12. November 2025 - 6.44 Uhr
Akt.: 12. November 2025 - 9.05 Uhr
EU-ParlamentVertreter aus dem Sudan berichten über die schwerste humanitäre Krise der Welt
Seit April 2023 tobt im Sudan ein Machtkampf zwischen zwei zuvor verbündeten Militärs: zum einen Abdel Fattah Burhan, dem De-facto-Staatschef und Befehlshaber der sudanesischen Streitkräfte, zum anderen Mohammed Hamdan Daglo, Kommandeur der paramilitärischen RSF-Miliz (Rapid Support Forces), die größtenteils aus der muslimischen Dschandschawid-Miliz hervorgegangen ist und im Darfur-Konflikt für Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht worden ist.

Schrecklicher Höhepunkt des Krieges ist zurzeit die im Oktober erfolgte Einnahme der Stadt Al-Faschir durch die RSF-Miliz, die seitdem dort plündert, vergewaltigt und Massenerschießungen durchführt, wie nicht allein Salih Mahmoud Osman vor den EP-Ausschüssen für Entwicklung sowie für Menschenrechte berichtet. „Diese Horrorbilder sind besonders tragisch, da es seit 18 Monaten Warnungen gegeben hat, als Al-Faschir unter Belagerung stand“, sagt der sudanesische Rechtsanwalt, Abgeordnete und Preisträger des vom EP verliehenen Sacharow-Preises, vor den EP-Abgeordneten. Doch auch die Armee würde in diesem Konflikt Menschenrechtsverletzungen verüben sowie willkürliche Verhaftungen und Erschießungen durchführen. „Die Bevölkerung braucht ganz dingend Schutz“, fordert deshalb Salih Mahmoud Osman. Der dürfte so schnell nicht kommen. Selbst der UN-Sicherheitsrat habe sich bislang noch nicht zu einer Entschließung zum Sudan durchringen können, bedauert der sudanesische Politiker. Im November vorigen Jahres hatte Russland eine Resolution des Sicherheitsrates, in der eine Feuerpause sowie die Bereitstellung humanitärer Hilfe gefordert wurden, mit seinem Veto verhindert.
Die Täter zur Rechenschaft ziehen
Dennoch sollte die EU mit der UNO zusammenarbeiten, um Möglichkeiten auszuloten, wie der Krieg beendet werden könne. Beim Gipfeltreffen zwischen der EU und der Afrikanischen Union (AU) gegen Ende des Monats biete sich eine Gelegenheit, den Konflikt zu besprechen. Die EU müsse zudem ihr Verhältnis zum Sudan überdenken, empfiehlt Salih Mahmoud Osman. Die Menschen im Land seien der Ansicht, die Europäer stünden auf der Seite der RSF. Auch von dem vielen Geld und der humanitären Hilfe aus der EU komme nicht viel bei den Menschen an, bedauert der Rechtsanwalt.
Mona Rishmawi war als Mitglied einer unabhängigen internationalen „Fact-finding“-Mission im Sudan und berichtet ebenfalls über die verschiedensten Gräueltaten, denen die Menschen im Land ausgesetzt sind. Kinder würden an Hunger und Krankheiten sterben, auch weil die humanitäre Hilfe begrenzt sei. Der Juristin geht es vor alle darum, die Verantwortlichen für die begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie fordert daher, Beweise zu sammeln und Maßnahmen zu ergreifen, damit den Opfern Gerechtigkeit widerfahren kann. Für die Ermittlungen und die Strafverfolgung sollte vor allem der Internationale Strafgerichtshof eingebunden werden, empfiehlt Mona Rishmawi.

