Schattenseiten der Zukunft

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Bei einer OGBL-Vortragsreihe über die Auswirkungen der Digitalisierung sprach Gastredner Christophe Degryse über die möglichen negativen Folgen der Digitalisierung auf die Arbeit. Hier ein Überblick mit den möglichen Szenarien. 

Ja, Digitalisierung und Automatisierung können auch Vorteile haben. Das streitet der Journalist und Autor Christophe Degryse nicht ab. Deswegen ist er aber nicht nach Luxemburg gekommen. Das Mitglied des European Trade Union Institute ist nach Differdingen gereist, um vor Gästen der Gewerkschaft OGBL über die negativen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit zu referieren. Dabei ist der Ort, an dem der Vortrag stattfindet, schon symbolisch – der „1535° Creative Hub“ in Differdingen. Einst Werksgelände des Stahlgiganten ArcelorMittal, bilden die alten Werkstätten heute die berufliche Heimat einer Vielzahl von Unternehmern im kreativen Bereich. Der wirtschaftliche Wandel atmet also in diesen Gemäuern.
Doch wie gesagt: Christophe Degryse ist angereist, um über die Risiken zu sprechen, die er grob in zwei Gruppen einteilt. Die „Roboter“ und die „Massen“.

Unter dem Begriff Roboter fasst er technische Entwicklungen zusammen, die dafür sorgen, dass Arbeiter in Zukunft ihre Arbeit verlieren könnten oder die Arbeitsqualität sinkt. Stichwort: automatisierte Fabrik. Diese Probleme seien im Grunde „traditionelle gewerkschaftliche“ Probleme, so Degryse. Es geht hier um Arbeitszeiten, Löhne, Entlassungen und so weiter.

Unter dem Begriff „Massen“ versteht Degryse die neuen Businessmodelle im Internet, bei denen eine Internetseite Arbeit an eine Vielzahl von Internetnutzern verteilt. Zu den positiven Beispielen zählt Degryse etwa die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Zu den problematischen Beispielen gehörten Dienste wie Uber, Airbnb oder auch Amazon Mechanical Turk.

Diese Dienste seien „disruptive“, denn es stellten sich Fragen wie, wer hier Arbeitgeber sei und wer Arbeitnehmer, welche sozialen Gesetze angewandt werden müssten. Außerdem sei die „Arbeiterschaft“ dieser Dienste weltweit verteilt, wenig vernetzt und sehr heterogen.

All diese Probleme führten dazu, dass gesellschaftliche Debatten, die eigentlich schon abgeschlossen schienen, einen neuen Frühling erlebten, wie etwa die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder Arbeitszeitverkürzungen. Zu diesen Ansätzen möchte sich Degryse allerdings nicht äußern. Hier müsste eine demokratische Debatte geführt werden. Für OGBL-Präsident André Roeltgen ist vor allem der Gesetzgeber in der Pflicht, sich des Problems anzunehmen.


Roboter und Automatisierung

Risiko 1: Arbeitsplatzverlust

Roboter sind um ein Vielfaches stärker als Menschen. Schon lange jonglieren sie in etwa in Fabriken mit Bauteilen und ersparen den Arbeitern einiges an Muskelarbeit. In den vergangenen Jahren wurden Maschinen zudem immer präziser. Mit ihren Lasersensoren und Präzisionsmotoren können sie Teile viel genauer verarbeiten als Menschen. In Zukunft werden Maschinen zudem immer intelligenter. Bereits jetzt gibt es künstliche Intelligenzen, die von Medizinern in der Diagnostik herangezogen werden, um Krankheiten zu identifizieren. Bereits in der Vergangenheit hat der technische Fortschritt verschiedene Berufe obsolet gemacht (z.B. den des Skriptors durch die Erfindung des Buchdrucks). Auch in Zukunft werden wohl Berufe durch den Fortschritt überholt, wodurch Menschen ihre Arbeit verlieren.

Risiko 2: Verdummung

Bereits heute gibt es Arbeitsplätze, bei denen die Arbeiter ihre Anweisungen von einer Maschine bekommen. Der Arbeitnehmer führt an einem solchen Arbeitsplatz nur die Anweisungen eines Programmes aus, ohne dass er sein Gehirn anstrengen muss. Ein Beispiel sind etwa Versandlager, in denen die Arbeiter von einem Computer beauftragt werden, ein Produkt in den Regalen zu finden und es versandfertig zu machen.
Die Sorge besteht, dass der Mitarbeiter dadurch „verdummt“. Er muss sich keine Gedanken mehr über die Gesamtzusammenhänge im Unternehmen machen und welche Auswirkungen seine Arbeit auf den ganzen Betrieb hat. Er wird zum sprichwörtlichen Rädchen in einer Maschine, mehr ein Werkzeug des Computers als umgekehrt.

Risiko 3: Überwachung

Je mehr der Arbeitsalltag von technischen Geräten bestimmt wird, desto größer wird das Potenzial einer Überwachung durch den Arbeitgeber.
Oft erhalten Mitarbeiter etwa ein Diensthandy. In der Theorie ist es möglich, dadurch den Standort eines ahnungslosen Mitarbeiters festzustellen. Besonders bei Lkw- oder Taxifahrern bietet es sich für die Arbeitgeber an, den Standort des Fahrzeugs (und damit des Mitarbeiters) zu verfolgen und auszuwerten und so festzustellen, wann der Mitarbeiter eine Pause einlegt oder von seiner Route abweicht.
Aber auch in Büroräumen besteht das Potenzial einer Überwachung, etwa mittels versteckter und sichtbarer Kameras oder durch Computerprogramme, welche die Arbeit der Mitarbeiter am Computer überwachen und speichern.

