Thyssenkrupp in der Krise

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Der Thyssenkrupp-Konzern trennt sich vom Stahl. Der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger bringt das Vorhaben nur unter Schwierigkeiten durch und tritt von seinem Amt zurück. Im Aufsichtsrat herrscht Uneinigkeit über den zukünftigen Weg. Steht das Essener Unternehmen wieder einmal vor der Existenzfrage?

Heinrich Hiesinger kam 2011 von Siemens in das Ruhrgebiet. Thyssenkrupp war in einer desolaten Situation, wies Schulden in Milliardenhöhe aus und drohte im finanziellen Chaos zu versinken. „Ohne Heinrich Hiesinger würde es Thyssenkrupp nicht mehr geben“, würdigte der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner die Tätigkeit des  Vorstandsvorsitzenden, als der in einem Brief um Auflösung seines Vertrages bat. Da war es zu spät für diese Erkenntnis. Möglicherweise hätte Lehner auch formulieren können, dass ohne Hiesinger das Unternehmen (wieder einmal) in Gefahr schwebt.

Thyssenkrupp ist die letzte Bastion der einst so mächtigen Ruhkonzerne gewesen, die in der Hochzeit von Kohle und Stahl entstanden waren. Unternehmen wie Hoesch, Krupp und Thyssen prägten das Ruhrgebiet mit den „Stahlbaronen“ wie Alfried Krupp und Fritz Thyssen. Mitte vergangenen Jahrhunderts aber war es damit weitgehend vorbei. Die Kohlekrise, gefolgt von der Stahlkrise, beeinflusste die industrielle Entwicklung erheblich. Männer wie Gerhard Cromme und Berthold Beitz prägten eine Zeit der Werksschließungen und der Abschmelzung von Arbeitskräften. Krupp schloss sich mit Hoesch zusammen, Hoesch verschwand von der Bildfläche. Thyssen fusionierte mit Krupp und verlegte den Firmensitz in die ehemalige Kruppstadt Essen. Werksschließungen gab es in Rheinhausen, wo Gerhard Cromme mit Eiern beworfen wurde, als er das Aus des mythischen Stahlwerks Rheinhausen verkündete. Andere Stahlwerke oder Walzwerke wurden auch an ArcelorMittal verkauft.

Stahl ist zyklisches Geschäft. Ein Konzern wie ArcelorMittal kann intern Zyklen dadurch abfedern, dass sie immer nur regional auftauchen. Andere Regionen, in denen es gut läuft, können dann ausgleichen. Allerdings ist das durch die Globalisierung schwieriger geworden. Derzeit vagabundieren etwa 400 Millionen Stahl durch die Welt, für die, obwohl im eigenen Land produziert, in China kein Bedarf besteht.

Hiesinger, der 2011 zu Thyssenkrupp vom Münchner Siemens-Konzern kam, erkannte, dass die Gefahr für den Essener Konzern genau aus diesem Bereich stammte. Seine Vorgänger hatten ein Stahlwerk in Brasilien gebaut und – ohne über ein geschäftliches Hinterland zu verfügen – das auch heute noch modernste Walzwerk der Welt an der Atlantikküste im Tiefseehafen der Stadt Mobile in Alabama errichtet. Die Idee: In Brasilien gefertigte Vorprodukte sollten in Alabama profitabel gewalzt werden. Es wäre eine Kopie des Geschäftsmodells von ArcelorMittal gewesen. Lakshmi Mittal hatte Thyssenkrupp davor gewarnt. Das damalige Management sah darin aber eher eine Finte und setzte dann Milliarden in den Sand.

Hiesinger trennte sich von dem Stahlwerk in Brasilien und verkaufte das Walzwerk in Alabama an ArcelorMittal. „Wir hätten es nicht gebaut“, sagte damals ein ArcelorMittal-Mitarbeiter in Mobile gegenüber dem Tageblatt. Gekauft hatten die Luxemburger es gleichwohl, um es nicht der Konkurrenz zu überlassen.

Zwei Jahre lang verhandelte Hiesinger mit dem indischen Mischkonzern Tata über die Zukunft der Thyssenkrupp-Stahlsparte. Die Inder ihrerseits hatten die Lust am Stahl in Europa verloren, wo sie keinen Gewinn mehr machten. Hiesinger seinerseits wollte den Essener Konzern von dem zyklischen Bereich befreien. Sein Ziel: Thyssenkrupp sollte ein Technologiekonzern mit nur noch drei wesentlichen Sparten werden: Anlagenbau, Aufzüge, Handel.

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten in der vergangenen Woche Thyssenkrupp und Tata die Verträge für ein Joint Venture, in das beide Konzerne ihre Stahlsparten einbringen. Hiesinger hatte es in den Besprechungen auf Konsens angelegt. Er war den Gewerkschaften mit einer mehrjährigen Sicherung der Arbeitsplätze weit entgegengekommen. Aus einem kategorischen Nein war daraus bei einer Abstimmung Zustimmung in allen Werken geworden.

