Freitag14. November 2025

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Viviane Reding: „Eine Grundrechtekultur schaffen“

Viviane Reding: „Eine Grundrechtekultur schaffen“

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Nach acht Monaten im Amt zog die EU-Justizkommissarin Viviane Reding am Montag in Luxemburg eine erste Bilanz und machte einen Ausblick auf kommende Schwerpunkte. Die Kommissarin ging dabei auch auf den Streitfall mit der französischen Regierung ein.

Guy Kemp

Für Viviane Reding kam es mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages und der Europäischen Charta der Grundrechte in der Europäischen Union zu einem wesentlichen Wandel, was die Rechte und Pflichten der Bürger anbelangt. Diese stünden nun politisch auf gleicher Ebene wie etwa die Wirtschafts- oder Finanzpolitik in der Union. Die Grundrechte der Bürger fallen in ihren Zuständigkeitsbereich, in dem sie ein großes Betätigungsfeld ausgemacht hat.

Die EU-Justizkommissarin will eine Strategie darüber vorlegen, wie die Charta der Grundrechte umgesetzt, wie die Theorie in der Praxis gehandhabt werden soll. „Wir müssen in Europa eine Grundrechtekultur schaffen“, sagte Viviane Reding, wobei die „Charta der Kompass des Handelns“ sein soll. Sie verpflichte sich dazu, jährlich einen Bericht hierüber vorzulegen.

Manches wurde während den vergangenen acht Monaten bereits auf den legislativen Weg gebracht. Wie etwa die im Lissabonner Vertrag vorgesehene Europäische Bürgerinitiative, über die eine bestimmte Anzahl von Bürgern aus einer Reihe von EU-Staaten die EU-Kommission dazu auffordern kann, sich mit einem Thema zu befassen. Der Ministerrat hat das Dossier bereits behandelt, im November wird sich das Europäische Parlament dazu aussprechen.

Scheidungen zwischen binationalen Ehepartnern

In einer sogenannten „verstärkten Zusammenarbeit“ – ebenfalls eine Neuerung des Lissabonner Vertrages – suchen derzeit 14 EU-Staaten eine gemeinsame Lösung, wie Scheidungen zwischen binationalen Ehepartnern besser geregelt werden können. Für Luxemburg ist dies besonders interessant, da hier eine von zwei Scheidungen Ehepaare betreffen, die nicht aus dem gleichen EU-Land stammen, so Viviane Reding.

Beschlossene Sache zwischen den 27 ist bereits das Recht auf Verdolmetschung und Übersetzung für Strafverdächtige, die sich in einem anderen EU-Land vor Gericht verantworten müssen. Nun soll in Strafrechtsfällen EU-weit den mutmaßlichen Tätern Rechtsbeistand garantiert werden. Eine entsprechende Regelung wird derzeit diskutiert. Zudem will Viviane Reding im kommenden Frühjahr auch die Rechte der Opfer auf Informationen und Beistand während des gesamten Prozessverlaufs verstärken.

Datenschutz und Binnenmarkt

Als eines der kommenden großen Themen kündigte die EU-Justizkommissarin am Montag den Datenschutz an. Schon vor Jahresfrist wollte sie ein Gesetzespaket dazu vorlegen. Doch sehe sie derzeit noch Diskussionsbedarf, weshalb sie erst vorlegen will, in welche Richtung hier gehandelt werden soll.

Dabei soll es unter anderem um die Datenminimierung gehen, d.h. dass nur so viele Daten wie unbedingt nötig von den Bürgern erfasst werden sollen. Dies gelte auch für die Bereiche des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus, betonte die EU-Kommissarin. Weiter solle Transparenz geschaffen werden, was mit dem Recht der Bürger auf Informationen einhergehe. Worunter Viviane Reding auch das Recht insbesondere von Internetbesuchern darauf versteht, dass ihre persönliche Daten auf Wunsch vollständig aus dem Netz gelöscht werden. Zudem sollen die Bürger darüber informiert werden, wenn ihre Daten verloren oder missbraucht wurden.

Ein weiteres Betätigungsfeld schließlich hat Viviane Reding im Binnenmarkt ausgemacht. Hier will sie gemeinsam mit dem zuständigen EU-Kommissar Michel Barnier am 27. Oktober „konkrete Maßnahmen und einen Fahrplan“ vorlegen, wie weitere Schranken im gemeinsamen Binnenmarkt für die Wirtschaft und die Bürger abgeschafft werden können.

Dazu sei ebenfalls bereits ein neues Vertragsrecht in Ausarbeitung. „Ich will neben den 27 bestehenden Vertragsrechten ein 28. Modell als Alternative zum freien Gebrauch hinstellen“, sagte Reding. Diese und weitere Maßnahmen, wie eine leichtere Schuldeneintreibung im Ausland, sollen den grenzüberschreitenden Handel verbessern, so das Ziel. 

Der Fall Frankreich als Geburtsstunde des Europas der Bürger 
  
„Ich hatte ich mir nicht erwartet, dass der Streit so heftig ausfallen würde“, sagte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding hinsichtlich der jüngsten Auseinandersetzung mit Frankreich über ihre Aussagen zur französischen Ausweisungspolitik insbesondere betreffend die Roma. Mit Streit habe sie jedoch gerechnet, da solche Probleme vorher nie offen gelöst worden seien.

Nun aber habe Europa den Lissabonner Vertrag und die Europäische Charta der Grundrechte. Und wenn sie nicht gleich beim ersten Fall klar und deutlich gesagt hätte, was in diesen Dingen künftig zu geschehen habe, wäre sie für die kommenden Jahre unglaubwürdig gewesen, erklärte Viviane Reding.

Die französische Regierung hat am Freitag eineinhalb Stunden vor dem Ablauf eines von der EU-Kommission gesetzten Ultimatums reagiert und die entsprechenden Erklärungen geliefert, wie Paris gedenke, die mangelhaft umgesetzte Richtlinie über die Freizügigkeit der Bürger zu verbessern.

Übers Wochenende haben sich die Juristen der Kommission mit der Antwort Frankreichs beschäftigt. „In den nächsten Stunden wird das Resultat vorliegen“, sagte Viviane Reding. Demnach könnte sich bereits am Dienstag die EU-Kommission damit befassen und feststellen, ob die zweite Phase des dreistufigen Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet wird.
Die EU-Kommissarin  zeigte sich zufrieden darüber, dass ihre Botschaft nicht nur in Frankreich, sondern auch in den anderen 26 EU-Staaten angekommen sei. „Der September war somit die Geburtsstunde des Europas der Bürger“, folgerte die EU-Kommissarin.