Risiko 4: Kein Privatleben

Das Diensthandy ist heute der ständige Begleiter. Späte Anrufe von Mitarbeitern oder E-Mails von Kunden und Klienten, die mitten in der Nacht bearbeitet werden müssen, sind in vielen Berufen keine Seltenheit. In manchen Unternehmen ist es ein echter Fauxpas, die nächtliche Ruhestörung zu ignorieren, und kann die Karriere in Gefahr bringen. Andere Unternehmen wiederum schalten nachts ihre Server ab, damit die Mitarbeiter keinen Zugang zu ihren E-Mails haben, selbst wenn sie wollten.
Dies macht es heute schwer nachzuvollziehen, wie viel die Mitarbeiter tatsächlich arbeiten, eine richtige Trennung von Arbeit und Berufsleben gibt es oft nicht mehr. „Arbeit ist heute ein unscharfer Begriff“, sagte Christophe Degryse vom European Trade Union Institute.


Neue Geschäftsmodelle und Plattformen

Risiko 1: Arbeitsbeziehung

Internetplattformen wie der Fahrdienstleister Uber werfen die altbekannten Arbeitsbeziehungen über den Haufen. Die Plattform Uber vermittelt mittels einer Smartphone-App Fahrer an Passagiere, ähnlich einem Taxiunternehmen. Die Fahrer nutzen für die Fahrt ihr eigenes Auto.
Uber sieht sich nur als Vermittler von Aufträgen und die Fahrer als Selbstständige, die diese Vermittlung in Anspruch nehmen. 2016 entschied das britische Arbeitsgericht hingegen, dass Uber-Fahrer Angestellte sind und deshalb ein Gehalt erhalten müssen, das über dem Existenzminimum liegt, sowie bezahlte Urlaube. Im November verlor Uber das Berufungsverfahren. Uber argumentierte, dass die Fahrer eigentlich die „persönliche Flexibilität“, die eine Selbstständigkeit biete, wertschätzen würden.

Risiko 2: Gesetzesverstöße

Bei Internetplattformen würden nicht immer die Gesetze eingehalten, sagte Christophe Degryse. Dies liege daran, dass die Unternehmen glaubten, die Gesetze müssten sich ihrem Geschäftsmodell anpassen. Im Klartext: Die Gesetze müssten sich der Privatwirtschaft beugen. Immer wieder beschäftigen sich Gerichte und Gesetzgeber mit Internetunternehmen. Diese Firmen haben oft eine radikal andere Auffassung davon, was ein Selbstständiger und ein Angestellter sind, als die Gewerkschaften.
Je nachdem, wie ihr Angebot definiert wird, sind sie entweder ein völlig neuer Wirtschaftszweig oder eine unlautere Konkurrenz. (Brauchen Uber-Fahrer eine Taxilizenz? Müssen Airbnb-Anbieter die lokalen Regeln des Hotelgewerbes einhalten?).

Risiko 3: Kaum regulierbar

Manche Internetunternehmen sind alleine durch ihre schiere Größe und weltumspannende Präsenz schwer zu regulieren.
Christophe Degryse weist vor allem auf das sogenannte Crowdworking hin. Internetdienste wie der Dienstleister „Amazon Mechanical Turk“ verteilen kleine Arbeiten – sogenannte Human Intelligence Tasks (z.B. das Abtippen einer Rechnung, das Kategorisieren von Produkten oder Artikeln) – an eine Vielzahl von Menschen überall auf der Welt, die für die Erfüllung einer solchen Aufgabe Cent-Beträge bezahlt bekommen.
Diese „Arbeiterschaft“ ist extrem heterogen und kaum zu überblicken. Für sie ist es extrem schwer, sich gewerkschaftlich zu organisieren und sie sind eine große Herausforderung für die Gesetzgeber, sofern dieser sie überhaupt auf dem Radar hat.

Risiko 4: The winner takes it all

Im Prinzip erlaubt das Internet jedem Unternehmen, seine Waren und Dienstleistungen weltweit anzubieten. Eigentlich sollte daraus ein Vorteil entstehen. Das Angebot für die Kunden sollte wachsen und die Konkurrenz zunehmen.
In einigen Bereichen, wie etwa den sozialen Netzwerken, tritt jedoch ein „Netzwerk-Effekt“ ein. Das Netz bietet die Möglichkeit, sich für das beste Angebot zu entscheiden. Der Kunde ist nicht auf das lokale Angebot beschränkt. Bei skalierbaren Dienstleistungen (Unternehmen, bei denen ein weiterer Kunde nicht zu Mehrkosten führt, wie bei Musikbörsen oder sozialen Netzwerken) wird deshalb das Unternehmen, das von den Kunden als bestes wahrgenommen wird, bald marktbeherrschend und erreicht ein kritisches Maß, das es noch mächtiger macht.