Mittwoch12. November 2025

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Die Verfassung? Welche Verfassung?

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Am 15. Mai hat das Parlament ein Gesetz zur Reform der Organisation der Justiz verabschiedet. Dies, obwohl der neue Text in einem Punkt im Gegensatz zur Verfassung steht. Die Richter sind besorgt.

„Les juges de paix, les juges de tribunaux d’arrondissement et les conseillers de la Cour sont inamovibles. (…) Le déplacement d’un de ces juges ne peut avoir lieu que par une nomination nouvelle et de son consentement“ heißt es in Artikel 91 der luxemburgischen Verfassung. Übersetzt werden kann der Begriff „inamovibilité“ mit Unversetzbarkeit. Dieses in allen demokratischen Rechtsstaaten geltende Prinzip soll, zusammen mit der sogenannten Unabsetzbarkeit der Richter deren Unabhängigkeit absichern.
Lediglich in einigen gesetzlich präzise definierten Fällen (bei gravierenden Disziplinarfehlern oder im Krankheitsfall, nicht bei Personalmangel) kann in den meisten rechtsstaatlichen Ländern ein Richter seines Amtes enthoben und gegen seinen Willen an eine andere Stelle versetzt werden.

Und genau in diesem Kontext stellt sich hierzulande nun ein Problem. Denn mit der am vergangenen 15. Mai vom Parlament verabschiedeten Reform der „organisation judiciaire“ wurde ein Gesetz verabschiedet, das zumindest in einem Punkt nicht verfassungskonform ist. Das sagen der „Groupement des magistrats“. Aber nicht nur. Die „Inkohärenz“ ist auch den Abgeordneten – zumindest jenen der zuständigen Justizkommission – bekannt, schließlich sollen die Mitglieder der zuständigen Justizkommission bereits am 11. Mai zugesagt haben, den inkriminierten Punkt nachzubessern.

Außerdem hat der „déi gréng“-Abgeordnete Félix Braz genau diese Nachbesserung fordert.
Das Argument der Abgeordneten, nicht sofort eine Änderung vorgenommen zu haben, lautete „Termindruck“. Das reformierte Gesetz würde dringend gebraucht wegen der darin ebenfalls verankerten, neuen Einstellungsprozedur für Richteranwärter.

Problem mit Artikel 6

Konkret geht es bei der angesprochenen Problematik um Artikel 6 des neuen Gesetzes. In diesem ist festgehalten, dass gegebenenfalls ein Richter des Friedens- oder des Bezirksgerichts an ein anderes Friedensgericht versetzt werden kann.
Prinzipiell habe man nichts gegen diese „Delegations“-Regelung einzuwenden, erklärte Alain Thorn, Präsident des „Groupement des magistrats“ dem Tageblatt gegenüber. Schließlich würde diese Regelung auch in anderen Ländern appliziert. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass immer die Zustimmung des Richters vorliegen müsse.

In Ländern wie Frankreich oder Belgien könnten – zusätzlich zur „Delegation“ –, wenn ein Richter zum Beispiel durch Krankheit zeitlich begrenzt ausfällt, die „magistrats de remplacement“ (Frankreich) bzw. „juges de complément“ (Belgien) zum Einsatz kommen. Diese werden ob einer Versetzung auch nicht um ihre Zustimmung gebeten, die unter den beiden Titeln agierenden Magistraten sind aber eine Art Richter mit einem Spezialstatut. Was bedeutet, dass diese Richter bewusst diese eine Karriere gewählt haben und von vorneherein wissen, dass sie andere Richter ersetzen müssen.

Andere Situation in Luxemburg

„Die Situation in Luxemburg ist mit dem verabschiedeten Gesetz also eine ganz andere“, konstatiert Alain Thorn. Zumal auch nicht definiert sei, unter welchen Bedingungen bzw. über welchen Zeitraum ein Richter einen anderen Posten einnehmen könnte.
Hierzulande würden, wenn das Gesetz in seiner jetzigen Form bestehen bliebe, Richter ohne ihre Zustimmung und vom Präsidenten des obersten Gerichtshofes versetzt werden können.
Was auf den ersten Blick des normalen Bürgers vielleicht unwesentlich anmuten kann, auf den zweiten Blick ist es aber alles andere.

„Bleibt diese Regelung bestehen, dann muss ein Richter permanent befürchten, dass er vielleicht im Vorfeld eines Prozesses oder nach einem Prozess, je nach gefälltem Urteil, willkürlich versetzt wird. Die durch das in der Verfassung verankerte Prinzip der Unversetzbarkeit theoretisch garantierte Unabhängigkeit wäre dann nicht mehr gegeben“, skizziert Thorn ein düsteres Zukunftsbild. Die Richter stünden demnach ständig unter Druck, eine Art Damokles-Schwert permanent über dem Kopf. Eine normal funktionierende Justiz wäre dann nicht mehr denkbar. Mit der Konsequenz, dass der Bürger – verständlicherweise – jedes Vertrauen in die dritte Macht im Staate verlieren würde und damit der demokratische Staat als solcher infrage gestellt würde.

Dieser „Fehler“ sei demnach alles andere als banal, warnt der Vertreter der Magistraten. Unabhängig davon, dass hiermit schlicht und ergreifend gegen die Verfassung verstoßen würde. Eigentlich sei es, ob der Offensichtlichkeit des Fehlers, ein Skandal, was hier geschehen sei.
Hier gehe es nicht um den „Komfort“ der Richter, wie in verschiedenen Internetforen zu lesen gewesen sei, hier gehe es um Grundsätzliches, das müssten die Bürger verstehen.

Eine Erklärung, warum der Staatsrat, dessen eigentliche Rolle darin besteht, Gesetzentwürfe auf ihre Kompatibilität zur Verfassung hin zu überprüfen, nicht interveniert ist, haben die Richter nicht. Und auch nicht, warum die Regierung und im Endeffekt auch die Abgeordneten sich nicht daran gestört haben, dass hier ein Gesetz gestimmt wurde, das nicht verfassungskonform ist.
Aus Abgeordnetenkreisen jedenfalls war zu vernehmen, dass der zuständige Justizminister den aktuellen Text damit verteidigt hätte, dass die Regelung derer in anderen Ländern entspreche. Erst im Nachhinein hätte man bemerkt, dass diese Aussage so nicht stimme.

Die bereits oben erwähnte Ankündigung des Parlamentsausschusses, das fehlerhafte Gesetz nachbessern zu wollen, bzw. der Gesetzesvorschlag von Félix Braz können die Richter nur bedingt beruhigen, denn die möglichen Rekursmöglichkeiten sind vor allem langwierig.

Die Hoffnung, dass in Bälde der Gesetzestext verbessert und damit Schlimmeres im Sinne des Rechtsstaats abgewendet werden kann, haben die Magistraten dann aber doch noch.