikamenten gegen AIDS begann, konnte 2016 für Patienten mit Lungenentzündung wieder erreicht werden.
Lungenentzündung ist für Kinder unter fünf Jahren oftmals tödlich. Fast eine Million Kinder weltweit stirbt daran, weil sie keinen Zugang zur Impfung haben, schreibt MSF in seinem Jahresbericht. 416.000 Menschen in 170 Ländern haben 2016 die von der MSF initiierte Petition zur Verbilligung der Impfstoffpreise gegen die Hersteller Pfizer und GSK, Pharmagiganten mit Milliardenumsätzen, unterzeichnet. Daraufhin wurden die Preise gesenkt.
Auf die Fachkompetenz von MSF Luxembourg wird weltweit gerne zurückgegriffen. Die Sektion hat sich seit 2000 darauf spezialisiert, die Wirksamkeit der Hilfe vor Ort zu evaluieren. Die Spezialisten aus Luxemburg machen ihre eigenen Qualitätsaudits vor Ort und das so sorgfältig, dass nicht nur MSF International, sondern auch Wissenschaftskreise davon profitieren.
MSF Luxembourg stark in der Recherche
Ein Beispiel: Auf die Ergebnisse, die MSF Luxembourg bei der Behandlung von Malaria-Patienten aus dem Mali im Jahr 2000 mitgebracht hat, hat sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagiert. Die Medikamentengabe wurde umgestellt, das Chinin-haltige Chloroquin hatte ausgedient. Es gab zu viele Resistenzen, die Erkrankten reagierten nicht mehr darauf.
In der Evaluierungsabteilung von MSF Luxembourg arbeiten 15 Menschen, 83 Prozent des Budgets in Luxemburg geht an diese Abteilung und für deren Missionen vor Ort. Gründer und Leiter ist Rony Zachariah (53), Spezialist für Infektionskrankheiten.
De Maart

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