Was zu Zufriedenheit hätte werden können, ließ einen lange schwelenden Streit im Aufsichtsrat des Essener Konzerns aufflammen. Hier nämlich hält die Thyssenkrupp-Stiftung mit 21 Prozent einen wesentlichen Anteil. Andererseits stehen der Stiftung der Finanzinvestor Cevian Capital mit 18 Prozent oder Warburg Pincus gegenüber. Und dann gibt es noch einen „Krawall“-Aktionär mit dem Hedgefonds Elliott, der knapp drei Prozent hält. Im Aufsichtsrat residieren illustre Namen wie der ehemalige Telekom-Chef René Obermann und der ehemalige Henkel-Vorstand Lothar Steinebach. Der zweitgrößte Aktionär, Cevian, baute öffentlichen Druck zum schnellen Umbau des Konzerns auf. Cevian-Gründungspartner Lars Förberg „schoss“ gegen Hiesinger, der ihm Thyssenkrupp zu langsam umbaute. Förberg hatte das Ziel, die Aktie des Ruhrkonzerns auf einen Kurs von 50 Euro zu puschen. Die Aktion ging gründlich daneben. Der Kurs der Aktie lag zum Wochenende bei 22 Euro.

Die Interessen dieser Gruppen sind völlig gegensätzlich. Die Stiftung ist laut Satzung zur „Wahrung der Einheit des Unternehmens“ verpflichtet und bezieht ihre Mittel aus den Dividenden. Hedgefonds sind „Heuschrecken“, die mit nachhaltigen Erträgen eines Unternehmens und mit kontinuierlichen Wertsteigerungen wenig zu tun haben. Im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat stehen sich also die beiden Gruppen mit unterschiedlichen Strategien gegenüber: einerseits das breit gefächerte Industrieunternehmen, andererseits ein Unternehmen mit einem Zuschnitt, dessen Realisierungen von raschen Wertsteigerungen die Aktionäre zwar befriedigt, sich durch die Realisierung aber selber auflöst.

Hiesinger wurde vorgeworfen, den Gewerkschaften mit vierjährigen Job-Garantien zu weit entgegengekommen zu sein. Weiter sei das Gewicht der konzerneigenen Stahlsparte unterbewertet worden. Durchsetzen konnte er sich im Aufsichtsrat letztlich nur mithilfe der „neutralen“ Aktionäre. Carola Gräfin von Schmettow, Vorstandssprecherin von HSBC Trinkaus, Ingrid Hengster, Vorstandsmitglied der KfW-Bank, Carsten Spohr, Lufthansa-Chef, Hans-Peter Keitel, Ex-Chef des Baukonzerns Hochtief, oder auch Professor Bernhard Pellens bildeten die Fraktion, dass man in den alten Industriekonzernen des Ruhrgebietes, die sich in einer tiefgreifenden Modernisierung befinden, nach dem Motto „Eile mit Weile“ verfahren muss.

In dieser Woche wollte Hiesinger dem Aufsichtsrat ein weiteres Paket zum Umbau des Konzerns vorlegen. Stattdessen erreichte den Aufsichtsrat der Wunsch nach Auflösung des Vertrages. Nicht auszuschließen, dass Hiesinger mit der Diskussion um dieses Paket mit weiterem Vertrauensverlust hätte rechnen müssen und seine Person beschädigt worden wäre. Schließlich hatte er sich von Beginn an beim Umbau des Konzerns zwischen den Fronten befunden. „Ein gemeinsames Verständnis von Vorstand und Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung des Unternehmens ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensführung“, schrieb Hiesinger in seinem Brief mit der Bitte um Auflösung seines Vertrages. Im Klartext: Dies war nicht mehr gegeben. Für den Aufsichtsrat ist dies eine kalte Dusche, mit der er nicht wirklich gerechnet hatte. Der Bitte um Auflösung des Vertrages musste er nachkommen. Einen Kandidaten für die Nachfolge aber zauberte er nicht aus dem Hut. Die drei verbliebenen Mitglieder des Vorstandes, Guido Kerkhoff, Oliver Burkhard und Donatus Kaufmann, sollen das Unternehmen nun gemeinsam führen, bis der Aufsichtsrat einen neuen Unternehmenschef gefunden hat. Das dürfte Monate dauern. Welcher Manager von Rang will sich schon in die Situation begeben, in der sich Hiesinger befand?

Das ist eine der schlechtesten Lösungen in der Führung von Konzernen. Mit ihr wird deutlich, dass das Unternehmen nun keine wirkliche Führung mehr hat und dass es auch keinen Kurs hat, weil der Aufsichtsrat nicht weiß, welchen Kurs er einem nicht vorhandenen Kapitän vorgeben soll. Denn die drei Vorstandsmitglieder können das Schiff zwar steuern. Aber wohin?


Die Ruhrgebietskonzerne Thyssen und Krupp haben eine besondere Beziehung zu Lothringen. Die Minette-Erze waren es, die den Familienkonzern Krupp nach Luxemburg und Lothringen brachten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Stahl dort „gekocht“, wo es Erz gab. Der Grenzraum Luxemburg/Lothringen war solch ein Raum. Krupp sicherte sich Rechte für den Erzabbau und gründete die Rombacher Hütte, eine der wichtigsten Stahlproduktionen für den Konzern. Fritz Thyssen hinkte immer nach. Aber auch er suchte sich Abbaurechte. Nur zog er immer den Kürzeren und musste sich mit Abbaugebieten zufriedengeben, die einen geringeren Erzgehalt aufwiesen. Während Krupp in Lothringen heutzutage nicht mehr vertreten ist, findet sich der Konzern mit Thyssenkrupp im Raum Hayange/Florange wieder. Thyssen hatte hier seine Automotive-Bereiche untergebracht, produziert unter anderem Lenksäulen. Die Zukunft dieser Bereiche ist offen, weil nicht sicher ist, ob der Automotive-Bereich noch zu einem Zukunftskonzern gehören wird oder ob er verkauft wird.