Mittwoch12. November 2025

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Frankreich, der nächste kranke Mann Europas?

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Wird Frankreich zum nächsten "kranken Mann" Europas? Die jüngsten Defizit-Prognosen aus Paris verheißen nichts Gutes. Mit Besorgnis nehmen die Bürger den wirtschaftlichen Niedergang ihres Landes wahr. Dass es auch anders geht, wird ihnen täglich unter die Nase gerieben.

Die Berichterstattung der französischen Medien zur Bundestagswahl muss für Präsident François Hollande und seine Regierungspolitiker ein Graus sein. Seit Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht vorgehalten bekommen, wie großartig es doch im Nachbarland Deutschland laufe. Niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Wettbewerbsfähigkeit und eingehaltene Defizitziele – deswegen sei die konservative Bundeskanzlerin Angela Merkel so erfolgreich und werde voraussichtlich weiterregieren können, heißt es. Nur die im Gegensatz zu Frankreich rückläufige Bevölkerung wird meist als Problem genannt.

Bitter sind diese Berichte vor allem deshalb, weil die Konjunktur im eigenen Land weiter nicht richtig in Schwung kommt. Neben den Analysen über das starke Deutschland müssen die Franzosen lesen, dass die eigene Regierung ihre Ziele und Prognosen für 2014 erneut senken musste.

Wachstum von nur 0,9 Prozent

Die Wirtschaftsleistung dürfte den jüngsten Schätzungen zufolge lediglich um 0,9 Prozent zulegen. Damit wird auch die Neuverschuldung des Staates weit weniger zurückgefahren als zunächst versprochen. Der erwartete Rekordschuldenstand von 1,95 Billionen Euro entspreche einer Pro-Kopf-Staatsverschuldung von rund 30 000 Euro je Einwohner, rechnete die Zeitung «Le Figaro» jüngst vor.

Hinzu kommen immer neue Hiobsbotschaften über Stellenstreichungen bei Traditionsunternehmen wie Air France oder Michelin. Die Arbeitslosenzahlen erreichen derzeit monatlich neue Rekordstände. Die Quote lag zuletzt nach europäischen Vergleichszahlen bei 11,0 Prozent, in Deutschland hingegen nur bei 5,3 Prozent. 2012 sank die Kaufkraft wie seit 1984 nicht mehr. Friseure und Restaurantbetreiber bekommen dies bereits deutlich zu spüren.

Regierung spart nicht genug

Dass die Regierung genug gegen die horrende Verschuldung und die Wettbewerbsschwäche der Wirtschaft unternimmt, bezweifeln viele. Der Chef des größten Arbeitgeberverbandes Medef, Pierre Gattaz, erinnerte erst diese Woche wieder an die hohe Staatsausgabenquote. In Frankreich erreiche man einen Wert von 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während Deutschland bei lediglich 45 Prozent liege, monierte er. Bei einer Umfrage unter Kleinunternehmern gaben acht von zehn Teilnehmern an, die Sparbemühungen der Regierung für unzureichend zu halten.

Kaum anders werden in der Wirtschaft die bislang eingeleiteten Reformen für mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und Löhnen sowie die neuen Rentenpläne beurteilt. Selbst der linke Kulturmäzen Pierre Bergé, Mitgründer des Modehauses Yves Saint Laurent, kritisiert die hohe Abgabenlast und die Regierung. „Sie sendet in Richtung der Unternehmenswelt die falschen Signale aus“, kommentierte er jüngst nach Angaben des Magazins „L’Express“ und nannte einen möglichen Grund gleich mit: Kein einziger Minister habe jemals ein Unternehmen geführt.

Als besonders unbeliebt in Wirtschaftskreisen gilt ausgerechnet der für die Industrie zuständige Arnaud Montebourg. Im Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen zog er im vergangenen Jahr sogar Zwangsverstaatlichungen in Erwägung. Es entstehe der fatale Eindruck, in Frankreich gebe der Staat die Strategie von Unternehmen vor, kritisierte die Medef.

In der EU-Kommission in Brüssel fürchtet man vor allem einen Verlust der Kreditwürdigkeit Frankreichs. Sollte für die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas ein Rettungspaket notwendig werden, könnte dies die Eurozone zum Zusammenbruch bringen. Bislang sind die Zinsen für französische Staatsanleihen noch relativ niedrig.

Die Nerven liegen blank

Bei manch einem französischen Regierungsminister liegen die Nerven angesichts der ständigen Kritik langsam blank. „Hört auf mit dieser Art von ‚Frankreich-Bashing‘, als wären wir der kranke Mann Europas“, schimpfte Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici vergangene Woche bei einem Treffen der europäischen Finanzminister. Sein Land sei auf dem richtigen Weg.

Wie ein Stück dieses Weges aussieht, hatte Präsident Hollande am Vortag in Paris vorgestellt. Super-Roboter, Zwei-Liter-Autos und Elektro-Flugzeuge: Ein Plan für eine neue Industriepolitik sieht vor, dass Frankreichs Wirtschaft mit einer Konzentration auf Zukunftstechnologien alte Stärke zurückerobern soll. Kann das gelingen? Laut Medef nur, wenn auch Abgabenlast und Arbeitskosten weiter sinken. Der linke Präsident steckt damit in einem Dilemma: Schon jetzt wird ihm von vielen Wählern vorgeworfen, von den Bürgern stärkere Sparanstrengungen abzuverlangen als von den Unternehmen.