Die Revolution der Arbeit

Die Revolution der Arbeit
(AFP/Geoffroy van der Hasselt/AFP)

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Mit 5.000 Änderungsvorschlägen muss sich die Pariser Nationalversammlung bei der Beratung eines neuen Arbeitsgesetzes auseinandersetzen.

Arbeitsministerin Myriam El Khomri hat schwere Wochen vor sich und schwere Wochen bereits hinter sich. Ein neues Arbeitsgesetz setzt ihr zu. Die Gewerkschaften laufen Sturm, die linken Abweichler der Sozialisten sind dagegen, die Studentenorganisationen protestieren. Niemand will das Gesetz, das eine Liberalisierung der Arbeitswelt hätte bedeuten können und das die Ministerin aus einem Korb von Liberalisierungen ihres Kollegen, Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, geerbt hat.

Macron hatte sein zweites Gesetz zur Liberalisierung der französischen Wirtschaft nicht in das Parlament einbringen dürfen. Es war Staatspräsident Hollande und der Regierung zu mutig. Das Gesetz wurde aufgeteilt, in andere Vorhaben unauffällig integriert.

Arbeitsministerin El Khomri, bei der Bildung der dritten Regierung von Premierminister Valls frisch ernannt, erbte ein Gesetz, das kein Minister der Regierung – mit Ausnahme des Wirtschaftsministers – gewagt hätte, der Nationalversammlung vorzulegen. Was in Berlin als eine mutige und nötige Reform Frankreichs gefeiert wurde – Ministerin El Khomri hatte das Gesetz den deutschen Sozialdemokraten vorgestellt – führte in Frankreich zu andauernden Aufständen und Straßenschlachten.

Das erste Prinzip des Gesetzes war, das Leben in Unternehmen auf Vereinbarungen im Unternehmen zu regeln. Je nach Situation des Unternehmens sollte zum Beispiel in Absprachen die Arbeitszeit geregelt werden können. Das wesentliche Prinzip war, dass es in Unternehmen Abstimmungen geben sollte.

Das wäre ein Verlust der Macht der Gewerkschaften gewesen. Aber auch der Begriff der „Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen“ wurde in dem Entwurf genau definiert. Und: Die Entschädigungen bei Entlassungen sollten unter Berücksichtigung der Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen durch das Gesetz festgelegt werden.

Bruch in der Gewerkschaftsbewegung

Die Arbeitsgerichte sollten in der Festlegung der Abfindungen einen genauen Rahmen bekommen. Das Ziel: Kalkulierbarkeit der Risiken bei Entlassungen für den Arbeitgeber. Arbeitsgerichte in Frankreich legen zum Teil Fantasiesummen bei Abfindungen fest.

Der Gesetzentwurf war noch nicht in der Regierung verabschiedet worden, als die Gewerkschaften schon dagegen protestierten. In einer falschen Kommunikationspolitik hatte sich die Regierung auf eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes eingelassen und auf den Begriff des „leichter entlassen Könnens“. Ein gefundenes Fressen für die radikalen Gewerkschaften CGT und Force ouvrière (FO). Die CGT befand sich vor ihrem Gewerkschaftskongress und suchte einen neuen Vorsitzenden. Philippe Martinez (53) aus CGT Metall-Gewerkschaft, war am 13. Januar als Kandidat noch abgelehnt worden. Mit dem neuen Arbeitsgesetz aber profilierte er sich als kompromissloser Gegner, der schlicht den Rückzug des Gesetzes verlangte.

Mit dem als neuen Chef der CGT dann doch gewählten Metaller hat die CGT in wenigen Wochen einen deutlichen Linkskurs und einen Kurs der Kompromisslosigkeit eingeschlagen. An ihrer Seite steht die FO. Erstmals seit Jahren marschierten FO und CGT am 1. Mai wieder gemeinsam durch Paris.

Mit dem Gesetz hat es einen Bruch in der französischen Gewerkschaftsbewegung gegeben. Die 1964 aus der Säkularisierung der katholischen Arbeiterbewegung hervorgegangene Gewerkschaft CFDT ist mit ihren 800.000 Mitgliedern die größte französische Gewerkschaft. Sie gilt als Reformgewerkschaft. Laurent Berger, Generalsekretär der CFDT, nutzte die ob der Proteste existierende Verwirrung in der französischen Regierung und schrieb das Gesetz um.

