Sonntag2. November 2025

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ItalienAutoritäre Versuchung: Regierungschefin Meloni plant Verfassungsänderung

Italien / Autoritäre Versuchung: Regierungschefin Meloni plant Verfassungsänderung
Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni will den italienischen Regierungschef per Direktwahl bestimmen lassen Foto: Ludovic Marin/AFP

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In Italien vollzieht sich am Rande des Weltgeschehens ein kleiner Schritt, der erhebliche Folgen für die Demokratie der drittgrößten Volkswirtschaft in der EU haben dürfte: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni plant eine Verfassungsreform, nach deren Durchsetzung sich in Italien eine autoritäre Regierungsform herausbilden könnte.

Ende vergangener Woche stellte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf einer Pressekonferenz ihre Vorstellung vom Weg in die „Dritte Republik“ vor. Begleitet von ihren beiden Stellvertretern Matteo Salvini (Lega) und Antonio Tajani (Forza Italia) erklärte die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, es sei an der Zeit, ein endgültig stabiles politisches System in Italien zu errichten, das es den gewählten Parteien ermögliche, ohne Intervention von außen zu regieren. Dies erfordere sowohl eine Veränderung des Wahlrechts als auch eine Neudefinierung der Aufgaben des Staatspräsidenten.

Nach Melonis Vorstellungen solle der Präsident künftig den Wahlsieger beauftragen, eine Regierung zu bilden. Um dies parlamentarisch zu untermauern, erhielte die siegende Partei oder Koalition im Abgeordnetenhaus als Bonus eine regierungsfähige Mehrheit von 55 Prozent der Sitze. Brächte der Kandidat im ersten Anlauf kein Kabinett zustande, solle er (oder sie) erneut beauftragt werden. Im Zweifelsfalle habe der Präsident das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.

Mit dem von Reformministerin Maria Elisabetta Casellati eingebrachten Gesetzentwurf würden die Rechte des Präsidenten deutlich beschnitten. So könne er gegen einen Regierungsvorschlag kein Veto mehr einlegen, im Krisenfall auch nicht den Ministerpräsidenten abberufen oder gar eine technische Regierung einsetzen, wie in der Vergangenheit die Kabinette von Mario Monti oder Mario Draghi. Ihm bliebe nur, dem Wahlsieger eine zweite Chance einzuräumen. Im Übrigen beschränke sich die Rolle des Präsidenten darauf zu achten, dass der amtierende Regierungschef seine programmatischen Wahlversprechen als Politik auch umsetzt. „Der Präsident würde nach dem neuen Gesetz nur noch Testamentsvollstrecker einer politischen Bewegung“, konstatiert die Verfassungsrechtlerin Roberta Calvano gegenüber der Tageszeitung Il fatto quotidiano. Die dazu erforderlichen Änderungen der Verfassungsartikel 92 und 94 hätten zur Folge, dass Italien auf absehbare Zeit nur von einer politischen Richtung regiert würde, quasi ohne jegliche Opposition als Regulativ.

Melonis „Stabilität“

Genau dies sei die Absicht des eingebrachten Entwurfs, erklärte Meloni stolz. Die Regierungschefin verwies dabei auf Frankreich und Deutschland. In den Nachbarländern habe es in den vergangenen 20 Jahren nur drei Präsidenten in Paris und zwei Kanzler in Berlin gegeben. In Rom jedoch hätten sich elf Ministerpräsidenten die Klinke in die Hand gegeben.

Zudem, so Meloni, entspreche die Einsetzung einer „technischen“ Regierung oder einer der „nationalen Einheit“ nicht dem Wählerwillen, sondern dem politischen Kalkül des jeweils amtierenden Präsidenten. Ihre Reformen sähen jedenfalls vor, dass sowohl Staatspräsident als auch Regierungschef direkt vom Volk gewählt würden. Das wäre der richtige Aufbruch in die „Dritte Republik“, so Meloni programmatisch.

Absagen von der Opposition

In der Opposition und auch in der Bevölkerung kommen die Ankündigungen der FdI-Chefin mit gemischten Gefühlen an. Italien hatte bittere Erfahrungen mit den 20 Jahren „un uomo al comando“ (ein Mann an der Macht). Man befürchtet, dass wie unter Benito Mussolini alle demokratischen Rechte ausgehebelt werden könnten. Giuseppe Conte, Chef der Bewegung 5 Sterne (M5S), erklärte, die geplante Verfassungsreform sei ein falsches Signal für Stabilität und „höhle das Gleichgewicht der Macht aus“. Die Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito democratico, Elly Schlein, schloss eine Zustimmung ihrer Partei vollständig aus. Ähnlich äußerten sich die anderen Oppositionsvertreter. Azione-Chef Carlo Calenda erinnerte daran, dass vor Jahren bereits Matteo Renzi mit dem Projekt der Direktwahl scheiterte. Auch von den Grünen und den Linken kamen Absagen an den Reformentwurf.

Meloni indes braucht parlamentarische Mehrheiten über ihre Koalition hinaus, will sie Verfassungsänderungen umsetzen. Dies scheint derzeit noch schwierig, zumal der amtierende Staatspräsident Sergio Mattarella nach Umfragen ein hohes Vertrauen von 70 Prozent des Wahlvolks verbuchen kann. Nicht nur deswegen hat die Regierungschefin ihre Reform wohl auf 2029 datiert, dem Ende der zweiten Amtszeit Mattarellas.