„Wir müssen schnell machen“

„Wir müssen schnell machen“
(dpa/Michel Euler)

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Staatspräsident Emmanuel Macron verschwendet keine Zeit. Er geht die großen sozialen Probleme des Landes ohne Verzögerung an. Denn er hat sie nicht, die Zeit.

Den Franzosen hat der neue Staatspräsident versprochen, den Arbeitsmarkt zu verändern. Der deutschen Bundeskanzlerin hat er versprochen, Reformen in Frankreich zu verwirklichen. In einem Land, in dem Reformen nur eine theoretische Größe sind, sind das große Versprechen.

Am Dienstag ging Staatspräsident Macron zur Sache. Den ganzen Tag über empfing er die Chefs der Gewerkschaften und die Chefs der Arbeitsgeberverbände. Jeder wurde einzeln empfangen, hatte sein persönliches Gespräch mit dem Präsidenten.

Heute werden Premierminister Edouard Philippe und Arbeits- und Sozialministerin Muriel Penicaud mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern reden. Das Ziel: Bis Ende des Jahres soll das Arbeitsgesetz liberalisiert und auf den Kopf gestellt werden. Mit der Arbeits- und Sozialministerin treffen die Gewerkschaften nicht auf eine Berufspolitikerin. Muriel Pénicaud kommt aus der „Zivilgesellschaft“. Sie war Vorstandsmitglied bei Dassault Systems und im Danone-Konzern. Letzteres hat unter ihrer Leitung ein für Frankreich vorbildliches Mitbestimmungssystem eingeführt. Die Gewerkschaften treffen in den am Mittwoch beginnenden Gesprächen auf eine Fachfrau, die in den betreffenden Bereichen genau weiß, wovon sie redet.

Mini-Reform

Im vergangenen Jahr hatte Arbeitsministerin El Khomri versucht, ein neues Arbeitsrecht einzuführen, und musste am Ende mit der Vertrauensfrage arbeiten, um eine Mini-Reform durchzusetzen. Diese soziale Brechstange will Staatspräsident Macron nun nicht benutzen. Er setzt auf seine Erklär- und Überredungskünste, lässt aber gleichzeitig keinen Zweifel daran, dass er sich per Dekret dafür einsetzen wird, dass sich keine Mehrheit und keine Einigung mit den Sozialpartnern erzielen lassen.

Zur Disposition steht das französische System überhaupt. Macron will weg von den großen, nationalen Auseinandersetzungen der verschiedenen Wirtschaftszweige, die dem Land nichts gebracht haben. Er will die Betriebe in den Mittelpunkt stellen. Im Unternehmen soll über Arbeitszeiten entschieden werden, über soziale Vorteile, über die Bezahlung von Überstunden. Arbeitnehmervertretungen und Firmenleitungen sollen diskutieren und Lösungen für das Unternehmen finden. In einem Land, in dem zentrale Entscheidungen immer für den gesamten Staat getroffen werden, ist dieser Flickenteppich eine revolutionäre Vorstellung. Für die Gewerkschaften ist das fast unannehmbar. Ihre nationale Gewalt wird damit gebrochen. Mit dieser nationalen Gewalt, die in Wirklichkeit zwischen sieben und elf Prozent der Arbeitnehmer darstellt, legen sie wie im vergangenen Jahr bei den Auseinandersetzungen um ein neues Arbeitsrecht das Land lahm.

Präsident Macron will überdies die Arbeitsgerichtsbarkeit reformieren, sie auch schneller machen. Derzeit erhalten Arbeitnehmer möglicherweise erst nach einem oder zwei Jahren Recht. Abfindungen sollen pauschalisiert werden. Auch das lehnen die Gewerkschaften ab.

