60 Jahre Lebenszeit für AKW Cattenom

60 Jahre Lebenszeit für AKW Cattenom
(Tageblatt-Archiv)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die vier Reaktoren der Atomanlage in Cattenom sollen jeder eine Lebenszeit von 60 Jahren haben, sagte der Direktor der Anlage beim Wirtschaftspresse Frühstück der Editpress Verlagsgruppe.

Stéphane Dupré de la Tour ist 42 Jahre alt: Er ist Absolvent der Eliteschule „Polytechnique“ und übt heute das Amt des Direktors der vier Atomreaktoren von Cattenom aus. In der Anlage arbeiten 1.500 Menschen, davon 1.300 beim Erbauer und Betreiber EDF und 200 bei Zulieferfirmen, von denen ein hohes Maß an Qualifikation erwartet wird.

Stéphane Dupré de la Tour hat es nicht leicht. Gegenüber Cattenom besteht ein hohes Misstrauen, das er vergeblich zu bekämpfen versucht. Er hat die Bilanz von Cattenom für das vergangene Jahr der saarländischen Umweltministerin als erster vorgetragen, die nun allerdings nach Zerbrechen der Koalition im Saarland, zurückgetreten ist. Es hat auch wenig genutzt, denn die Ministerin gehörte weiter zu denen, die die Schließung der Anlage forderten.

Offenherziger Umgang mit Informationen

Der Direktor der Anlage verweist auch ständig darauf, dass Cattenom so offenherzig mit Information umgeht, wie man das in Deutschland nicht tut. Es nutzt wenig, denn immer, wenn es eine Panne in Cattenom gibt, wird aus Deutschland und aus Luxemburg die Schließung der Anlage gefordert. So zum Beipiel, als im Februar Reaktor zwei gleich mehrfach ausfiel. „Wir hatten zum Beispiel eine Panne im Wechselstrom Generator, die auf eine Reparatur im vergangenen Jahr zurück ging“, sagt Dupré de la Tour, für den solche Pannen nichts Erschreckendes haben. „In Kohlekraftwerken haben sie auch Pannen, ohne dass jemand deren Abschaltung fordert, sagt er im Gespräch mit den Wirtschaftsjournalisten der Editpress Gruppe.

Dupré de la Tour ist Techniker. Er achtet darauf, dass bei Störungen die Sicherheit erhalten bleibt, dass das Ereignis beherrschbar bleibt und verweist darauf, dass die Störungen im traditionell industriellen Bereich entstehen und der Reaktor sich, wenn nötig, selbständig abschaltet. Das ist im Februar 2012 geschehen. Die Störungen, gibt er zu, sind im traditionell technischen Bereich auch alters- und belastungsbedingt. „Es kann sein, dass es einen Haarriss in Leitungen gibt. Wir wechseln dann das Rohr aus. Pro Reaktor gibt der Herr von Cattenom im Jahr gut 80 Millionen Euro für Wartung aus. Im Prinzip handelt Cattenom wie eine Fluggesellschaft, die bei jedem Check Teile der Flugzeuge austauscht und theoretisch mit zunehmendem Alter zu einer Erneuerung der Anlage kommt.

2047 wird abgeschaltet

Reaktor eins befindet sich derzeit in einem 10-Jahres-Check. Er bleibt bis Mai abgeschaltet. Von der Betonhülle des Reaktorgebäudes bis hin zum Reaktorkern wird der gesamte Reaktor untersucht. Das Ergebnis wird danach der Sicherheitsbehörde ASN vorgelegt, die entscheidet, ob der Reaktor wieder ans Netz gehen darf. Der Reaktor wird noch drei dieser Checks erleben, bevor 2047 abgeschaltet wird.

Dupré de la Tour hat Vertrauen zum System. Das hat seinen Grund: Er hat es in einem früheren Leben selber mit gestaltet. Nach der Eliteschule hat er in Frankreichs Norden bei der Industriebehörde gearbeitet, dort, wo die Folgen der Steinkohle zu bewältigen waren. Er hat in Paris als Bürochef des Chefs der Industriebehörde gearbeitet. Und dann ging er in den Stab des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Im Elysée Palast arbeitete er an den Kyoto-Protokollen mit. Er gehörte zu denen, die eine Umweltcharta erstellten, die dann Bestandteil der französischen Verfassung wurde. Er sorgte mit dafür dass die russische Rakete Sojus in Guyana starten darf. Er leitete eine Energiedebatte ein, die im Jahre 2006 zu der unabhängigen Nuklear-Überwachungsbehörde ASN führte. „Wenn ASN mir sagt, dass ich Reaktor eins nicht wieder anfahren darf, dann bleibt der Reaktor abgeschaltet“, beschreibt er die Macht dieser Behörde.

