Die „Occupy“-Bewegung und jene der „Indignés“ werden sich der Tatsache bewusst, dass die wirtschaftlichen Machtverhältnisse, die zurzeit die Welt bestimmen, in keiner Weise einer naturgesetzlichen Notwendigkeit entsprechen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Welt, welche immer sie auch sein mögen, sind Menschenwerk. Sie sind nicht das Resultat irgendwelcher ökonomischer Naturgesetze und viel weniger noch das Werk einer anonymen ökonomischen Gottheit namens „unsichtbare Hand“ oder „die Märkte“. Den „Märkten“ kommt ähnlich viel göttliche Gewalt zu wie dem Nudelgott oder wie jeder anderen Gottheit, die der Mensch sich bis dato nach seinem Bilde erschaffen hat. Dabei sind „die Märkte“ ohne Zweifel extrem mächtig. Aber mitnichten weil sie die Welt erschaffen hätten und mithin rechtens das Schicksal all ihrer Kreaturen bestimmen dürften. Sondern weil eine Mehrheit der Politiker, die uns regieren, und jene Mehrheit der Wähler, die sie dazu ermächtigt haben, die Macht an „die Märkte“ abgetreten haben.
" class="infobox_img" />Francis Wagner [email protected]
Ökonomistische Theologie
Die „Occupy“-Bewegung erhebt sich gegen den Determinismus des Ökonomismus. Gegen die Idee, dass alle Aspekte des menschlichen Lebens, bis hinein in die intimsten Angelegenheiten von Gewinn- und Verlustrechnungen, bestimmt sein sollen und dass wir Menschen bei Strafe des individuellen oder kollektiven Ruins nicht anders können, als uns dieser Notwendigkeit untertänigst zu fügen.
Dabei sollte man eines nie vergessen und man sollte es immer wiederholen: Die Wirtschafts-Wissenschaften sind im naturwissenschaftlichen Sinne haargenau so viel Wissenschaft wie die Theologie. Nämlich, in dem Sinne, wie beider Hauptgegenstände – „Gott“ oder „die unsichtbare Hand“ – reine Produkte des menschlichen Wünschens und Sehnens sind, überhaupt nicht. Gott und Adam Smith (der im Übrigen ein durchaus vielseitiger und interessanter Denker war, der es keineswegs verdient hat, dass die vulgärsten und barbarischsten der Geldsäcke ihn zu Ehren ihrer Altäre der Raffgier erheben) sind durchaus würdige Forschungsgegenstände von Literaturwissenschaft, Psychologie, Sangeskunst oder Architekturgeschichte. Die Bibel wie die Moral Sentiments geben eine ausgesprochen spannende Lektüre ab.
Aber kein heiliges Buch und kein heiliger Milton Friedman entbinden die Nachgeborenen von ihrer Pflicht, ihr Schicksal und mithin die ökonomischen Rahmenbedingungen, in denen sie zu leben haben, als mündige Citoyens selbst in die Hand zu nehmen und sie durch aktive Teilnahme am politischen Prozess, im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten, mitbestimmen zu versuchen.
Insofern geben sowohl die „Occupy“-Bewegung wie jene der „Indignés“ Anlass zur Hoffnung, dass in unseren Breiten immer mehr Citoyens es eben nicht als das höchste der Gefühle betrachten, sich als konsumgeile Volltrottel bis ans Ende ihrer Tage ausnehmen zu lassen wie die Weihnachtsgänse.
De Maart
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