Der Führer der Gewerkschaft CGT, Martinez, hat im Vorfeld bereits seine Strategie angedeutet. Man müsse ausführlich diskutieren, sagte er. Auch die rechte Opposition hat bereits angedeutet, dass sie unbedingt im Parlament ausführlich diskutieren wolle. Macron weiß, was das heißt: Als er als Wirtschaftsminister sein Liberalisierungsgesetz für die französische Wirtschaft im Parlament einbrachte, musste es am Ende per Vertrauensfrage beschlossen werden. Nach 200 Stunden Diskussion in der Nationalversammlung ließen ihn der linke Flügel der Sozialisten hängen und die Rechte im Parlament, die mit dem Gesetz durchaus einverstanden war, schaute lachend zu, wie er von den eigenen Leuten demontiert wurde. Der Druck, den er jetzt macht, soll verhindern, dass er mit seinem ersten wichtigen Reformgesetz gleich wieder in eine Hängepartie gerät.

Arbeitslosenversicherung reformieren

Bei der Arbeitsgesetzgebung soll es in diesem Jahr nicht bleiben. Macron will auch die Arbeitslosenversicherung reformieren und verstaatlichen. Die Arbeitslosenversicherung ist eine heilige Kuh in der fünften Republik. Der Vater der Republik, General Charles de Gaulle, hatte sie in die Hände der Sozialpartner gegeben und das als gemeinsame Aufgabe der Gewerkschaften und der Arbeitgeber gesehen. Daraus ist ein fürstliches System für Arbeitslose geworden, die sich bei Arbeitslosigkeit zwei Jahre, im Spezialfall auch länger, geborgen sehen können. Das System reizt nicht zur Arbeitssuche an. Es hat seit seinem Bestehen ein Defizit von 37 Milliarden Euro angehäuft. Macron hat angekündigt, dass er das System in staatliche Hand übernehmen will, weil „der Staat es finanziell garantiert“.

Die Übernahme in staatliche Hand ist aber nötig, weil der Präsident den Umgang mit Arbeitslosen verändern will. Er will sie schon bei Vorstellung nach der Kündigung mit ihren Fähigkeiten evaluieren lassen und feststellen, wo ihre Talente liegen. Macron will in einem zweiten Schritt Arbeitssuchende ausbilden, nötigenfalls in einen ganz neuen Beruf bringen. Und in einem dritten Schritt sollen ihnen dann zwei Angebote gemacht werden. Wer beide ablehnt, erhält kein Arbeitslosengeld mehr. Es ist wie das deutsche System. Das kommt nicht von ungefähr. Macron hat in den vergangenen Jahren viel Zeit mit dem deutschen Sozialdemokraten Sigmar Gabriel verbracht. Französische Arbeitsmarkt-Experten und französische Mitarbeiter der Arbeitsagentur sind häufig in Deutschland, um dort das System zu studieren. Macron muss, wenn er das System reformieren will, die Arbeitsagentur aus der Hand der Sozialpartner befreien, um seine Vorstellungen verwirklichen zu können.

Rentensystem wie in Deutschland

Bis Ende des Jahres will der neue französische Staatspräsident auch das wohl dauerhafteste Reformprojekt angehen. Er will das Rentensystem reformieren und es auf ein Punktesystem umstellen – so, wie es ebenfalls in Deutschland praktiziert wird. Die Umstellung ist ein Projekt, das über zehn Jahre laufen wird, kündigte Macron an. Wer im jetzigen System Rentner wird, bleibt im jetzigen System. Wer neu in das Arbeitsleben eintritt, geht in das Punktesystem. Hinzu kommt, dass alle 37 verschiedenen Rentensysteme in diesem Punktesystem vereinheitlicht werden sollen.

Macron weiß, dass er jetzt handeln muss. Denn jedes Vorhaben wird sich erst im Laufe seiner fünfjährigen Amtszeit wirklich entwickeln und Erfolge zeigen. Was er in diesem Jahr im Sozialbereich nicht schafft, bringt er nicht mehr voll zustande. Deswegen gibt es einen geflügelten Satz, den man von allen Ministern hört: „Wir müssen schnell machen.“