Freitag14. November 2025

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Russland„Sie könnten schon heute in Richtung Front“: Wagner-Gruppe rekrutiert neue Söldner

Russland / „Sie könnten schon heute in Richtung Front“: Wagner-Gruppe rekrutiert neue Söldner
Ein unscheinbarer Boxklub in einem Moskauer Hinterhof. Unten im Keller trainieren nachmittags auch Kinder. Von hier aus können sich Freiwillige für die brutale Privatarmee „Wagner“ für den Krieg in der Ukraine anwerben lassen. Foto: Inna Hartwich

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Russlands brutale Privatarmee „Wagner“ des kremltreuen Unternehmers Jewgeni Prigoschin hat Dutzende neue Rekrutierungszentren eröffnet. Sie finden sich in Wohnsiedlungen, an Schulen, in Boxklubs – wie dem Moskauer „Gruscha“.

Bis zum „Gruscha“ (Birne) führen ein eisglatter Weg und ein Dutzend Treppenstufen hinunter. Eine rotbraune Eisentür, ein heller Holzgang, zwei Wasserspender. Hinten in der Halle machen sich 15 Männer warm für ihr Boxtraining am frühen Morgen, ihre Schlappen liegen vor den blauen Matten im Flur. „Gruscha“ ist ein Boxklub nicht weit von Russlands Regierungssitz entfernt. Ein Kloster ist um die Ecke, auf dem Spielplatz gegenüber hacken die Kommunalarbeiter die vereisten Schneeberge weg. Irgendjemand trägt seinen Müll gegenüber dem Klub in die Tonnen. Einer, der sich verspätet hat, huscht mit seiner Umhängetasche durch die Tür zur Umkleide. Bis zu neunmal am Tag wird hier trainiert, die ersten beginnen bereits um 7 Uhr morgens, nachmittags lernen Kinder ab sieben Jahren Thaiboxen und Kickboxen. Der Hinterhof-Klub ist so unscheinbar wie monströs.

Vor wenigen Tagen hat der kremltreue Unternehmer Jewgeni Prigoschin nach eigenen Angaben neue Rekrutierungszentren in 42 russischen Städten ins Leben gerufen. Seine Söldner gelten als die brutalsten Kämpfer in Putins „Spezialoperation“ in der Ukraine, als Schlächter, die ihr Oberchef als Freiwillige auch in Strafkolonien quer durchs Land anwarb. Dazu hatte es Straferlass gegeben und eine Art Freifahrtschein Prigoschins, mit Gefangenen in der Ukraine alles tun zu dürfen. „Foltern, erniedrigen, Kehle durchschneiden – ist mir alles egal“, soll er vor Gefangenen in Tscheljabinsk gesagt und hinzugefügt haben, wer von seinen Kämpfern „falsch abbiege“, der werde an Ort und Stelle erschossen. Nicht wenige von der Gesellschaft Vergessene nutzten den sinnlosen Kampf als Chance, sich irgendwie nützlich zu fühlen und dem eigenen trostlosen Dasein in Russlands streng hierarchisch organisiertem Strafvollzug zu entkommen, der sich auf das stalinistische Lagersystem stützt.

Die „Wagnerowzy“, wie sie in Russland genannt werden, dringen immer weiter ins Zentrum der hart umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut ein, die hohen Verluste spielen für Prigoschin keine Rolle. Hinter den Gefängnismauern hatte es sich allerdings schnell herumgesprochen, wie erbarmungslos die Neu-Wagnerianer verheizt würden. Die Zahl der Freiwilligen aus den Strafkolonien nahm stetig ab. Prigoschin verkündete daraufhin eine „vollständige Einstellung“ seiner Anwerbung unter Russlands Verurteilten – und gleichzeitig eine neue Strategie. Nun sucht er in Wohnsiedlungen, an Schulen gar. Und in Sportklubs wie „Gruscha“.

Die Mindestvoraussetzung: 50 Liegestütze

„Ja, wir vermitteln die künftigen Kämpfer an die richtige Stelle“, sagt die Empfangsdame in Schwarz. Sie reicht ein pinkes Blatt Papier. „Schreiben Sie“, sagt sie mit ihrer weichen Stimme und diktiert eine Telefonnummer. Auskünfte würden nur telefonisch erteilt, mehr könne sie nicht sagen. Wortkarg sind auch die breitschultrigen Männer, die sich ihre gestreiften Bandagen um die Hände wickeln. „Draußen bei den Mülltonnen ist der Empfang viel besser“, ruft die Frau in Schwarz.

Am Telefon meldet sich Igor, auch er geradezu zuvorkommend. Der künftige Kämpfer müsse sich persönlich vorstellen, gleich neben dem Klub könne er sich beweisen, erklärt er. Im Gebäude, in dem auch „Gruscha“ ist, befindet sich die städtische Ausbildungs- und Beratungsstelle für Zivilschutz und Notfälle. Die rot gestrichene Metalltür ist zu, Sprechzeiten seien dienstags und donnerstags, steht auf der Plakette, eine Videokamera hängt am Eck. Igor versichert, er komme auch schon einmal zu Wunschzeiten des „Bewerbers“ vorbei und „begutachte“ ihn. Die Mindestvoraussetzung: 50 Liegestütze. „Wenn Sie bereit sind für die Front und ich mein Okay gebe, könnten Sie heute schon los. Wir besorgen das Zugticket.“ Es werde in die Region Krasnodar gehen – im Süden Russlands –, zum dreiwöchigen Trainingscamp, sagt Igor. Für die Trainingswochen gebe es 40.000 Rubel (das sind umgerechnet knapp 500 Euro), später einen Monatsverdienst von 240.000 Rubel (knapp 3.000 Euro). Für russische Einkommensverhältnisse ist das viel Geld. „Also Pass mitbringen und in guter Verfassung sein“, rät Igor. „Es wird sicher alles gut gehen.“ Unten im Klub hauen die Männer gegen die Boxbirnen.