Mittwoch12. November 2025

Demaart De Maart

Nach VorfällenDie NATO warnt Russland – doch sie schlägt nicht zurück

Nach Vorfällen / Die NATO warnt Russland – doch sie schlägt nicht zurück
NATO-Generalsekretär Mark Rutte fordert Moskau auf, die „eskalierenden“ Handlungen einzustellen Foto: AFP/John Thys

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Erst Polen, nun Estland: Bei der NATO häufen sich die Krisensitzungen. Anfang September ging es um unbewaffnete russische Drohnen, die in Polen abgestürzt waren. Am Dienstag wurden die Alliierten erneut in der NATO-Zentrale in Brüssel zusammengetrommelt, um über die Verletzung des estnischen Luftraums durch russische Kampfjets zu beraten.

Diesmal sprachen sie Klartext: Die NATO hat „die gefährliche Verletzung des estnischen Luftraums durch Russland am 19. September in aller Schärfe“ verurteilt und Moskau vor weiteren Provokationen gewarnt. Man werde „alle notwendigen“ Mittel einsetzen, um sich zu verteidigen, drohten die Alliierten.

Der Vorfall über der estnischen Ostsee-Küste sei Teil eines Musters russischer Aktionen, die „eskalierend sind, Fehleinschätzungen riskieren und Leben gefährden“, heißt es in einer Erklärung des US-geführten Militärbündnisses. Die NATO sei entschlossen, diese Provokationen abzuwehren und dagegenzuhalten.

Das klingt bedrohlich und ist auch härter formuliert als nach den Zwischenfällen in Polen. Doch auch diesmal, beim Krisentreffen zu Estland, ging es nicht etwa um den NATO-Bündnisfall nach dem berühmten Artikel 5. Es waren vielmehr erneut letztlich unverbindliche Beratungen nach Artikel 4 des NATO-Vertrags.

Dieser Artikel sieht Konsultationen vor, wenn ein Alliierter die Unversehrtheit des Bündnisgebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer Partei bedroht sieht. Er enthält jedoch keine Verpflichtung zu militärischem Beistand. Russland wird gewarnt, doch die NATO schlägt (noch) nicht zurück.

Dabei hatte es im Vorfeld der Brüsseler Beratungen ganz anders geklungen. „Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um zu wiederholen und zu betonen, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten jeden Zentimeter des NATO-Territoriums verteidigen werden“, sagte der neue US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Michael Waltz. Noch deutlicher drohte Polen Außenminister Radoslaw Sikorski. „Wenn ein anderes Flugzeug oder eine andere Rakete absichtlich oder versehentlich ohne Erlaubnis in unseren Luftraum eindringt, abgeschossen wird und die Trümmer auf NATO-Gebiet fallen, kommen Sie bitte nicht hierher, um sich darüber zu beschweren.“

Demgegenüber mahnte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Besonnenheit. Die Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei durchschaubar, so Pistorius. Er wolle den Westen provozieren und sich – im Falle einer Eskalation – „völlig überrascht zeigen und die NATO diskreditieren“.

Provozierend langer Überflug

Tatsächlich hat Russland alle Vorwürfe empört zurückgewiesen. Die fraglichen drei russischen Kampfjets hätten sich an die vorgeschriebene Flugroute gehalten und den estnischen Luftraum nicht verletzt, heißt es in Moskau. Sie seien von Karelien in die russische Enklave Kaliningrad geflogen.

Estland hatte angegeben, drei Flugzeuge vom Typ MIG-31 hätten sich zwölf Minuten über estnischem Gebiet befunden. Allerdings lässt sich aus den von der Regierung veröffentlichten Karten nicht ablesen, wie gravierend der Vorfall war. Die Flugroute verlief gradlinig, die MIGs steuerten nicht auf die Hauptstadt Tallinn zu.

Ganz so ungewöhnlich, wie es die NATO darstellt, ist der Vorfall auch nicht. So weist der estnische Sicherheitsexperte Eerik-Niiles Kross darauf hin, dass es seit 2014 mehr als drei dutzend ähnliche Vorfälle gegeben habe. Diesmal habe der Überflug zwar provozierend lange gedauert – Grund zu Panik habe aber nicht bestanden.

Die russischen Kampfjets wurden schließlich von NATO-Flugzeugen abgedrängt – ganz so, wie es die Einsatzregeln vorsehen. Diese Regeln wurden beim Krisentreffen in Brüssel bekräftigt. Es habe „keine unmittelbare Gefahr“ bestanden, sagte NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Daher sei es auch nicht notwendig gewesen, die russischen Flugzeuge abzuschießen. Allerdings müsse Moskau mit seinen „eskalierenden“ Handlungen aufhören.