Freitag14. November 2025

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Staatsvisite in LettlandWenn der Krieg konkret wird: Großherzog Henri besucht Reha-Zentrum für ukrainische Soldaten

Staatsvisite in Lettland / Wenn der Krieg konkret wird: Großherzog Henri besucht Reha-Zentrum für ukrainische Soldaten
Der ukrainische Soldat Ivan Lipynskyi erklärt seine Verletzungen während Großherzog Henri und Außenminister Asselborn gebannt zuhören Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen

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Das nationale Rehabilitationszentrum im lettischen Jurmala empfängt seit Kriegsbeginn in der Ukraine ständig verletzte Soldaten und pflegt sie wieder gesund. Großherzog Henri hat das Zentrum mit der Luxemburger Delegation besucht – und spricht von einem „konkreten und spürbaren Einfluss des Krieges“.

Der Weg von Riga nach Jurmala dauert 50 Minuten mit dem Auto. Aus Riga hinaus führt der Weg nach Westen an den Golf von Riga, vorbei an einem Modeoutlet am Rande der Stadt, durch Industriegebiete und Wohnviertel. Die Menschen, die sich am Mittwochmorgen entlang der Route aufgehalten haben, dürften nicht schlecht gestaunt haben, als eine von drei Polizeiwagen eskortierte Autokolonne sich ihren Weg bahnte. Nicht wenige am Straßenrand hatten das Handy gezückt, um das Spektakel festzuhalten. So imponierend die Autokolonne auch war, so ernst war der Anlass für den Tross: Großherzog Henri hat mit der Luxemburger Delegation das Rehabilitationszentrum Vaivari besucht, das sich seit Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine um ukrainische Soldaten kümmert.

Inese Svarka ist Leiterin der medizinischen Abteilung im Rehabilitationszentrum. Svarka ist eine stämmige Dame mit einer schwarzen Hornbrille und kurzen blonden Haaren. „Derzeit pflegen wir 28 ukrainische Soldaten“, erklärt Svarka den anwesenden Journalisten. Während ihren Ausführungen stockt sie immer wieder – nicht etwa, weil sie im Englischen nach den Wörtern suchen müsste, sondern weil sie gerade beim Thema Ukraine sehr emotional ist. „Entschuldigen Sie mich“, bricht Svarka die Antwort-Frage-Runde mit den anwesenden Journalisten einmal kurz ab, als sie die Geschichte einer Familie aus Mariupol erzählt. Der Vater und die Mutter sind beide ins Rehabilitationszentrum eingeliefert worden. Dem Vater wurde eine Hand und der Unterarm amputiert, der Mutter beide Beine. Ihr siebenjähriges Kind hingegen sei in Mariupol gestorben.

Lettisch-ukrainische Kooperation

Das Reha-Zentrum ist kurz nach der Unabhängigkeit Lettlands vor 30 Jahren eröffnet worden. Hier werden nicht nur Soldaten gepflegt, sondern auch Kinder mit Skoliosen oder Menschen, die aufgrund von Verletzungen im Rollstuhl landen oder eine Prothese benötigen. Der Krieg ist derzeit jedoch allgegenwärtig. Beim Eintritt in einen Therapiesaal fällt ein junger Mann mit Beinprothese auf, der Tischtennis spielt. Auf zwei Pritschen liegen zwei junge Männer, die von Physiotherapeuten behandelt werden. „130 bis 140 Soldaten haben wir mittlerweile seit Kriegsbeginn hier behandelt“, erklärt Svarka. Seit März 2022 habe es einen ständigen Zustrom von Soldaten gegeben. Soldaten konnten so bereits früh nach Lettland gebracht werden, weil die Kooperation des Rehabilitationszentrums auf das Jahr 2015 zurückgeht. „Wir haben schon mit der Ukraine zusammengearbeitet, als die Krim annektiert wurde“, berichtet Svarka.

Ergotherapeutin Zoja Osipova, Ärztin Jūlija Čerešņeva, Großherzog Jean und Außenminiser Asselborn mit zwei ukrainischen Kriegveteranen
Ergotherapeutin Zoja Osipova, Ärztin Jūlija Čerešņeva, Großherzog Jean und Außenminiser Asselborn mit zwei ukrainischen Kriegveteranen Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen

Ukrainische Soldaten, die ins Zentrum eingeliefert werden, haben einen langen Leidensweg hinter sich – doch auch ihre weitere Genesung dürfte mit weiteren Schwierigkeiten verbunden sein. „Wir nehmen die Soldaten auf, die vorerst keine weiteren chirurgischen Eingriffe benötigen oder sich von einem Eingriff erholen sollen. Die Behandlungen sind kompliziert, auch weil die Kommunikation mit den ukrainischen Soldaten nicht immer reibungslos verläuft. Wenn die Soldaten Englisch sprechen, haben wir kein Problem“, sagt Svarka. Schwierig werde es hingegen, wenn diese nur Ukrainisch oder Russisch können. „Es gibt schon einige, die sich weigern, Russisch zu sprechen, und nicht auf diesem Weg mit uns kommunizieren wollen.“ Das würde sich aber meistens nach einigen Tagen regeln.

