In Russland platzen die Hoffnungen

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Russlands Automarkt war eine der größten Hoffnungen der Branche. Doch nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt zeigt sich: Die Prognosen waren überzogen. Für einige Hersteller könnte es ein teures Abenteuer werden.

Vier Millionen Neuwagen jährlich, größter Markt Europas, blendende Geschäfte – die Fantasien der Autowelt kannten beim Thema Russland lange keine Grenzen. Doch die vermeintlich simple Rechnung, dass der weltgrößte Flächenstaat mit mehr als 140 Millionen Menschen zwingend ein neuer Motor der PS-Branche werden würde, ist geplatzt. Heute herrscht Ernüchterung – Russland ist vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind geworden.

Um ein Viertel brachen die Verkaufszahlen im Juli und August ein, Volkswagen und Opel zogen schon die Notbremse und drosselten ihre Produktion in Russland. Fords Europageschäft kostet der Einbruch sogar die fest eingeplante Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Denn 2015 könnte es laut einer Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger noch weiter runtergehen. Im schlimmsten Fall würden die Verkaufszahlen 2020 lediglich das Niveau von 2013 erreichen – also rund 2,8 Millionen Autos. Die Branche hatte auf 4 Millionen gesetzt. Wie konnte sie so weit danebenliegen?

„Wunsch Vater des Gedanken“

„Da war bei vielen Herstellern der Wunsch Vater des Gedanken“, sagt Uwe Kumm, Russland-Experte bei Roland Berger. „Die Leistung der russischen Wirtschaft wurde falsch eingeschätzt.“ Denn es ist keineswegs nur der Konflikt mit der Ukraine, der auf die Industrie durchschlägt. Russlands Abhängigkeit von der Öl- und Gasproduktion macht die Wirtschaft anfällig für Schwankungen bei Rohstoff- und Energiepreisen. Es fehlt eine starke Industrie mit hoher Wertschöpfung – wie es der Autobau sein könnte.

So lag das Wachstum zuletzt brach, der Rubel verlor an Wert und ließ die Preise für importierte Autos steigen. Obendrauf kommt nun die Ukraine-Krise: „Die Effekte, die wir seit einigen Monaten sehen, sind schon Folgen des Konflikts“, sagt Jürgen Reers, zusammen mit Kumm Co-Autor der aktuellen Russland-Studie. Die russische Bevölkerung sei stark verunsichert. Bis Jahresende erwarten die Experten, dass die Nachfrage um weitere 20 Prozent einbricht. Mit 2,4 Millionen Neuwagen dürfte der Markt dann auf das Niveau von Großbritannien absacken. Dagegen steuert Deutschland auf konstant drei Millionen Neuzulassungen zu.

VW will investieren

Vergangenen November hatte sich VW-Chef Martin Winterkorn noch zuversichtlich gegeben, dass Russland den Heimatmarkt bald ablöse. „Wir glauben nach wie vor: Noch in diesem Jahrzehnt wird der russische Automobilmarkt der größte europäische Markt sein.“ Deshalb investiere man bis 2018 weitere 1,2 Milliarden Euro in das russische VW-Werk Kaluga – dazu steht der Konzern weiterhin.

Noch stärker ist Renault engagiert. Die Franzosen sind der größte ausländische Autobauer im Land – und kontrollieren mit ihrem japanischen Partner Nissan den Lada-Hersteller und Marktführer Avtovaz. Umgerechnet 570 Millionen Euro ließen sich die Partner Ende 2012 den finalen Griff zur Macht bei Avtovaz kosten. 400 Millionen Euro flossen zusätzlich in das Lada-Werk Togliatti, wo Autos aller drei Marken vom Band rollen sollen.

Kein Billigstandort mehr

Lange galten solche Investitionen als Schritt in die Zukunft, das sieht heute anders aus: „Das größte Problem haben die Hersteller, die massiv in Russland investiert haben“, sagt Experte Kumm. „Da denkt das eine oder andere Unternehmen auch über die nächste geplante Ausbaustufe nach.“ Denn auch eine günstige Fertigung für den Export wird laut Kumm schwieriger. Russland sei kein Billigstandort mehr.

Die Probleme könnten sich noch verschärfen, sollte Russland Sanktionen gegen westliche Autobauer verhängen. Ein totales Importverbot europäischer und US-amerikanischer Neuwagen würde Moskau laut den Roland-Berger-Experten bis zu 1,4 Milliarden Dollar Zoll- und Steuereinnahmen kosten. Zumindest kurzfristig rechnen für die russische Staatskasse könnte sich hingegen ein Aufschlag auf die Einfuhrgebühren. Auf lange Sicht dürfte das Investitionsklima aber weiter leiden. „Bei zusätzlichen Sanktionen würden deswegen beide Seiten verlieren“, glaubt Kumm.