„Das ist ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung“, sagt der Menschenrechtsanwalt Mohaned Mustafa El-Nour und spricht ebenfalls von einem „Genozid“. El-Nour, der für eine britische Menschenrechtsorganisation, die sich auf Religionsfreiheit spezialisiert hat, arbeitet, wies vor allem auf Verbrechen gegen religiöse Minderheiten hin. Kirchen seien bombardiert, andere Kultstätten vernichtet worden. Auch wenn Apostasie als Straftatbestand seit langem im Sudan abgeschafft worden sei, habe die RFS-Miliz dennoch Menschen, die zum christlichen Glauben übergetreten seien, verfolgt, getötet oder gezwungen, zum Islam überzutreten.
„Größte Vertreibungskrise auf der Welt“
Da dies nicht der erste Krieg im Sudan sei, würde man die gleichen Täter in diesem Konflikt wiederfinden, da niemand diese von Anfang an zur Rechenschaft gezogen habe, ärgert sich Mohaned Mustafa El-Nour. Er verlangt zudem, dass „wirtschaftlicher Druck“ insbesondere auf die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten sowie Saudi-Arabien ausgeübt wird, die eine der beiden Kriegsparteien unterstützen würden.
Von „einer Krise im Sudan, wie wir sie noch nie hatten“ und der „größten Vertreibungskrise, die wir auf der Welt haben“, sprach der Regionaldirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, Eric Perdison. Der vor allem einen „dringenden Appell“ an die EU-Parlamentarier richtete, da seine Organisation nicht genügend Mittel habe, um allen Menschen in der Region zu helfen. Es würde eine „akute Ernährungsunsicherheit“ bestehen, die für viele „katastrophale Ausmaße“ habe. In 60 Prozent der Gebiete in der Region bestehe akute Unterernährung. Davon seien 75 Prozent der Kinder unter fünf Jahren betroffen, so Eric Perdison. 12 Millionen Menschen seien vertrieben worden, die sich zum Teil in die ebenfalls instabilen Nachbarstaaten Tschad und Südsudan begeben hätten. „Wir können die Menschen nicht mehr versorgen“, warnt der hochrangige UN-Beamte, der erwartet, dass bald an die 36 Millionen Menschen in der Region Hunger leiden würden. Das Welternährungsprogramm brauche 500 Millionen Dollar, um den Menschen vor Ort zu helfen. Doch müsse auch der Zugang für die humanitäre Hilfe sichergestellt werden, fordert Eric Perdison.

Salwa Elsadik wiederum beklagt vor allem den Rückfall in längst überwundene Zeiten. Zwangsheiraten und Kindersoldaten seien wieder aufgetaucht. Frauen und Mädchen würden zu Sexsklavinnen gemacht. Es gehe nicht mehr nur um geschlechterbasierte Gewalt, sondern um „rassistische geschlechterbasierte Gewalt“, da schwarze Frauen die Opfer seien, sagt die sudanesische Frauenrechtsaktivistin der Organisation „International Federation for Rights and Developments“ (IFRD). Salwa Elsaki verurteilt die Straffreiheit, mit der die Täter davonkommen und womit sexuelle Gewalt zur Normalität werde. Für die sudanesischen Frauen hingegen gebe es keine Gerechtigkeit, beklagt die Frauenrechtlerin und beschuldigt die RSF, „systematische sexuelle Gewalt“ zu verüben. Die EU müsse daher die Miliz zu einer Terrororganisation erklären und die Vereinigten Arabischen Emirate dazu auffordern, die RSF nicht mehr zu unterstützen, verlangt Salwa Elsaki.
Die Menschen weiter unterstützen
Von ein wenig Hoffnung konnte der Direktor von ECHO berichten, dem Europäischen Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, der im Oktober eine fünftägige Mission im Sudan absolvierte. Zwar sei in der Hauptstadt Khartum viel durch den Krieg zerstört worden, doch Millionen Menschen würden dorthin zurückkehren, sagt er. Allerdings sei die Situation weiter schlimm, es fehlten grundlegendste Dienstleistungen, berichtet Maciej Popowski. Er verspricht, dass die EU die Menschen in der Region weiter unterstützen werde. 270 Millionen Euro seien für die Region vorgesehen, davon allein 160 Millionen Euro für den Sudan, die vor allem für die medizinische Versorgung der Menschen sowie den Zugang zu Wasser und Lebensmitteln bereitgestellt werden. Für die EU ist es die größte humanitäre Aktion, so Maciej Popowski.
Die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, es brauche Sanktionen und eine Debatte über die Einstufung der RSF als Terrororganisation, ein Waffenembargo müsse verhängt und ein Friedensplan für den Sudan vorgelegt werden, fordern die EU-Parlamentarier. „Aber das umzusetzen, ist das Schwierige“, meint die luxemburgische EP-Abgeordnete Isabel Wiseler-Lima, die sich fragt, was getan werden kann, damit es zu einem Anfang einer Friedenslösung kommt. Bei einer ihrer nächsten Sitzungen wollen die EU-Parlamentarier eine Resolution zum Sudan verabschieden.
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können