Die Verletzungen, mit denen die Soldaten eingeliefert werden, sind verschieden. Bei amputierten Armen oder Beinen wird die fällige Prothese im Rehabilitationszentrum selbst gefertigt. Neben physischen Traumata hätten die Patienten aber auch oft psychologische Probleme. „Wir sind nicht auf psychologische Traumata spezialisiert, aber jeder, der hier eintrifft, ist natürlich vorbelastet und zeigt Symptome einer post-traumatischen Belastungsstörung“, erklärt die Leiterin und spricht von „Poly-Traumata“. Deswegen steht auch ein Team aus Ärzten und Psychiatern bereit, um den Kriegsveteranen bei Bedarf zu helfen.

Großherzog Henri spricht auf einem Pressebriefing am Ende des Tages von „beeindruckenden“ Anstrengungen der lettischen Ärzte und Therapeuten. Er habe mit zwei Veteranen sprechen können. „Der Einfluss des Krieges in der Ukraine ist viel konkreter und spürbarer als in Luxemburg“, sagt Großherzog Henri. „Ich habe ihnen für ihren Einsatz gedankt.“ Sie würden den Kampf für Demokratie und Europa führen, so das Luxemburger Staatsoberhaupt weiter. „Einer der beiden hat sogar Familie in Luxemburg.“

Der Krieg und seine Veteranen

Ivan Lipynskyi hat Familie in Luxemburg – und hat sich nach dem Einmarsch der Russen gegen die Flucht und für den Eintritt in die ukrainische Armee entschieden
Ivan Lipynskyi hat Familie in Luxemburg – und hat sich nach dem Einmarsch der Russen gegen die Flucht und für den Eintritt in die ukrainische Armee entschieden Foto: Sidney Wiltgen

Der Soldat, der auch Familie in Luxemburg hat, heißt Ivan Lipynskyi. Ivan ist einer der 28 ukrainischen Soldaten, die derzeit in Lettland behandelt werden. Er tritt in Begleitung einer Pflegekraft in den Therapiesaal, trägt Shorts, Sportschuhe und ein graues T-Shirt, auf dessen Brustbereich groß die ukrainische Flagge prangert. Zum Gehen benötigt er noch eine Krücke und stützt sich auf diese auch beim Stehen ab. Kurz nach Kriegsbeginn trat er als Freiwilliger der Armee bei, um sein Land zu verteidigen. „Ich trat im März der Armee bei, um meine Familie zu schützen, bekam ein Basistraining und wurde im August ins Kriegsgebiet geschickt“, berichtet Lipynskyi. Dort wurde er verletzt – wie, verriet er nicht, nur wo. „An meiner linken Hand und am Bein“, sagt der erst 31 Jahre junge Kriegsveteran. Narben zeugen von der Verletzung und den anschließenden Operationen, die er über sich ergehen lassen musste, um die Funktion seiner linken Hand zu erhalten. An beiden Beinen stechen zwei Brandmarken hervor, die der junge Mann jedoch als nicht erwähnenswert betrachtet. Nur so viel: „Im Januar habe ich wieder meine ersten Schritte gemacht.“ Das sei sehr aufregend gewesen. Der Cousin seiner Frau kämpfe derzeit in Bachmut. „Für die Ukraine.“

Noch in der Ukraine wurde Lipynskyi von lettischen Ärzten operiert, ehe er nach Lettland ins Rehabilitationszentrum verlegt wurde. Die Kommunikation sei kein Problem, er spreche ja Englisch. „Ich kann auch Russisch sprechen, möchte das aber nicht“, sagt der Soldat. Im Therapiezentrum verständigt er sich auf Englisch. „Das hilft mir, dass ich mich besser fühle.“ Wann er in die Ukraine zurückkehren wird, ist nicht bekannt. Ukrainische Soldaten, die im Ausland verweilen, benötigen eine Genehmigung von der Armee. „Wir müssen der Armee Bescheid geben, wann ein Soldat wieder zurückkehren kann“, erklärt Svarka. Lypinskyi, der aus der Gegend von Kiew kommt, möchte zurück: „Meine ganze Familie lebt dort.“ Dort, wo seine Familie wohne, sei es „nicht so gefährlich“. Wie er dann der Armee dienen wird, weiß er noch nicht: „Ich weiß nicht, ob ich wieder in ein Kriegsgebiet geschickt werde“, sagt der junge Soldat. „Gut möglich, dass ich für Büroarbeit an einem etwas sichereren Ort abgestellt werde.“