Tom Wenandy
Sie habe eigentlich nur eine Debatte, eine konstruktive Diskussion über die israelische Politik in Bezug auf Palästina lancieren und auf diesem Weg der in vielen Fällen in der Öffentlichkeit vorherrschenden, gefährlichen Vermischung zwischen israelischer Politik und Judentum entgegenwirken wollen. Das erklärte Marguerite Biermann gestern mehrmals vor dem Bezirksgericht Luxemburg. Die Richterin a.D. hatte am vergangenen 14. Dezember in einer auf RTL Radio Lëtzebuerg ausgestrahlten „Carte blanche“ die israelische Politik gegenüber Palästina angeprangert und gleichzeitig die Frage aufgeworfen, ob es nicht an der Zeit sei, dass sowohl das „Consistoire israélite“ als auch die Juden Luxemburgs – individuell und allen voran die Persönlichkeiten jüdischen Glaubens (einige erwähnte sie namentlich) – öffentlich gegenüber Israel erklären sollten, dass sie dessen menschenrechtswidrige Politik missbilligten.
Anklage
Mit ihren Äußerungen hatte Marguerite Biermann eine ganze Reihe von Reaktionen provoziert (siehe Chronologie). Auch und vor allem von dem angesprochenen israelitischen Konsistorium in Luxemburg, das in den Äußerungen Biermanns eine Anstiftung zum Rassenhass sowie eine Verleumdung sah. In der Person seines Präsidenten Michel Bulz erstattete das Konsistorium Ende Februar Anzeige gegen Biermann, eine Anzeige, die schließlich am 8. März von der Staatsanwaltschaft aufgenommen wurde.
Es war denn auch Staatsanwalt Robert Biever als Vertreter der Anklage, der sich gestern vor einem bis auf den allerletzten (Steh-)Platz gefüllten Gerichtssaal sehr unnachgiebig gegenüber der Angeklagten zeigte. Zwar strich Biever letztendlich das Wort „racial“ aus dem Hauptanklagepunkt („incitation à la haine raciale“), die diesbezügliche Jurisprudenz sei nichtsdestotrotz klar und der Tatbestand erfüllt. Biever warf der Angeklagten „abscheuliche Wortspiele“ („jeux de mots affreux“) vor. Indem sie zum Beispiel von einer „jüdischen Lobby“ sprach, habe sie sich bewusst Ausdrücken bedient, die von Antisemiten genutzt würden. Biermann, so Biever, habe ganz bewusst ein Amalgam zwischen Antizionismus und Antisemitismus gemacht. Hinzu komme, dass jeder Bürger das Recht habe, sich zu einem Thema nicht zu äußern, ohne sich dadurch einer Komplizität schuldig zu machen. Im Namen der Anklage forderte Biever eine Geldstrafe von 1.000 Euro ohne Aufschub.
Ähnlich äußerte sich auch Maître Gaston Stein. Der Vertreter der Nebenklage sprach von Äußerungen, die bei Drittpersonen Hassgefühle gegenüber dem Konsistorium sowie der jüdischen Gemeinschaft auslösen würden. Durch ihre wiederholten Artikel habe Marguerite Biermann gezielt solche Gefühle provozieren wollen. Stein sprach in diesem Zusammenhang vom Missbrauch des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Drei Zeugen
Zuvor hatte der Anwalt drei Zeugen vorladen lassen, unter ihnen die von Biermann in ihrer „Carte blanche“ zu einer öffentlichen Stellungnahme aufgeforderten Alain Meyer und François Moyse. Sowohl Meyer als auch Moyse sprachen in Bezug auf die Aussagen Marguerite Biermanns von einer Stigmatisierung ihrer Person und der gesamten jüdischen Gemeinschaft.
Dass Marguerite Biermann ihnen möglicherweise nur dabei habe helfen wollen, Missverständnisse zu vermeiden, wie die vorsitzende Richterin Alexandra Huberty suggerierte, wollten die beiden Zeugen so nicht verstanden haben. Und auch der dritte Zeuge, der belgische Historiker Joël Kotek, sprach von einer Stigmatisierung und aus einer anderen Epoche stammenden Anschuldigungen.
Diesen sowie den vorangegangenen Aussagen widersprach Maître Fernand Entringer. Der Verteidiger von Marguerite Biermann, der eingangs des Prozesses aufgrund verschiedener Formfehler in der Anklage diese als nichtig angeführt hatte, erklärte seinerseits, dass es sich bei den Aussagen seiner Mandantin keineswegs um einen Aufruf zum Hass, sondern vielmehr um einen Aufruf zum Nachdenken, um einen Aufruf an die Vernunft gehandelt habe. Entringer erklärte auch, dass der angeführte Tatbestand nicht erfüllt sei, weil die nötige willentliche Absicht, ein Vergehen zu begehen, nicht vorliege. Hinzu käme, dass entsprechend einer französischen Jurisprudenz, der Begriff „jüdische Lobby“ und auch alle anderen von Marguerite Biermann benutzten Begriffe nicht, weder einzeln noch zusammengenommen, verurteilungswürdig seien.
Verantwortung
Außerdem könne die von seiner Mandantin ausgesprochene Aufforderung an die verschiedenen Persönlichkeiten jüdischen Glaubens in keinster Form als Anstiftung zum Hass, sondern vielmehr als Appell an die Verantwortung der jeweiligen Personen verstanden werden, so der Verteidiger.
Marguerite Biermann schließlich wiederholte in ihrer Ansprache (siehe unten stehend den Wortlaut) wie bereits oben erwähnt, dass sie eigentlich eine Debatte habe anstoßen wollen. Hass oder Bösartigkeit hätten ihr dabei fern gelegen. Dementsprechend überrascht sei sie auch über die feindliche, hasserfüllte und aggressive Reaktion gewesen. Marguerite Biermann schloss ihre Verteidigung damit, dass sie betonte, dass es bei dem Prozess um weit mehr als nur um die Lösung eines persönlichen Konflikts gehe. Es gehe auch um den Schutz eines jeder Demokratie zugrunde liegenden Menschenrechts, nämlich dem der freien Meinungsäußerung.
Das Urteil wird am 17. Juni verkündet.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können