Die „Aufrechten der Nacht“

Die Beschränkung der Arbeitsgerichte fiel weg. Die Definition der wirtschaftlich bedingten Entlassung wurde verändert und wieder der Richter als entscheidende Instanz eingeführt. Die Justiz als entscheidende Instanz im Wirtschafts- und Arbeitsrecht mit ihrer langsamen Arbeitsweise führt immer wieder zu absurden Situationen.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass drei Jahre nachdem eine Fabrik geschlossen wurde und die Arbeiter häufig bereits neue Arbeitsplätze haben, ein Richter entscheidet, dass das Ganze unwirksam war. Danach beginnt dann der wieder Jahre dauernde Weg durch die Gerichtsinstanzen. Das neue Arbeitsgesetz sollte solche Situationen verhindern.

Die Veränderung des Gesetzes wurde der Regierung als Schwäche ausgelegt. Studenten und auch Schüler gehen auf die Straße, weil sie meinen, dass das Gesetz ihnen die Chance auf Arbeitsplätze nimmt. Die Place de la République wurde zum Symbol für den Widerstand der Jugend gegen ein Gesetz, das sie nicht kennt.

Jeden Abend finden sich die „Aufrechten der Nacht“ auf dem Platz ein. Auseinandersetzungen mit der Polizei führten zu 78 verletzten Polizisten. Durch die Medien gingen Brutalitäts-Szenen der Polizei, die auf Jugendliche einschlägt. In Rennes verlor ein Jugendlicher bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ein Auge. Und der Presseclub in Rennes beklagt rüdes Vorgehen der Bereitschaftspolizei gegen Journalisten, die die Demonstrationen beobachteten.

Ärger mit den Unternehmen

Weitergehenden Ärger handelt sich die Regierung von Premierminister Valls aber nun mit den Unternehmern ein. Die Gewerkschaft schrieb in das Gesetz hinein, dass auch in kleinen und mittleren Betrieben nicht mehr der Unternehmer der Chef sein darf. Vielmehr sollen die Gewerkschaften in diesen Unternehmen bis 50 Mitarbeiter nun jemanden benennen, mit dem der Unternehmer verhandeln muss.

Aufgebracht waren die Unternehmer, als überdies Gewerkschaft und Regierung sich darauf einigten, dass befristete Arbeitsverträge (CDD) höher besteuert werden sollen. Der Hintergrund: Angesichts einer in Frankreich unsicheren Wirtschaftslage arbeitet die Industrie weitgehend mit kurzzeitig befristeten Arbeitsverträgen. Die Gewerkschaften verlangen unbefristete Arbeitsverträge. Die Regierung gibt nach und erhöht die Besteuerung der befristeten Arbeitsverträge. Ein Casus Belli für die Arbeitgeber.

„Das ist das genaue Gegenteil von dem, was mit dem Gesetz bezweckt werden soll“, wettert der Präsident des Unternehmerverbandes Medef. Pierre Gattaz gilt als ein Mann des Ausgleichs und des Kompromisses und als ein sehr guter Unternehmer. Er geriet mit der Besteuerung der befristeten Arbeitsverträge dermaßen unter Druck, dass er – wie die Gewerkschaften zuvor – den Rückzug des Gesetzes und die Wiedereinführung der alten Version verlangte.

Als Ministerpräsident Valls ablehnte, kündigte Gattaz den Rückzug aus den Verhandlungen über die Arbeitslosenversicherung an. Die nämlich wird gemeinsam von Gewerkschaften und Arbeitgebern verwaltet und weist ein Milliardendefizit auf, ist aufgrund der besonderen Konstellation aber reformunfähig.

Die Arbeitgeber haben mit der Arbeitslosenversicherung ein besonderes Druckmittel in der Hand. Ziehen sie sich aus den Gesprächen mit den Gewerkschaften zurück, dann fällt die Arbeitslosenversicherung mit ihrem Milliardendefizit in die Hände der Regierung. Niemand will in Paris so richtig glauben, dass Gattaz seine Drohung wahr macht. Er würde die Regierung in eine erhebliche Krise stürzen.

Myriam El Khomri, die seit Dienstag das Gesetz in der Nationalversammlung vertreten muss, war bereits in der Vorberatung nicht glücklich. Die Vorsitzende des Sozialausschusses lud sie aus. Minister, befand sie, würden die komplizierten Beratungen mit ihren Redenbeiträgen nur verlängern. Möglicherweise hatte ihr Vorgänger, François Rebsamen, Bürgermeister von Dijon, ja recht. Er hätte, sagte er, das Gesetz nie in die Nationalversammlung eingebracht.