Mittwoch12. November 2025

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Digitaler Hass auf den Todesschützen

Digitaler Hass auf den Todesschützen
(Facebook)

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Der Hass auf den Attentäter und Todesschützen von Norwegen, Anders Behring Breivik, kennt im Internet keine Grenzen. Alleine 550 Anti-Breivik-Profile gibt es bei Facebook, und es werden täglich mehr.

Im Internet hinterlässt der Attentäter von Norwegen eine Hass-Spur. Die Profile unter seinem Namen bei Facebook wachsen stündlich. Bislang gibt es 550 davon, teilweise mit mehr als 2000 Teilnehmer je Community. Die Überschriften sprechen für sich: „Antifanpage“, “ Stirb Anders Behring Breivik“, „Hängt Anders Behring Breivik“, „Fuck you Anders Behring Breivik“, Wir hassen Anders Behring Breivik“, “ Todesstrafe für Anders Behring Breivik“, „Idiot of the Year: Anders Behring Breivik“ oder „Schickt Andreas Behring Breivik nach Guantanomo“.

Es wird öffentlich über Lynchjustiz („Hängen solltest du… in aller Öffentlichkeit“) debattiert, die besten Foltermethoden („Wenn es nach mir gehen würde, dann würden mittelalterliche Hinrichtungsmethoden zum tragen kommen und nichts geringeres: Rädern, Häuten, Pfählen.“) nachgedacht und die Christen (Wer Gott dient, ist ein Opfer) bekommen auch ihr Fett weg.

Digitale Trümmer

In Echtzeit werden seit dem Wochenende auf Facebook oder Twitter über die blutige Tag debatiert und Informationen ausgetauscht. Dazu wird das Netz mit Videos und Bildern der blutigen Tat befüllt. Selbst bei Wikipedia gibt es jetzt Streit um „korrekte“ Einträge. Seit Freitag dokumentieren Menschen auf Youtoube, Facebook oder Twitter die Trümmer des Bombenanschlags in Oslos. Passanten laufen verwirrt durch das Regierungsviertel, das übersät ist mit zerborstenen Fensterscheiben. Feueralarme klingeln im Hintergrund. Menschen reden entsetzt miteinander oder Schweigen sich einfach völlig fassungslos an.

Ein Video mit der Überschrift: „Bombe in Oslo – Das ist zweifellos einer der schlimmsten Tage in der Geschichte Norwegens“ verbreitete sich rasant im Netz. Nicht einmal eine Stunde nach der Veröffentlichung war der Film bereits 60.000 Mal aufgerufen worden. Am Tag nach dem Attentat, dem Samstagnachmittag, zählte der 21 Sekunden lange Film mit seinen wackeligen Szenen gar weit mehr als 700.000 Klicks.

Mediale Freiheit

Weil heute Foto- und Fernsehkameras in allen Mobiltelefonen zum Standard zählen und viele Handys zudem mit dem Internet verbunden sind, dauert es meist nur ein paar Minuten, bis sich nach Unglücken erstes Material von Augenzeugen im weltweiten Netz verbreitet.

Sie landen auch in den klassischen TV-Programmen und Online-Angeboten der Printmedien. Fernsehsender aus aller Welt griffen am Freitag ebenfalls zunächst auf Fotos und Videos im Netz zurück, bis sich eigene Kamerateams in das Zentrum von Oslo durchgeschlagen hatten, das teilweise abgesperrt war.

Online Datensammlung

Augenzeugen jeden Alters, hielten aus der Ferne die Ermittlungsarbeiten der Osloer Polizei fest. Sie gestatteten teilweise den Medien, ihre Aufnahmen zu nutzen. Vor allem über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreiteten sich noch mehr Fotos, die die ersten Momente nach der Explosion festhielten.

Nicht einmal zwei Stunden nach der Explosion in Oslo listete am Freitag die Internet-Enzyklopädie Wikipedia bereits einen ersten Eintrag zu „2011 Oslo Explosion“ auf. Internetnutzer begannen, den Eintrag in Englisch fortlaufend zu aktualisieren und neue Details zu notieren. Die Sammlung wuchs an einem Tag auf mehrere DIN-A4-Seiten an. Später setzte sich „2011 Norway Attacks“ als Titel durch.
Ein weiterer Eintrag sammelte zudem erste bekannte und kursierende Details zu dem mutmaßlichen Attentäter Anders Behring Breivik. Auch die deutsche Version der Wikipedia führte bald Einträge zu dem Geschehen in Oslo, die jedoch zunächst deutlich knapper ausfielen.

Geschehen beeinflussen

Dass die Internetgemeinde so schnell versuchte, die Ereignisse in eine Faktensammlung zu gießen, löste jedoch prompt auch Widerstand aus. In für alle sichtbaren Diskussionen der Autoren beider Einträge warnten einige davor, die Seiten zu rasch fortzuschreiben. Zum Eintrag, der sich mit dem Attentat an sich befasste, hieß es: „Bitte hört mit diesen Gerüchten auf. Wikipedia ist nicht News.“ Und in der Diskussion über den Beitrag, der sich mit Anders Behring Breivik beschäftigte, riefen einige Nutzer dazu auf, den Eintrag zu löschen, „bis klare und vertrauenswürdige Informationen vorliegen“.

Gingen früher die Menschen auf die Straße, nutzt man jetzt Online-Plattformen zur „Demo“. „Facebook erleichtert es den Menschen, politisch aktiv zu werden und gibt ihnen das Gefühl, Politik sogar beeinflussen zu können“, lautet die Hypothese von Dr. Yannis Theocharis aus Griechenland, der die Wirkung neuer Medien auf das politische Verhalten ihrer Nutzer erforscht.

„Demokratische Meinungsbildung“

Das Internet wird seit Jahren als besonders demokratisches Medium gepriesen. Jeder kann dort seinen Senf dazugeben und veröffentlichen, was er will. Doch Kritiker werfen die Frage auf, wie frei die „demokratische Meinungsbildung“ im Internet sein darf. Medienexperten wiegeln ab: Im Internet zerfällt der User in unbedeutende Einheiten. Dadurch erreicht eine Meinung nicht mehr auf einen Schlag ein Massenpublikum wie etwa Print, Radio oder Fernsehen, heißt es.

Aber: Vergangene Woche war die Facebook-Welt in Norwegen noch in Ordnung. Wenige Stunden vor seiner blutigen Tat nutze Anders Behring Breivik das Internet als Instrument für seine mörderische Planungen. Er zählte mehr als 5000 Personen auf seiner Profilseite zu seinen „Freunden“.