„Das System ist sicher“

Dupré de la Tour hat die Macht dieser Behörde zu spüren bekommen, als sich herausstellte, dass in Reaktor zwei in einem Kühlsystem in zwei Rohren je ein Ventil fehlte. ASN befahl unter Terminsetzung die Reparatur, prüfte und hätte den Reaktor abgeschaltet gelassen. Dupré de la Tour: „Die Macht der Behörde liegt darin, dass ihr alles gemeldet wird, was nur im leisesten nach Panne aussieht. Und: Wir veröffentlichen das sowohl auf unserem Twitter Account als auch im Internet.“ Das System , so der Manager der zweitgrößten französischen Atomanlage, ist sicher.

Dupré de la Tour, der unter Jacques Chirac Umweltpolitik entwickelte und auch die Verkehrspolitik so beeinflussen konnte, dass mit dem dann eingerichteten System, Frankreich heutzutage 4.000 Verkehrstote weniger aufweist, ist der Meinung, dass Nuklearkraftwerke umweltfreundlich sind. Anders als etwa die Kohlekraftwerke in Deutschland. Er, der mit einer Deutschen verheiratet ist, zieht gerne Vergleiche mit Deutschland, besonders dann, wenn es sich um Offenheit der Information oder um Umweltschutz handelt. Da, das wird deutlich, sei Frankreich nicht zu schlagen. Und er bezeichnet die Offenheit der Information, die Luxemburg und Deutschland sich in den 90er Jahren hart erkämpfen mussten, als einen Schutz für die Öffentlichkeit. “Wenn man aus einem Kernkraftwerk keine Informationen mehr bekommt, dann muss man sich Sorgen machen“, sagt er. Wenig Sorgen müsse man sich um Cattenom machen, wird deutlich. Eine Sturmflut wie in Fukushima sei wenig wahrscheinlich. Und bei Erdbeben sei Cattenom bis zu einer Stärke von 5,4 ausgelegt. Gegen Mosel-Hochwasser sei Cattenom geschützt, weil die Anlage auf einem Hochplateau läge.

Die Laufzeiten nicht beunruhigend

Die Laufzeit von 60 Jahren beunruhigt ihn nicht. Reaktor eins würde demnach bis 2047 laufen, Reaktor zwei bis 2048, Reaktor drei bis 2051 und Reaktor vier bis 2052. Stéphane Dupré de la Tour wird dann nicht mehr Direktor in Cattenom sein. Aber er zweifelt nicht an dem System der Sicherheit, an dem er selber mit gearbeitet hat. Dass man Cattenom verbessern kann, gibt er zu. Dass man die Sicherheit erhöhen kann, gibt er zu. Aber er befindet sich in einer Falle. Der Stresstest für Atomreaktoren hat die Nachfrage nach starken Diesel Aggregaten in die Höhe schnellen lassen. Es gibt sie nicht auf dem Markt. Es gibt Wartezeiten. Investitionen zur Verbesserung von Cattenom betragen drei Milliarden Euro. Er hat dafür einen Investitionsplan in Höhe von drei Milliarden Euro von 2012 bis 2022 aufgestellt.

Der Absolvent der Eliteschule Polytechnique weiß andererseits um die Schwäche von Maschinen. Er gibt keine Garantie ab, dass nicht irgendwann etwas geschieht. „Man kann einer Maschine nicht vertrauen“, sagt er. „Man muss Menschen vertrauen“. Da er mit 1.500 Menschen arbeitet, weiß er um die Schwächen der Menschen. Er hat zusammen mit den Gewerkschaften eine Betreuungseinheit zusammengestellt, die sich um Mitarbeiter kümmern soll, die bedrückt sind, die Sorgen haben, die sich nicht wohl fühlen. In französischen Unternehmen gibt es immer wieder Selbstmorde. „Wir hatten bisher in Cattenom noch keinen“, sagt er und seine Stimme wird sehr konzentriert. Er will in Cattenom auch keinen erleben, macht er deutlich. „Bei uns gibt es keine Schuldzuweisung. Bei einem Ereignis klären wir den Hergang, um seine Wiederholung zu verhindern.“

Wenn nach einem Ereignis in Cattenom in Luxemburg und in Deutschland einmal mehr die Schließung von Cattenom gewünscht wird, dann leitet er die Wünsche weiter. Stéphane Dupré de la Tour fühlt sich zuständig für das Funktionieren von Cattenom in den restlichen 35 bis 40 Jahren und für seine 1.500 Mitarbeiter, aber nicht für politische Forderungen.