Riff-Retter im Kampf gegen Korallen-Sterben

Riff-Retter im Kampf gegen Korallen-Sterben

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Überfischung, Agrarwirtschaft und Klimawandel sind echte Stressfaktoren für Korallenriffe. Ein Meeresbiologe auf Fidschi will Riffe ohne viel Geld aufpäppeln - und setzt dabei auch auf Touristen.

Wie ein Krankenpfleger kümmert sich Michael Wong um seine «Babys». «Komm Kleiner, warum gefällt es dir denn hier nicht?» murmelt er. Der 42-Jährige nimmt seinen Zögling behutsam in die Hand und sammelt ein paar Schnecken aus den Verästelungen. Michaels Brut sind Korallen. Der Animateur in einer Hotelanlage auf der Insel Malolo in Fidschi hat einen Korallengarten und kümmert sich mit Hingabe um «die Kleinen».

Ein Dornenkronenseestern, aufgenommen am 15.07.2012 vor der Insel Malolo in Fidschi. Dornenkronen sind gefräßige Korallenfresser und damit eine ernste Bedrohung für Korallenriffe. (dpa)

Er hat Steine unter den Anlegesteg gehievt und darauf verschiedene Korallenarten gesetzt. In der einst öden Sandwüste – keine 30 Meter vom Strand entfernt – herrscht jetzt buntes Treiben. Es tummeln sich Riff-Fische in allen Schattierungen: kleine glitzernde Hornhechte, gestreifte Segelflosser, funkelnde Papageienfische, Grüne Schwalbenschwänzchen und kleine Riffbarsche jagen sich.

Kugelgebilde frisst Algen

Bei einem stacheligen Kugelgebilde kennt Wong allerdings kein Pardon. Er taucht mit dickem Handschuh in das brusttiefe Wasser und balanciert einen Dornenkronenseestern auf einem Stock an die Oberfläche. „Der frisst meine Korallen“, sagt er und wirft ihn zum Vertrocknen auf den Steg.

Dann legt er Schnorchel und Taucherbrille ab und setzt sich in die Sonne. „Ich bin mit sieben Jahren hier fast ertrunken“, erzählt der Fidschianer, «Ich war praktisch schon tot, aber die Leute hier am Strand haben nicht aufgegeben und mich wiederbelebt. Ich bin der Insel auf ewig verbunden. Die Riffe zu restaurieren und die Korallen hier wieder heimisch zu machen ist mein Dankeschön.“

Älteste Lebensräume der Welt

Korallenriffe gehören zu den ältesten Lebensräumen der Welt. Sie werden wegen ihrer Vielfalt auch Regenwälder der Meere genannt. 500 Millionen Menschen weltweit sind auf Korallenriffe angewiesen, schätzt das US-Forschungsinstitut NOAA: weil die Riffe die Küsten schützen, weil sie Wiege vieler Fischarten sind, weil sie Touristen anziehen. Korallen sind festsitzende Nesseltiere, die in Symbiose mit Algen und Polypen leben. Sie ernähren sich von Plankton und anderen Nährstoffen. Die Polypen in den Steinkorallen sorgen mit ihrer Kalkausscheidung für das Wachstum der Riffe.

Als der Meeresforscher Austin Bowden-Kerby (57) hier in Malolo nach Helfern für die Korallenrettung suchte, war Wong sofort dabei. Der Amerikaner lebt seit mehr als 20 Jahren auf den Fidschi-Inseln und ist einer der versiertesten Korallenkenner. Er beobachtet das Sterben der Korallenriffe mit Schrecken.

„Menschliche Intervention“

Der Hauptgrund ist „menschliche Intervention“, wie das ARC-Institut für Korallenforschung im australischen Queensland berichtet. Überfischung, zerstörerische Fangmethoden und die Agrarwirtschaft setzten den Korallen zu. „Jetzt kommt eine weitere globale Bedrohung ihres langfristigen Überlebens hinzu: der Treibhauseffekt.“ Dessen schlimmste Folgen für die Korallenriffe seien die Meereserwärmung und die Veränderung der Wasserchemie.

„Korallenriffe sind eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt“, sagt Bowden-Kerby. „Es basiert darauf, dass die Arten zusammenarbeiten. Wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät, reagieren Korallen sehr sensibel.“ Der Meeresforscher arbeitet langem an Ideen zur Korallenriffrettung. Es gibt viele Ansätze, doch die meisten sind teuer und aufwendig. Bowden-Kerby gilt aber als Pionier der einfachen Lösungen: Methoden, die Küstenanwohner selbst mit wenigen Mitteln umsetzen können.

Harmonie im Riff

An einem gesunden Riff herrscht Harmonie: Muscheln, Plankton, Korallen, kleine und große Fische, Tintenfische – sogar Dornenkronen gehören dazu. Deren Lieblingsspeise seien die schnell wachsenden Korallen. Die Dornenkronen sorgten auch dafür, dass die nicht überhandnehmen, meint Bowden-Kerby. Aber das Gleichgewicht ist durch die verschiedenen Stressfaktoren gestört. Und die gefräßigen Dornenkronen könnten einem geschwächten Korallenriff sogar den Todesstoß versetzen.

