Dienstag9. Dezember 2025

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Neue EU-Gleichstellungsstrategie„Europa wäre ohne LGBTIQ+-Menschen kein Europa“

Neue EU-Gleichstellungsstrategie / „Europa wäre ohne LGBTIQ+-Menschen kein Europa“
Bei der verbotenen – und trotzdem abgehaltenen – Pride in Budapest wehten 2025 EU-Fahnen Symbolfoto: Attila Kisbenedek/AFP

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Die EU-Kommission stellte am Mittwoch ihre neue LGBTIQ+-Gleichstellungsstrategie vor. Ein Zugeständnis, das beim LGBTIQ+ Intergroup des EU-Parlaments und in der Zivilgesellschaft teils auf Kritik stößt. 

„In den vergangenen Jahren haben wir hart für die Freiheit von LGBTIQ+-Menschen gekämpft, jetzt gehen wir einen Schritt weiter: Wir bilden eine Union, in der Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit für alle gilt“, sagte die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Hadja Lahbib, am Mittwoch. „Die Gleichstellung von LGBTIQ+-Menschen ist unser aller Kampf, denn ohne LGBTIQ+-Menschen wäre Europa kein Europa.“ Die Worte fielen in ihrer Rede zur Präsentation der neuen „LGBTIQ+ Equality Strategy 2026-2030“.

Rückblick

Das Dokument löst die erste LGBTIQ+-Gleichstellungsstrategie der EU ab, die 2020 verabschiedet wurde. Ein öffentlich zugänglicher Bericht dokumentiert deren Umsetzung. Viele Ziele wurden erreicht, einige verfehlt. So etwa die EU-weite Anerkennung queerer Elternschaft: Sie kann den Betroffenen bei einem innereuropäischen Umzug aufgrund unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften weiterhin abgesprochen werden. Nach der Studie „LGBTIQ equality at a crossroads: progress and challenges“ (2024) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte litten zum Zeitpunkt der Datenerhebungen 14 Prozent der LGBTIQ-Eltern unter den Umständen.

„Dass einige Maßnahmen der ersten Gleichstellungsstrategie nicht umgesetzt wurden, liegt weder an der EU-Kommission noch am EU-Parlament, sondern am Europarat: Der stellt sich quer“, erklärt Marc Angel (LSAP), luxemburgischer EU-Abgeordneter und Co-Präsident des LGBTIQ+ Intergroup des EU-Parlaments, dem Tageblatt. „Hadja Lahbib hat jedoch betont, dass die Vorhaben auf der Tagesordnung der Kommission bleiben und sie sich weiterhin dafür einsetzt.“

Neuer Plan

Lahbib hob in ihrer Rede derweil drei Schwerpunkte der neuen Strategie hervor: „Erstens müssen wir LGBTIQ+-Menschen vor jeglicher Gewaltform schützen; zweitens wollen wir ihre Gleichberechtigung in jedem Lebensbereich sicherstellen; drittens unterstützen wir das Engagement der Zivilgesellschaft und haben unsere Fördermittel für Organisationen sowie Interessenvertretungen, die sich für Gleichstellung und Grundrechte einsetzen, auf 3,6 Milliarden verdoppelt.“ 

Die Strategie enthält zahlreiche weitere Maßnahmen, darunter eine Bestandsaufnahme zu Konversionsprozeduren, bei denen LGBTIQ+-Menschen ihre sexuelle Orientierung beziehungsweise ihre Geschlechtsidentität „ausgetrieben“ werden soll. „Das hat weitreichende Folgen für die Betroffenen und verletzt ihre Würde“, so Lahbib. „Eine von vier LGBTIQ+-Personen – und fast die Hälfte von trans Männern und Frauen – erlebten Konversionsprozeduren, begleitet von verbaler, körperlicher und sexualisierter Gewalt sowie Herabwürdigung.“ Die Kommission wolle mit den Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten, um dem ein Ende zu setzen. In Luxemburg ist ein Verbot entsprechender Prozeduren angedacht. 

Des Weiteren umfasst die Strategie Aktionen gegen Cybermobbing und die Förderung der Gleichstellungsarbeit. In dem Sinne steht 2026 die Veröffentlichung eines Berichts zur Anwendung der Gleichstellungsdirektive im Arbeitsbereich bevor. Parallel sollen neue Leitlinien für inklusive Bewerbungsverfahren vorgelegt werden. „Die Chancengleichheit für LGBTIQ+-Menschen stärkt den sozialen Zusammenhalt“, steht ergänzend dazu in einer entsprechenden Pressemitteilung der EU-Kommission. „Die Diversität der Unternehmen fördert (…) die Innovation und trägt somit zu Europas Wettbewerbsfähigkeit bei. Momentan verliert die EU jährlich rund 89 Millionen Euro im Hinblick auf das BIP, weil Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden.“ 

Reaktionen

Die LGBTIQ+ Intergroup sowie die Verbände International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA-Europe) und International LGBTIQI Youth And Student Organisation (IGLYO) begrüßen es, dass die EU-Kommission die Gleichstellungsstrategie fortsetzt. Sie sind sich eins: Es ist ein starkes Zeichen in Zeiten, in denen die Rechte von LGBTIQ+-Menschen weltweit eingeschränkt werden und in Gefahr sind. Der LGBTIQ+ Intergroup und die Verbände üben jedoch auch Kritik.

„Wir benötigen klare Gesetzesvorschläge, konkrete Folgemaßnahmen zur Studie über Konversionspraktiken und eine sinnvolle Zusammenarbeit mit den LGBTIQ+-Gemeinschaften vor Ort“, so Marc Angel. Auf Social Media bedauert er zudem: „Die Strategie hätte den Schwerpunkt stärker auf intersex und trans Personen legen können: Sie sind innerhalb der Community am meisten auf Schutz angewiesen, da sie am öftesten unter Angriffen leiden.“ ILGA-Europe und IGLYO schließen sich dem an.

Beide Verbände bemängeln zudem, es fehle der Strategie an „klaren Vorgaben, Zeitplänen und Meldeverfahren“, wie ILGYO es zusammenfasst. „Ohne definierte Kriterien und die regelmäßige Evaluierung besteht die Gefahr, dass Zugeständnisse sich als Floskel statt als Aktion entpuppen“, schreibt ILGYO weiter. Eine Ansicht, die Katrin Hugendubel von ILGA-Europe teilt.

Der Verband moniert passend dazu, dass die ungarische Regierung zuletzt Prides in Budapest und Pécs verbot, dafür aber nicht bestraft wurde. Nach Marc Angel warte die Kommission noch ein anderes Urteil ab, bevor es weitere Schritte einleite: Ungarn muss sich derzeit für sein Kinder- und Jugendschutzgesetz, das LGBTIQ+-Inhalte verbannt, vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Für Katrin Hugendubel steht derweil fest: „Kohärenz und Glaubwürdigkeit hängen nicht von Absichtserklärungen ab, sondern von der konsequenten Durchsetzung des EU-Rechts und der EU-Werte.“