Freitag14. November 2025

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Gefährlicher Modestil

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Enge T-Shirts, Skinny-Jeans und lange Haare: Der Emo-Style ist erst vor kurzem im Irak angekommen. Für Geistliche sind Emos eine "Epidemie der Gesellschaft". Das hat drastische Folgen.

Gewalt kennt das irakische Volk seit Jahren. Erst herrschte Krieg, dann zermürbten Selbstmordattentate die Bevölkerung. Nach dem Truppenabzug der US-Soldaten im Dezember sollte endlich Ruhe einkehren. Doch die Gewalt blieb: Inzwischen richtet sich diese vor allem gegen gewisse Gesellschaftsgruppen. In Gefahr sind seit kurzem junge Menschen, meist Männer, die sich auffällig kleiden.

Nachdem das irakische Volk unter Saddam Hussein jahrelang von der westlichen Kultur isoliert gelebt hatte und auch während den Kriegsjahren andere Sorgen gehabt hatte, geniessen Jugendliche und junge Menschen in ihren 20ern die neu aufgekommene soziale Freiheit. Viele drücken diese durch ihren Style aus, kleiden sich als Hipster, Punks, Gothics – in Bagdad nennt man den Stil kurz zusammengefasst „Emo“. Der Stil war in Europa bereits in den 1980er Jahren aufgekommen. In den Jahren 2007, 2008 erlebten „Emos“ in Europa noch einmal eine Renaissance. Jugendliche kleideten sich düster, mit einzelnen bunten Farbakzenten, färbten sich die Haare schwarz und waren sehr emotional – deshalb der Name „Emo“. Inzwischen ist der Stil auch in der arabischen Welt populär geworden. Doch das gefällt offensichtlich nicht allen. Weil den Jungen mit ihren engen Shirts und Skinny-Jeans unterstellt wird, sie seien schwul, wurden mehrere von ihnen in den vergangenen Wochen bedroht, zahlreiche gar getötet.

Listen gegen „Emos“

Laut der „Washington Post“ zirkulierten vergangene Woche in Bagdad Namenslisten, auf denen Personen aufgezählt und mit dem Tod bedroht wurden, wenn sie denn nicht ihr Aussehen verändern. Auch von offizieller Seite ist bereits gegen „Emos“ gehetzt worden. Prominente Geistliche sowie mindestens ein Polizeioffizier hatten diese wegen ihres Hangs zur düsteren Musik und den makabren Looks, die enge Kleidung und gestylte Haare beinhalten, verurteilt. Moktada al-Sadr, der anti-westliche schiitische Geistliche, der die politische Bewegung der Sadristen anführt, beschrieb „Emos“ letzte Woche als eine „Epidemie der Gesellschaft“ und rief die Gesetzeskräfte dazu auf, sie zu entfernen.

Vergangenen Monat veröffentlichte das Innenministerium einen Bericht, in dem es heisst, dass die Polizeiabteilungen „hinter dem Phänomen der ‹Emos› oder Satanisten her sind.“ Laut dem Bericht habe die Polizei „die offizielle Bewilligung erhalten, diese so schnell als möglich wegen besonderen Verhaltens zu eliminieren.“ Laut Polizei bedeute diese Aussage aber nicht, dass Menschen verletzt würden – deutlich ist die Aussage trotzdem.

Die Polizei bestreitet zwar, dass Menschen getötet worden seien, weil sie „Emos“ sind. Laut einem Sprecher des Innenministeriums sind aber tatsächlich vier Männer, die man für schwul hielt, im Februar in Bagdad tot aufgefunden worden. Ein junger Mann, der sich entsprechend kleidet, erlitt vergangene Woche starke Kopfverletzungen, die ihm mit einem grossen Stein oder einem Ziegel zugefügt worden waren. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet in Bezug auf Quellen aus Spitälern von 14 weiteren Menschen, die aufgrund ihres Äußeren getötet worden seien. Rechtsaktivisten sprechen gar von 40 Opfern.

Grausames Bild auf Facebook

Zurzeit zirkuliert zudem ein Bild auf Facebook, das die grausame Entwicklung deutlich macht. Das Foto zeigt einen jungen Mann mit einer weißen Jacke und sorgfältig frisiertem Haar. Neben diesem Bild ist ein anderes Foto abgebildet. Es zeigt den gleichen Mann: tot und blutend auf dem Rücksitz eines Lastwagens. „Ich glaube, dass er wegen seiner Kleidung getötet wurde“, sagt eine irakische Frau laut „Washington Post“, die als Medientrainerin in Bagdad arbeitet und aus Angst vor Racheakten nicht namentlich genannt werden wollte: „Die Menschen nannten ihn Saif die Braut.“

Ali Hilli, ein irakischer Aktivist der in London ansässigen Gruppe Iraqi LGBT (lesbisch, schwul, bisexuell und transsexuell), hatte offenbar Einblick in einen Polizeibericht, in dem es heißt, der junge Mann sei zu Tode geprügelt worden. Laut dem Aktivisten berichteten Mitglieder der irakischen Schwulengemeinschaft von stark zunehmenden Angriffen seit Anfang Februar. Betroffen sind hauptsächlich junge Menschen in konservativen schiitischen und südlichen Städten wie Nasiriyah und Kufa. Die Täter seien Gruppen, die aus jungen, zivilen Männern bestehen.

Hanaa Edwar von der al-Amal-Menschenrechtsgruppe in Bagdad sagt, sie habe in vertrauenswürdigen Berichten von mehreren Morden und Angriffen auf Menschen gehört. Sie begründet die Angriffe auf „Emos“ damit, dass diese oft automatisch durch ihr Äusseres und ihr Verhalten, das als weiblich, westlich oder sonstwie anders gilt, für schwul gehalten werden. Zudem werden die jungen Menschen per „Emo-Label“ in die Ecke des Satanismus gestellt.

Sturm auf die Frisörgeschäfte

Die Gerüchte um Gruppen, die Jagd auf „Emos“ machen, haben unter Bagdads Jugendlichen Panik ausgelöst. Viele von ihnen sind seither in die Frisörgeschäfte gestürmt, um sich die langen Haare schneiden zu lassen. Viele ziehen sich ihre modischen Klamotten nicht mehr an. Ein junger Mann, der ebenfalls anonym bleiben will, berichtete laut „Washington Post“ davon, dass seine Freunde ihm täglich raten, seine langen Haare zu schneiden.

Tatsächlich zeigt die neu aufgekommene Gewalt deutlich, dass der Irak sowohl konservativ als auch gefährlich ist. Die Gefahr wird weiter geschürt. „Das Problem sind religiöse Menschen“, sagte Noof al-Assi, die kürzlich an der Kunsthochschule in Bagdad ihren Abschluss gemacht hatte. Viele ihrer Freunde würden sich im „Emo“-Style kleiden. „Wenn wir ein normales Land wären, wäre dies ein normaler Kleiderstil. Aber im Irak haben wir diese verrückten Milizen, die eine Entschuldigung brauchen, um Menschen zu töten.“