„Keine Riffe – keine Fische – keine Nahrung für die Dorfbewohner“, fasst Wong die Folgen zusammen. Korallenriffe sichern aber nicht nur die Fischversorgung der Anwohner. «Ohne Korallen keine Touristen, die zum Schnorcheln und Tauchen kommen», sagt Wong. Und: Ohne Riffe keine Papageienfische, die tote Korallen zermalmen und mit ihren Ausscheidungen das produzieren, was Urlauber besonders schätzen: Sand. «Eine Meile Riff produziert drei Tonnen Sand am Tag», sagt Bowden-Kerby.

Riff wurde aufgeforstet

Sein Konzept zur Korallen- und Riff-Rettung beginnt mit einem Fischfangverbot. „In einem Fall haben Dörfer hier in Fidschi eine Lagune für den Fischfang gesperrt. Wir haben dort das Riff aufgeforstet. Nach zwei Jahren waren die Korallen groß, die Riff-Fische da, und plötzlich bekam die Lagune wieder einen richtigen Sandstrand“, sagt Bowden-Kerby. Auch in einem breiten Küstenstreifen vor Malolo ist das Fischen inzwischen verboten.

Außerdem installiert der Meeresbiologe Gitterständer im Meer. Mit Angelfaden an einer speziellen Konstruktion sind Stücke abgebrochener Korallen festgebunden. Manche Korallen hängen auch lose am Gitter. So sind sie in der ersten Wachstumsphase für Schnecken, Dornenkronen und anderes Getier unerreichbar. „Eine Dornenkrone kann am Tag eine faustgroße Koralle fressen,“ sagt Bowden-Kerby.

Kugelige Fischhäuser

Wong hat mit Freunden aus Stein und Zement kugelige Fischhäuser gebaut, 20 bis 30 Kilogramm schwer. Unter Bowden-Kerbys Anleitung hieven sie die Häuser an diesem Sonnentag erst in ein Boot und werfen sie dann mit lautem Platsch 30, 40 Meter vom Strand entfernt ins Wasser. „Darin können sich Fische verstecken“, sagt Bowden-Kerby. Auf den Dächern platziert er behutsam vorgezüchtete Korallen.

Je nach Standort braucht das Riff auch Mangroven in Strandnähe. Das sind Büsche und Bäume, die im Salzwasser überleben und ein dichtes, teils überirdisches Wurzelwerk haben. Sie schützen einerseits bei Stürmen das Land vor dem Meer, andererseits das Meer vor dem Land: Wenn nach heftigen Regenfällen zu viel gedüngte Erde von Plantagen ins Meer gespült wird, bringt das den Kreislauf durcheinander. Die Nährstoffe können dazu führen, dass viel mehr Dornenkronenbabys überleben als sonst – mit schlimmen Folgen für die Korallen.

Touristen-Attraktion

Austin Bowden-Kerby ist überzeugt, dass er auch die Tourismus- Industrie ins Boot holen kann. Ein Korallengarten mit selbst gebauten Fischhäusern als Attraktion – wie das funktioniert, hat er mit einem Hotel auf Fidschis Hauptinsel Viti Levu vorgemacht. In einer Hütte am Strand hat er ein Korallenzentrum aufgebaut – mit künstlichem Riff, Korallen zum Anfassen und vielen Informationen zu Meeren und Riffen. Die Animateure machen hier Kinderprogramm, und die begeisterten Kinder kommen mit ihren Eltern und bauen für 50 Dollar eigene Fischhäuser. «Das Hotel kann später Unterwasserfotos schicken, mit den Korallen, die darauf wachsen», meint Bowden-Kerby.

Ähnliches plant Wong. Er will mit dem Segen des Hotelbesitzers auf der Insel Malolo demnächst sein Animationsprogramm ganz auf Korallen- und Riffschutz abstellen – und weiter seinen Garten pflegen. Vor ein paar Tagen sah er auf der anderen Inselseite in flachem Wasser ein trostloses Korallenüberbleibsel. „Ich habe ihm gleich gesagt: ‚Mein Lieber, hier überlebst du nicht, das Wasser ist zu warm'“, berichtet Wong lachend. «Komm, ich nehme dich mit in meinen Garten.“

Problemkinder

Dort gibt es schon einige Problemkinder. „Diese hier zum Beispiel. Jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, streichle ich sie und sage ‚Nun wachse doch endlich‘.“ Wong experimentiert: Korallen, die in dem brusttiefen Wasser nicht gedeihen, platziert er tiefer, dahin, wo es kälter ist.

„Mit den Korallengärten etablieren wir kleine, gesunde Wachstumsnischen, um die Korallendiversität zu erhalten – die Grundprobleme, die die Riffe unter Stress setzen, lösen wir damit natürlich nicht“, räumt Bowden-Kerby ein.